Inside IS im Grips-Theater – Rezension

jw/ Feuilleton, 15.10.16

Am 12.10.16 brachte das Berliner Grips-Theater die zweite politisch brisante Uraufführung in der noch jungen Spielzeit nach »Aus die Maus« heraus: ein Stück nach Motiven von Jürgen Todenhöfers Bestseller »Inside IS«.

Todenhöfer ist für das Buch über seine Reise in den »Islamischen Staat« auch unredlich attackiert worden. 14 Aussagen des Spiegels über den Reisebericht wurden Ende August mit »strafbewehrten Unterlassungserklärungen« belegt. Den Grips-Autor und Regisseur Yüksel Yolcu hat das nicht interessiert, wie er sagt. Ihm geht es in dem »Lehrstück« darum, was junge Deutsche zum IS bringt.

Er will einen »Prozess der Radikalisierung offenlegen«. Ab einem Alter von 15 Jahren ist das Stück freigegeben. Wer meint, das Thema würde Jugendliche überfordern, sollte zur Kenntnis nehmen, dass es Jugendliche sind, die von den Islamisten des IS rekrutiert werden

Yolcu hat zwei parallele Erzählstränge entwickelt. Zum einen reist Christian Giese als Todenhöfer mit herrlich zerknautschter Leidensmiene nach Mossul und macht sich Gedanken etwa über die Zahl der Terroristen, die wächst und wächst, seit der Westen in der muslimischen Welt seine Antiterrorkriege führt. Zum anderen geht ein Imam in Deutschland der Frage nach, was seinen früheren Schützling Fabian zum Dschihadisten werden ließ. Der Junge, den er meinte »noch erreichen« zu können, ist in Syrien ums Leben gekommen. Der Imam trifft überforderte Lehrer, die alleinerziehende Mutter, den verständnislosen Vater. Hin und wieder kommentiert Fabian als Untoter das Geschehen. Deutlich wird, dass er sich in Deutschland nirgendwo zu Hause, »wie ein Nichts« fühlte. Ein Suchender, Gescheiterter, Verzweifelter mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Am längsten redet der Imam mit der Mutter, die wie ihr Sohn die Frage stellt, wozu das Leben gut ist, welchen Sinn es hat. Die Frage bleibt unbeantwortet, wird ans Publikum weitergegeben.

Das Stück stellt sich der Tatsache, dass es für Jugendliche neben dem Abhauen auf die Straße, der Flucht in Drogen oder Kleinkriminalität heute eben eine Option ist, sich dem IS anzuschließen. Immerhin 7.000 junge Deutsche haben sich bisher dafür entschieden. Die IS-Führer, die im Stück »Hassprediger« genannt werden, entlarven sich mit ihren Aussagen selbst. Sie verwechseln Brutalität und Unmenschlichkeit mit Stärke. Ihre Argumente sind starr und redundant, trotzdem ahnt man, woher ihre Überzeugungskraft rührt. Von Kompromiss- und Skrupellosigkeit, vom Selbstbewusstsein, das, von Waffen gestützt, ihren Sätzen Nachdruck verleiht. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die mittelalterlichen Folter- und Tötungsorgien des IS unterdrückten jungen Männern Gelegenheit bieten, Rachegelüste zu befriedigen.

Einerseits entstammen die Hasspredigten verbohrten Sektierergehirnen, andererseits kapiert man, welch starken Eindruck sie auf Jugendliche machen können: »Wie könnt ihr hier im Warmen sitzen, wenn in Syrien und im Irak unsere Brüder und Schwestern abgeschlachtet werden? Was sagt euer Gewissen dazu? Habt ihr ein Gewissen? Wie könnt ihr dann schlafen, atmen, essen, wenn ihr wisst, dass Kinder, schwangere Frauen und alte Männer von Ungläubigen Tag für Tag erniedrigt, gefoltert und ermordet werden?«

Unter den Schauspielern ragt Florian Kroop als Fabian heraus. Die Farblosigkeit des Untoten wird mehrmals überraschend gebrochen. Alle Spielerinnen und Spieler beherrschen die wunderbar reduziert angelegte Kunst der Verwandlung in immer neue Rollen. Es werden jeweils nur Attribute zur Kostümierung hervorgeholt. Sehr gut gelungen sind drei wispernde Mädchen, witzig gegeben von Asad Schwarz, der auch als Kalif, Taxifahrer, Leutnant und Gefangener einfach großartig war, Davide Brizzi, auch IS-Kämpfer, Vater, Hassprediger, und wieder Florian Kroop.

Der Stoff böte Anlass zur Darstellung von Grausamkeiten, doch bis auf die Prügelei in einer Traumszene erschöpft sich das in Drohgebärden, Gesichtsausdrücken, Körperhaltungen. Themen wie die Ausbeutung des Trikont, die Verteilung von Wasser, Nahrung und Öl werden angeschnitten. Am Ende läuft es auf die Frage hinaus, wie wir leben wollen.

Häufige Szenenwechsel machen das Stück schnell und lebendig, aber keinesfalls effekthascherisch oder flach. Es ist anspruchsvoll, überzeugend und enthält Wahrheiten. In der letzten Szene stoßen IS-Leute Morddrohungen gegen Ungläubige aus und Todenhöfer zitiert dazu Mohammed, der Barmherzigkeit gegenüber Feinden anmahnt. Im Koran stehen Sätze wie: »Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit getötet. Und wenn jemand einem Menschen das Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet.« Es gibt nicht einen Islam, lernt man an diesem Abend, sondern eine gelebte Religion mit vielen Facetten. Es gibt Islam und Islamismus, Salafisten und Dschihadisten. Und es gibt Haltungen, über die sich nicht streiten lässt: Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus.

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