Monbijou- Sommertheater in Berlin – Rezension

Das Monbijou-Theater in Berlin Mitte mit Nebenverdienst Bar, Restaurant, Tanzufer verfolgt das Konzept:  Abkehr vom großen Haus hin zu ideenreichen Volkstheatervarianten, wo klassische Stücke komödiantisch verfremdet, mit Spuren von Kabarett angereichert, auf Holzbänken unter freiem Himmel, mit grob zusammengehauenen Rundbühnen ein touristisches Boulevardpublikum ansprechen wollen, das sich geistreich amüsieren will.

Wie ich erfuhr, ist das Ganze aus einem besetzten Haus hervorgegangen, deren Bewohner das Theaterspielen liebten. Nachdem sie in Wendezeiten genügend Katz und Maus mit den Bullen gespielt hatten, gründeten sie zuerst in der Schönhauser Allee eine Theaterspieltruppe, später zogen sie nach Mitte um und bauten eine wunderbare Holzkonstruktion, wie man sie sonst nur im Rollheimerdorf im Kungerkiez am Ende des Görliparks findet.  Dort spielen sie nun in diesem Sommer Faust, Macbeth und die Lustigen Weiber von Windsor, im vergangenen Jahr hatten sie eine unbekannte Goethe-Komödie auf dem Programm.

Faust auf den Arm nehmen?

Ähnlich wie die Rostocker Compagnie de Comedie, versuchen sie sich in Nachfolge der großen alten Meister für die Menschen aus dem Volk zu spielen und die großen Oberen auf den Arm nehmen.  So haben sie es hier nun auch mit Faust getan, dem sie Gesicht und Gebaren Goethes geben und  damit sein Werk biografisch und ihn selbst auf die Schippe nehmen.

Ich armer Tor und ein Eulenspiegel

Dazu wird zunächst durch eine Zirkusdirektorin ein „Denkmal“ auf der Brücke vor dem Bodemuseum eingeweiht, dort kommt ein griesgrämiger betonbestäubter Goethe aus einem Stein hervor (Hier steh ich nun ich armer Tor…) und wird mit seinem Gegenspieler, einem Hanswurst kontrastiert, der ein proletarisch derber Schelm ist, der manchmal vielleicht zu stark das Volkstümliche herausstellt, ein das Publikum beschimpfender Eulenspiegel.

Dem Lebensstil Shakespeares und Molieres nacheifern

Den Spielern merkt man einen Rest Aufmüpfigkeit an, Motto bei den feucht-fröhlichen Scherz-Einlagen scheint zu sein, den Lebensstil Shakespeares und Molieres nachzueifern und den Goethes vor allem aus seiner Jugend mit dem seines Ministerdaseins negativ zu kontrastieren.

Jährlich ermitteln die Theatermacher in 2-tägigen casting-workshops mit 300 Leuten, mit wem sie im nächsten Jahr spielen wollen. Gründer ist der heutige  Theaterdirektor Christian Schulz.

Maurici Farré hat den lustigen Faust inszeniert, ein Katalane, zu dessen Ehren es in der Sommerpresse-Einführungsveranstaltung ein beeindruckendes katalanisches Essen gab, die zweite Sommerinszenierung, Macbeth, die ich auch sehr gelungen finde, hat Darian Mihajlovic gemacht, ein Belgrader Professor für Theater, war vorher bei der Volksbühne. Glückwunsch an beide!

Zu Faust:

Der Stil ist komödiantisch, eine vom Theater selbst geschriebene Moritat a la Brecht leitet das Spiel ein, sie wird sehr kühl und mahnend von einer Akkordeonspielerin gegeben, (Christen allgemein, wann wollt Ihr euch verbessern…), die mit einer schwarzen Fallhand im Tuch wie eine unheimliche Bettlerin verkleidet ist.  Die Moritat und der anschließender Mephisto, der in dieser Szene einmal kurz als Bettler geht, erwecken den Eindruck, als spiele hier eine fahrende Wandertruppe, die vorher das Publikum um Geld anbetteln muss. Noch spannender: Die Moritat ist dem ursprünglichsten Urfaust nachgedichtet, den es gibt, eine anonym gebliebene Schrift.

Schauspieler:

In meiner Aufführung (Die Stücke sind alle mehrfach besetzt) spielte Marisa Wojtkowiak, schon letztes Jahr im Team, sie beherrscht eine große Variationsbreite verschiedener Figuren und Typen, Frauen-, wie Männerrollen. Sie gibt hier das komödiantische Gretchen sehr gut und wunderbar puppenhaft.

Modernisierung

Auerbachs Keller wurde von der Regie in eine Art Ballermanns Kneipe auf Mallorca verwandelt, hier hat der Hanswurst wieder seine großen Momente, ansonsten ist Andre´Kudella als Mephisto weniger mystisch als listig, weniger Teufelsfigur als studentischer Ratgeber für den überdrehten Professor, und des „Pudels Kern“ (hier per Bühnenbild, von David Reger in Schaukelpferdgröße mit roter Zunge und Glühaugen modelliert) scheint zu sein, dass dem einsamen Denker, der sich selbst anödet, einfach nur einige sinnliche Freuden verschafft werden müssen.

Geschieht wie nebenbei

Das schafft Mephisto durch ein Tränkchen, was er dem Dichter reicht, nach dessen Genuss er dann „Helenen in jedem Weibe“ sehen soll.  Dieser entflammt auch tatsächlich, beschenkt ein „Gretchen“, erobert es durch Küsse, jedoch, als es ihn nach seiner Einstellung fragt (Wie hälst du´s mit der Religion?) und Goethe-Faust dann etwas ausweichend wird, verliert sich sein Gefühl schon wieder, danach folgt eine Mordszene mit dem Bruder des Gretchens (Faust bringt den Bruder um, das erinnert an Romeo und Julia, geschieht aber wie nebenbei und bleibt auch gänzlich ohne Pathos) dann sinkt ziemlich sofort danach auch das Gretchen sterbend hin, was keinen weiter zu stören scheint, am wenigsten das Gespann Faust-Mephisto.

Über Konventionen hinweggesetzt

Goethe in Kurzform, das Stück eher als Konzentrat, leichte, statt schwere Sprache, leichte, statt schwere Machart, doch alles drin und Goethe, wie ich finde, gut ausgedeutet, seine Philosophie, seine gedrechselten Argumentationen, seine Rechtfertigungen und Gewissensbisse anlässlich Gretchens weggelassen, stattdessen ein Goethe, der sich vor allem über Konventionen hinwegsetzt.

Zu Macbeth

Das zweite Sommerstück beginnt in einer kleinen runden Sandarena, in der die Toten einer Schlacht zu liegen scheinen, die sich zu Beginn des Stücks daraus erhebend, als Soldaten einer vormaligen Zeit zeigen. 

Die Kostüme, die ein wenig geflickschustert, provisorisch und zusammengesucht wirken, passen gut zum Stück, in dem ja eine Atmosphäre des Zerfalls herrscht.  Die dort gerade einen Krieg überstanden haben, wundern sich selbst, dass sie noch am Leben sind.  Drei mit Blut befleckte Wesen steigen aus dem Sand und geben die Hexen, tanzen Totentänze und stacheln die Gier ihrer Feldherren an, indem sie ihnen etwas vom Königsruhm und –ehre weissagen.  Das können auch Fieberträume gewesen sein.

Von seiner Frau zum Mord angestachelt

Aber Macbeth, der kurz darauf den greisen König bei sich beherbergen muss, wird von seiner Frau zu einem Mord an ihm angestachelt, um damit der Weissagung schon mal etwas entgegenzukommen. Aus diesem ersten Mord entwickelt sich eine spiralförmig in den Abgrund führende Katastrophe, da Macbeth aus wachsender Angst vor Entdeckung und Gier immer neue Schandtaten begeht. Ein Mord zieht also den anderen nach sich und das Stück schildert im Weiteren die sich zu Wahnvorstellungen auftürmenden Gewissensbisse, die schließlich Lady Macbeth in den Selbstmord und ihn und sein Land in den Untergang führen.

Opfer, Feinde, Soldaten

Was ist das Besondere dieser Aufführung? Die Ununterscheidbarkeit seiner Spieler.  Bis auf Macbeth und seine Lady und das mit einer weißen Maske bestückte Kind des Macduff, sind die anderen Spieler in Kostümierung,  Verhalten und Maske (schwarz-kreidig beschmiert) sehr uniform angelegt und man hat einige  Mühe, die Opfer, Feinde, Soldaten Macbeth´s zu unterscheiden. Sie sind alle in der Kostümierung auf Krieg hin ausgestaltet.

Krieg gebiert Ungeheuer

Dadurch scheinen sie uns aus dem Krieg gleichsam als Opfer und Täter, als Überlebende und Träger neuer Kriege, immer wieder neu entgegenzutreten. Sie haben Reste eiserner Schilde, Reste klingender Waffen, und da, wo man Stofffetzen sieht, sind sie mit unregelmäßigen Flecken von Dreck und altem Blut bedeckt, all die Mordlust und die Gier sind diesem kriegerischen Boden entwachsen.  Während der ganzen Aufführung wird im Grunde nie das Schlachtfeld verlassen. Die Botschaft: Krieg gebiert Ungeheuer.

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Die Moritat

Das folgende Bänkelsängerlied im Faust ist von der Theatertruppe nachgedichtet worden, frei nach dem Buch:  “Historia von D. Johann Fausten” damals anonym aufgeschrieben, der Urstoff, von dem alle anderen Bearbeitungen ihren Ausgangspunkt genommen haben. Ich fide es sprachlich und inhaltlich wunderschön und beachtenswert, deshalb zum Nachlesen und merken:

Moritat im Faust des Monbijoutheaters

Ihr  lieben  Christen allgemein,  wann wollt  ihr  euch  verbessern?         Ihr  könnt  nicht  anders ruhig sein  und euer Glück vergrößern:           Das  Laster  weh dem Menschen tut; Die Tugend ist das höchste Gut        Und liegt euch vor den Füßen – und liegt euch vor den Füßen.

Mephisto ist ein armer Knecht, er streicht durch   unsere Lande,        macht Luzifer es gar  zu recht,  greift nach den Seel´n am Rande                  Das Leben hier ist ihn´n vergällt, sie streben nach der andern Welt,        So nimmt er sie gefangen – so nimmt er sie gefangen.          

Des Nachts so  zwischen Null und Eins  beschwör´n sie  seinen  Herren Sie schlagen groß und kleine Kreis, die Bäume biegen sich und sperren.  Um Mitternacht da  potz  pladautz, mitten im Wald, steht er, der Kauz      fängt an zu  disputieren – fängt an zu disputieren.     

Wenn er zu seinen  Opfern spricht, so lässt er sie im  Zweifel ,                     red´ nicht vom Plan, den er verficht, er ist der Knecht vom Teufel          Um Seel´n  gefang´n zu nehmen, lässt er  sich nachts  bequemen,       Schleicht sich ins Haus hinein – schleicht sich ins Haus hinein.

Mit viel Geläut, Geschrei, Geplärr  spukt er in ihrer Kammer              Vollendet sich die böse Mär, beginnt der  ganze Jammer                     Schnell wird ein Pakt geschlossen, viel Blut dabei vergossen             Schließt er sie in die Klauen – schließt er sie in die Klauen.

Mephisto gaukelt ihnen vor  sie  würden klug und  weise,                            sie stünden vor dem Höllentor,  ziehn durch die Lüfte Kreise              Kalender schreiben lern´n sie auch,  so ist es halt der alte  Brauch,          kann sie damit verführen – kann sie damit verführen.         

Der Teufel ist so gar nicht dumm, will er  sie  noch was  lehren,            macht  er  die  Männer allzu  krumm,  lässt Weiber sie begehren,       weckt ihre stille Liebesglut, dem  Deibel   g´fällt das allzu gut                        Macht sie damit verfallen – macht sie damit verfallen.

Dem Laster frön´n sie Tag und Nacht,  all vierundzwanzig Jahre,    mit sieben Huren durchgemacht, das scheint ihnen das  Wahre.                 Selbst Helena aus  Graecia,  als Schlafweib bringt er  sie  ihn´n  dar,        Schenkt eine teuflich Ehe – schenkt eine teuflich Ehe.      

Und ziehen dann die Jahr´ ins Land, so reut  sie das Gewissen                Die ganze    Mär ist all bekannt, sie flehen ganz verbissen                         Ihr  Seelenwohl  tut ihnen Not, doch nichts bewahrt  sie vor dem Tod        Der Teufel  holt sie alle – der Teufel holt sie alle.       

Wer nur das Zeitliche betracht und nach den Weibern lüstet                    Und auf  das Ewig hat kein Acht und sich mit Teufeln brüstet,                dem rückt der Deibel auf die Pell´, schon  öffnet sich der Schlund der Höll´,                                                                                                                              Sie kehr´n  gar  nimmer wieder – sie kehr´n gar nimmer wieder

Ihr lieben Christen allgemein, ich will euch vor ihm warnen,                   Ihr  dürft nicht immer ruhig sein,  der Teufel  kann sich tarnen.                Er ist ein  bös´ Ungeheuer,  treibt euch all  ins  Fegefeuer,                       Habt  Acht,  lasst euch bekehren -habt Acht, lasst euch bekehren.

 

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