Tod eines Handlungsreisende in den Kammerspielen am Deutschen Theater Berlin – Rezension

Ein Mann, dessen zwei Söhne erwachsen sind, kann nicht mehr mithalten auf dem Karussell des Kapitalismus  –  ein sehr aktuelles Thema, wo die Vorruheständler sich bei Krankheit in Hartz IV wiederfinden und die Rentner Flaschen sammeln müssen um zu überleben. Die Verkaufszahlen eines Versicherungsvertreters sinken und daher hat der Sohn vom alten Chef “Lomann” rausgesetzt und nun übt er seit einiger Zeit den günstigsten Selbstmord. Er will ihn als Unfall tarnen, um mit der Lebensversichung seiner Familie eine neue Existenz zu sichern.

Das Stück von Arthur Miller, aus dem Jahre 1949, in der Regie von Bastian Kraft, beginnt, als der Selbstmord per Unfall endlich gelungen ist und die kleine Familie erstarrt um einen kleinen Tisch herum sitzt. Von da ausgehend wird alles in Rückblende erzählt. Eine schön aufs Wesentliche reduzierte Aufführung, stringent erzählt, souverän und realitätsnah gespielt, mit originellem Bühnenbild.  Die Bühne ist ein Rondel, eine schwarze vielfach zerkratzte Fußbodenfläche, auf der das Leben seine Spuren hinterlassen hat, dazu ein Tisch, sechs Stühle.

Schattenrisstechnik

Dazu kommt eine rundum laufende weiße Betonfläche, auf die ein starker Scheinwerfer, der aus dem Publikum wahlweise die Figuren und den Tisch anstrahlt, Figuren und Formen wie Schattenrisse an die Betaonwand projeziert. Dabei wird die Schattenrisstechnik inhaltlich eingesetzt, indem es immer dann zu Perspektivenverkürzungen und –verlängerungen, -verkleinerungen und -vergrößerungen der Schatten kommt, wenn es die Menschen, die grade agieren, innerlich so fühlen. Mal fühlen sich die Söhne des gescheiterten Handlungsreisenden dem Vater gegenüber klein, mal größer, ein originelles gestalterisches Mittel. Manchmal tanzen und bewegen die Schatten sich, bilden eine lebendiges Wirrwarr, als rasten die Erinnerungsfetzen durch die Gedanken und im Inneren des eigenen Auges.

Einerseits eingeschüchtert, andererseits wütend-verhalten

Ulrich Matthes gibt den Handlungsreisenden meisterhaft und kraftvoll, seine durch sein Leben entstandene Verkrampftheit und Neurotizität wird an keinem Punkt übertrieben, sie ist nie mitleidsheischend oder peinlich, sie ist immer passgenau auf die jeweilige Szene zugeschnitten. Dabei arbeitet er sehr gut seine einerseits eingeschüchterte, andererseits wütend-verhaltene Seite gegenüber dem Lieblingssohn heraus, wie auch seine Ignoranz dem anderen gegenüber. Nicht weniger gut sind aber auch die beiden Schauspieler, die die Söhne darstellen ( Benjamin Lillie und Camill Jammal), sie geben das Stück sehr modern, bringen es ganz in unsere Zeit hinein, erscheinen wie Jugend heute, im Spätkapitalismus der Postmoderne.

Die Vergeblichkeit allen Strebens

Der Wechsel ihrer Stimmungen, die durch den Vater geschürte Konkurrenz zwischen ihnen, ihr beider Streben nach dem, was man den amerikanischen Traum nennt, der für die meisten unerfüllbar bleiben muss, damit er bei einigen wenigen wirken kann, die Vergeblichkeit allen Strebens, und die Meisterhaftigkeit der psychologischen Durchstrukturierung und Gestaltung ihrer Rollen, ist in der minimalistischen Aufführung wirklich außerordentlich gelungen. Die Mutter (Olivia Grigiolli) hat ebenfalls in ihre Rolle sehr viel Tiefe, Gefühl, Stärke und Standfestigkeit gebracht. Sie ist keineswegs eine verhuschte Hausfrau, die blass hinter dem Ehemann zurückbleibt, nein, sie hält nicht nur zu ihm, sie gibt sogar, plötzlich nüchtern geworden, durch die Demütigung, die der Vater von seinen Söhnen erfährt, die entscheidenden soziologischen Erklärungen ab.  Das Stück ist sehr zu empfehlen! Feinfühlig und aktuell wie schon lange nicht mehr!

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