Wie wird Geschichte gemacht? Hermanns Schlacht im „AufBruch-Gefängnistheater“

Schon im Jahre 1986 hatte Sewan Latchinian sein Debüt als Dramatiker mit dem Theaterstück „Grabbes Grab“ (Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin), mit dem er den Dichter Christian Dietrich Grabbe im wahrsten Sinne wieder „ausbuddelte“. 2009 nahm er diesen Stoff erneut auf, in dem er den „betrunkenen Shakespeare“, (Heinrich Heine über Grabbe) in mehreren Stücken lebens- und zeitgeschichtlich präsentierte. Sewan Latchinian fragte damals: Wie wird Geschichte gemacht, wer macht sie und was macht sie mit dem Volk?

Der Dichter Grabbe kam als Sohn eines “Zuchtmeisters” im Detmolder Zuchthaus zur Welt. Sein Leben war kurz und selbstzerstörerisch. Er hat schon mit 16 sein erstes Stück verfasst. Er gilt als Vorläufer des realistischen Theaters. Die damals von Latchinian in diesem Rahmen aufgeführte „Hermannsschlacht wurde in „Theater der Zeit 11/9“ von Martin Linzer als Rehabilitierung des Stückes empfunden, dass lange Zeit nur im Sinne eines aufgeblähtem Nationalismus interpretiert, schon 1893 öffentlich antisemitisch aufgeladen und schließlich von den Nazis in diesem Sinne vergöttert wurde. Grabbe hingegen legte den Konflikt als eine Auseinandersetzung zwischen einem starren, technischen Apparat von Eroberern und einem partisanenähnlichen Abwehrkampf unterlegener Volksgruppen an. Sein Stück heroisiert grade nicht, sondern beide Seiten werden realistisch und humorvoll, mit negativen und positiven Eigenschaften behaftet dargestellt. 

Arminius, genannt „Hermann“ ist dabei einer, der durch Aufwachsen im Staat der Eroberer, plus militärischer Ausbildung, umfangreiche Kenntnisse erworben hat, die er dem eigenen unterdrückten Volk zu Gute kommen lassen will. Dabei aber auch herabsieht auf die noch unterentwickelten Unterdrückten, von denen er nie ganz als ihresgleichen akzeptiert wird. Sein Ziel als Grenzgänger, der im römischen Heer dient, aber heimlich die Stämme der Germanen hinter sich vereint, war zwar, das römische Joch ganz abzuschütteln, dabei gelingt es ihm aber nicht, die Befindlichkeiten der vielen unterschiedlichen Stämme zu vereinen und einem Sieg über den Römer Varus folgt schließlich nicht der Sturz Roms, wie von ihm beabsichtigt.

Diesen Stoff nahm sich Regisseur Peter Atanassow als ein Lehrstück über das so häufige Scheitern des Sich-Wehrens einer unterdrückten Volksgruppe gegen eine technische Übermacht vor und inszenierte es mit dem Erwachsenen-Team des AufBruch-Gefängnistheaters im alten Innenhof der JVA Tegel. Dort umstehen drei alte leerstehende Gefängnishaus – Längsfronten in einer düsteren Kulisse aus dem 19. Jahrhundert die Handlung, wie in einem Film. Das Stück: „Hermanns Schlacht“ nach Christian Dietrich Grabbe zeigt arrogante, gebildete, städtische Umgebung gewohnte Römer (mit roten Schulterkappen) und verzweifelte, starke, wald-bäuerische Umgebung gewohnte (mit unterschiedlichen Pelzen behangene) Germanen. Hart geht es zu und unerbittlich. Auf beiden Seiten, Gewalt verroht, das wird klar. Das Besondere: Parallelen werden gezogen: Zu Beginn ein eindrucksvoller Monolog. Ein Mann mit schwarzer Hautfarbe deklamiert Worte des Patrice Lumumba: „Die Gringos sagen nicht die Wahrheit…wir können sie verjagen…Alle Menschen wurden von demselben Geist geschaffen… alle Menschen sind Brüder…unser Volk stirbt…um uns zu schützen, müssen wir kämpfen“

Römische und germanische Gruppen werden in ihren Lagern und bei Kampfhandlungen gezeigt. Humorvolle Darstellung. Kein bisschen heroisch. Es geht um Gewalt von Herrschenden und Unterdrückten, wie sie sich ähnelt und worin sie sich unterscheidet. Die unterdrückten Germanen sind uneins, streiten und misstrauen sich, können ihren Sieg nicht für sich nutzen, bekämpfen einander, aussichtslose Tode, Varus stürzt sich ins Schwert, andere machen es ihm nach, die vom Krieg erschöpften Männer ermorden sich selbst und gegenseitig. Das Gefängnis blickt auf Tote und Besiegte.



Das ist der Weg des Hasses

Einer erzählt das Experiment von den Mäusen. Sie wurden in eine Schachtel mit Strom am Boden gesperrt. Alleine und mit Ausweg, fanden sie diesen schnell, alleine ohne Ausweg, wurden sie nach verzweifeltem Springen und gegen die Wände rennen müde und resigniert und gaben sich schließlich krampfend den Schmerzen hin. Zu zweit, beide den schmerzenden Stromstößen ausgesetzt, fielen sie übereinander her und töteten sich.  Laut: Das ist der Weg des Hasses

Eine Nebenhandlung wird eingefügt: 1960 gelang es Lumumba, das Volk des Kongo zu befreien. Die Unabhängigkeit ist aber dornenreich. Die alte Eliten, gespielt von den Römischen Truppen mit schwarzen Umhängen als Bankiers verkleidet, denken sich eine Reihe von Intrigen aus, wie sie ihn mit seinem Volk entzweien oder die ehemals Unterdrückten gegen ihn aufbringen können, als das nicht hilft, lassen sie ihn ermorden. Die Bankiers resümieren, es käme darauf an, die Freiheit, die von den Unterdrückten eigentlich im Kampf erobert wurde, als von obersten Gnaden „empfangen“ darzustellen. Es lebe die Freiheit, ja, die Freiheit der Diamanten, des Kupfers…

Hier wird Zeitgeschichte aus dem 9. Jahrhundert mit der von heute abgeglichen. Dabei kommt man ins Nachdenken: Heute heißt es auch oft: Für die Freiheit. Welche Freiheit ist es, fragte schon Brecht. Die der Menschen oder des Geldes? Das fragt heute auch die Jugend in der Klimabewegung Geld vor Mensch? Sehr lehrreich.  Dabei, wie so oft, sehr gut und authentisch gespielt.

Die Themen Gewalt, Krieg, Misstrauen, Hass schmerzen, auch das Scheitern von Partisanenbewegungen und die immerwährende Macht des Geldes. Das alles wird von heutigen Deklassierten emotional sehr gut nachgespielt. Der Zuschauer erlebt dazu etwas von der Gewalt, die die Spieler selbst erfahren. Staatliche Gewalt wird in Natodrahtrollen sichtbar, auf hohen Mauern, zeigt sich in martialischen Häusern, einer halben Stadt, vielfach vergittert. Aus den Fenstern schreien Verzweifelte, die staatliche Gewalt hält sich bewaffnete Uniformierte, sie bewachen, wie sich die Gefangenen im Guerillakampf üben, gegen die Römer.   

Am Ende Trauer und Nachdenklichkeit: Unsterbliche Seele…liegt es an uns? Die Götter gaben den Menschen eine letzte Chance. Wehe, wenn dann der Falsche kommt. Am Ende steht einer aus den Trümmern auf, schreit: Reißt die Fahnen hoch!  

Das Stück macht sehr gut deutlich wie modern Grabbe war und dass seine Hermannschlacht jedenfalls nichts mit den Deutschnationalen zu tun hat. Es erzählt etwas für alle Geschichtsepochen Bedeutsames.

Besonders herausragend spielten: H.Peter Maier C.d.F. als Varus und Paul E. als Arminius. Aber auch Adrian Zajac als Thusmelda war großartig, und witzig und Nicolas als Lumumba sprach den Erstmonolog mit einer sehr eindrucksvollen, wie von innen her kommenden tiefen Überzeugung.
Großartig, sehr empfehlenswert! Nächstes Stück unbedingt ansehen, lohnt sich sehr! Auf der Webseite: https://www.gefaengnistheater.de/

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