Die Elenden im Ramba Zamba Theater

17.11.15 / in jw / Feuilleton

Das Ramba Zamba Theater hat ein neues Stück gemacht: Die Elenden, einem großen historischen Stoff nachempfunden, dem Roman von Viktor Hugo aus dem Jahre 1862.  Danach befragt, wer die Elenden sind, lautet die Antwort einer der behinderten Spielerinnen aus dem Ramba Zamba Theater: „Leute, die sich ganz schlecht fühlen, im Prinzip wir alle. Im Stück leben wir alle im Elend, deswegen die Elenden…jede Rolle hat etwas mit Elend zu tun…am Ende sterben wir alle in irgendeiner Form“

Die Elenden sind die „Ausgegrenzten“, die „Einsamen“, die „Chancenlosen“, die keinen richtigen Pass haben. Ein aktuelles Thema.  Ausgegrenzte werden durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten produziert, durch nichts anderes. Dieser Meinung war auch Viktor Hugo, als er den Roman schrieb. Gegenstimme ist der Inspektor Javert, der beweisen will, dass sich ein Verbrecher niemals zum Guten hin ändern kann, deshalb jagt er den ganzen Roman hindurch den sich ständig wandelnden Jean Valjean, scheitert aber am Ende.

Das Vorhaben,  Ausgrenzung mittels der Dramatisierung eines Mammut-Romans von Viktor Hugo umzusetzen, dazu mit Menschen, die selber täglich Ausgrenzung erfahren, ist Inhalt der neuesten Premiere im Ramba Zamba Theater. Das Langstengel-Ensemble hat sich diesem Stoff mit eindrucksvoller Besetzung, großer Konzentration und modernem Bühnenbild genähert.

Jean Valjean wird dabei von Christian Behrend großartig gegeben, er begibt sich einerseits ganz in seine Figur hinein, gibt aber auch von sich selbst viel dazu. In seiner körperlichen Präsenz, seinen Worten, seinem Gesicht, auf dem die Mimik nur in winzigen Regungen sichtbar wird, sieht man, wie er die sich vielfach wandelnde Figur interpretiert. Er zeigt Jean Valjean mal als Galeerensträfling, mal als Bürgermeister, mal als Retter der kleinen Cosette, mal als Bettler, der sich versteckt hält, und immer scheint der erste, der ehemalig Benachteiligte, der Galeerensträfling durch. Immer in Gang und Körperhaltung, er ist breit, geht tumb, langsam, sein Körperbau deutet körperliche Stärke an. Dazu diese verdeckt-indirekte Art von Angst, immer auf der Hut, immer in Gefahr der Entdeckung, immer die Blicke der anderen hinter sich, im Nacken erahnend.  Christian Behrend macht dies durch Minimalmimik sichtbar, ein winziges Augenrunzeln nach rechts hinten, ein knappes Mundwinkelziehen nach seitwärts. Hier begegnet der Spieler in der Rolle sich selbst, auch er ist immer den abschätzenden Blicken anderer ausgesetzt, auf der Straße, überall. Im Theater der Schauspieler, aber überall woanders nur der Behinderte.  Denn: Trisomie 21 ist sichtbar.

Der gelbe Pass

Der gelbe Pass, der einen weniger ausweist als abstempelt, ist der Pass, mit dem, der seine Strafe verbüßt hat, niemals Arbeit bekommt, also bleibt Jean Valjean was er geworden ist, ein Dieb, er stiehlt weiter, das kann er. Es erstaunt ihn, als er gefasst wird, dass, der ihn beherbergt hatte,  letzte Nacht, behauptet, dass er ihm das Silberzeug schenkte und ihm noch dazu einen Leuchter mitgibt, den er auch noch verkaufen soll für einen existenziellen Grundstock. Bis zuletzt vermutet er eine Falle.

Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelt sich das Stück, in dessen Verlauf der Sträfling versucht nun ein Mitglied der Mehrheitsgesellschaft und ein guter Mensch zu werden.

Das gelingt ihm aber nie ganz, denn ein Polizeiinspektor (Javier) will sein ungleichgewichtiges Menschenbild bestätigen, das einmal Verbrecher-immer Verbrecher bedeutet, und jagt ihm gnadenlos hinterher.

Abstrakte Spielweise, abstraktes Bühnenbild

Die Regie hat sich diesmal für eine sehr abstrakte Spielweise entschieden, vieles wird symbolisch dargestellt, die Figur des Bischofs Myriel wird durch Sven Normann gespielt, keineswegs als Wohltäter, sondern als Sozialexperimentator, der an Gott zweifelt, vor allem daran, dass man ihm alles überlassen soll. Sein Gespräch mit seinem bürgerlichen Gelehrtenfreund Eckermann begleitet die Handlung von außen beobachtend. Er will beweisen, dass Menschen sich ändern können.  Eckermann das Gegenteil, deshalb wählt er im Spiel die Rolle des Javert.

Eisenstangen wie im Leben

Das Bühnenbild besteht aus nichts als zu Rechtecken geschmiedeten menschenlangen Eisenkantstangen, die eine Art offene Zellen bilden, in denen später auch die Revolutionäre eingeknastet sind. Dazwischen dienen sie im Leichenschauhaus mit Laken überworfen als Bahren, im Krankenhaus als Betten, in den Straßen als Häuser und Barrikaden, im Banjo als das, was die Sträflinge auf ihren Rücken hin- und herschleppen müssen. Ansonsten keine Farbe außer im Kostüm der Cosette. Die anderen tragen grob um den Körper geschlungene Stoffe, die wie locker zusammengetackert wirken, Fäden sind sichtbar. Wirkung wie provisorisch verkleidet. Ein Leitmotiv des Bühnenbilds ist die Armut. Besonders zu Beginn bestimmt sie das Bild. Ein Zündholzschachtelverkäufer mit einem Bauchladen, geht, sich mühsam an Krücken haltend über die Bühne, niemand kauft bei ihm, niemand scheint ihn überhaupt wahrzunehmen. Ein anderer, der später den Gavrosche gibt, liegt immer irgendwo in einem Winkel, zusammengesunken. Die Prostituierte Fantine wird von einer Frau gespielt, die am ganzen Körper gelähmt ist. Ihre gehauchte Stimme und dazu ihr bewegungsarmes Gesicht passt unglaublich zu der Rolle.

Herzhaft bösartig

Sehr gut gelungen auch die Figur der Thenadiers, gespielt von einer, am Telefon ständig mit ihrem Ehemann sprechenden Frau. Laut Programmheft sind die Thenardiers „herzhaft bösartig und sehr überlegt“. Auch sind sie „komplette Schauspieler, die lügen, erpressen und wissen, dass sie es tun“, auch sie aber „kämpfen, um zu überleben, um jeden Preis.“ Wie das ganze Stück sich um das Überleben dreht. Die Thenardiers werden von einer im Rollstuhl sitzenden mittelalten Frau gespielt, ein kleines, um das schwarze Jackett nur locker geschwungene dunkelrote Band deutet ihr Bedürfnis nach Besserstellung an. Sehr geschickt.

Ein historisches Drama ist geglückt in unsere Zeit zu bringen. Haben auch wir inzwischen viele Elenden? Allerdings, das sagt unter anderem dieses Stück aus. Sie sind hier unter uns und um uns herum!

 

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