Tartuffe in Rostock – Rezension
Die Zuschauer sitzen nah um die Bühne herum gruppiert in einem Viereck. Die Mittelbühne also, besteht aus nichts als einem weißen Rund, mit großem, ebenfalls runden, später als Drehscheibe benutztem Tisch, auf denen erhöht die jeweiligen Protagonisten stehen, sitzen oder liegen. Dort spielt sich zunächst eine Party ab. Herabgeworfene Gläser, herumlümmelnde Besoffene, Liebespaare, eine aufräumende Dienerin. Wie in einem modernen Roman steigt man mitten rein ins Stück, sitzt mit im Zimmer, in dem sich alles abspielt.
Schon in den ersten Szenen wird etwas sehr Besonderes deutlich: Es handelt sich um eine stark körpersprachlich geprägte Inszenierung, die dabei ohne jede Übertreibung bleibt. Wie der besoffene Cleánte (von Jakob Kraze glänzend gespielt) in der ersten Szene das Tischtuch versucht zu verstecken, ist genial, man muss es gesehen haben. Wie dann Tartuffe ( Ulrich K. Müller) auftritt, stark ausschreitend, staksig, auf dem Gesicht das falsch-treuselige Grinsen, dazu die Gier mit der Zunge in den Backen, der flitzbogenartig nach hinten gebogene Rücken, als sei er ständig auf der Hut, bereit zu fliehen, sich zu ducken, dabei der ständig vorgereckte Hals, sind ein Meisterwerk. Von der ersten bis zur letzten Minute hält einen die besondere Spielart, bei der die Emotionen mit dem ganzen Körper, oft tanzend, ausgedrückt werden in seinem Bann. Gehörlose hätten größte Freude gehabt und alles verstanden! Witz, Geist, das schändliche Wesen der Heuchelei wird zeitgemäß und kunstvoll dargestellt, ohne Clownesk zu wirken. Die Kostüme sind nur sehr dezent historisch ausgesucht, eher dem Charakter angepasst, den sie verkörpern, sie lassen sich dadurch, ebenso wie Inhalt und Wesen des Gespielten perfekt auf heute beziehen und ( Tartuffe steht nach der letzten Szene als rosafarbener Bankberater wieder neben Orgon).“ Das Spiel geht weiter..“
Die Körperhaltungen und Bewegungen der Schauspieler und deren Treffsicherheit im Ausdruck sind schwer beschreibbar, wie Tartuffe in der Gier das Tischtuch zu sich hinzieht, wie er wie fliegend, an der Tischkante lehnt, sein Gesicht vorstreckend wie ein Vogel, wie die Mariane sich vor Ekel über die Aussicht ihn heiraten zu müssen, sich beinahe übergeben muss, sich damit wehrt, weil sie es nicht aktiv schafft: „Ich habe solche Angst vor meines Vaters Macht, ich habe nie ein offenes Wort heraus gebracht!“ Wie der schmuddelige Cleante im Alkoholwahn schwankt und doch der einzig Vernünftige zu sein scheint, wie die Großmutter, Urheberin der leichten Blendbarkeit des Orgon, im Brautkleid erscheint und Konvention verkörpert, wie die laszive Elmire (Eva Geiler) Stolz und sexuelle Verführung verkörpert, ohne anstößig zu sein, wie dann die Sprache Molierés wirkt und ihre Parallelen im Hier und heute findet, wenn Tartuffe sagt: „Ich kenn die Kunst Gewissensbisse auszuräumen…je nach den Erfordernissen! Das andere Anstoß nehmen, bildet das Vergehen!“ das alles ist großartig ausgedrückt worden.
Die Machart erinnert an die Gösch-Inszenierung der Möwe 2008 im DT, selbst feinste seelische Regungen werden körperlich ausgedrückt, nicht spottend, nicht übertrieben, nicht banal witzig, verstörend echt. Dadurch gelingt es, auch Hysterie, auch Übertreibung, so zu spielen, dass man es ernst nehmen kann. Die Kunst Molieres, über die schlimmsten Dinge aufzuklären und dabei doch die Stimmung zu erhellen, indem entlarvt wird, und die „Geisselhiebe der Satire… die Fehler der Gesellschaft… dem Gelächter preisgeben“, wie im Programmheft aus Moliere zitiert wird, das wird hier zur Meisterschaft geführt.
Und dabei sind alle gleichermaßen Hauptdarsteller, niemand hat eine Nebenrolle, alle stellen differenzierte und doch zu verallgemeinernde Typen dar: Der schwächlich-naive Familienvater, der Tartuffe auf den Leim geht, ist Philip Seymour Hoffman nachempfunden, wie er den Truman Capote gab, da passt alles, die Tochter Mariane (Lisa Spickschen) sagt wenig, aber was sie ausdrückt, ist ein Preis auf dem Gebärdenfestival wert, sie schafft die kleinsten Regungen schon durch das Erröten ihrer Wangen zum Ausdruck zu bringen. Wie die Dienerin ( Petra Gorr) den dekadenten Familienmitgliedern ihre klugen Ratschläge erteilt: „Ein Herz, was wirklich liebt, muss standhaft sein!“ , und sich im Wortkampf mit dem Hausherrn schlägt, ist ebenfalls Preisverdächtig, und auch bei Cleánte, der den älteren Alkoholiker gibt, stimmen alle Bewegungen mit der Wirklichkeit überein, sagen was zur Wirklichkeit aus, geben Einblick, Einsicht und dazu lacht man und lacht man und genießt die Sprache Molieres, diesem Kenner der Menschheit, dem die Regisseurin Johanna Weissert und das Schauspielteam des Rostocker Theaters ein großartiges Denkmal setzen. Unbedingt sehenswert! Klug gespielt, kein Bisschen langweilig, wer was lernen will über die Welt, ohne seine Laune zu verlieren und dabei höchste Schauspielkunst sehen, der gehe in den Rostocker Tartuffe.
Ein Gedanke zu “Tartuffe in Rostock – Rezension”