Das weiße Band – Rezension
www.dasweisseband.x-verleih.de” Das weiße Band, Kinostart: 15.Oktober 09, von Michael Haneke:
Das weiße Band, mit dem man die Kinder kennzeichnet um sie gegen die Sünde gefeit zu machen und das sie tragen müssen, solange die Strafe andauert, Wochen und Monate. Das weiße Band, mit dem die Hände rechts und links des Bettes in den Nächten sehr wirkungsvoll gefesselt werden, um vor Onanie zu schützen und die nur hinderlich sind, wenn es brennt, da sich das Kind nicht selbst abbinden und dann leicht in Panik geraten kann. Doch auch das trauen sich die Geschwister nicht, den Bruder abzubinden, als sie die Flammen schon spüren. Das weiße Band, dass die Unschuld bedeutet, die den Kindern genommen wird von eben jenen, die deren Unschuld immer im Munde führen. Das weiße Band im Haar, die Rute auf dem Körper, die Ringe unter den Augen, der zusammengepresste Mund des verzweifelten Kindes, das nach Rache dürstet, ohne es zu wissen.
Ein Film über die Geschichte der Erziehung
Ein Film über die Geschichte der Erziehung im Fontane´schen Deutschland wie in schwarzweiß-Fotografien eines Familienalbums. Der langsame Verfall der Menschen von Kindheit an. Das Ersticken in den engen Schranken der von Gott und dem Baron festgelegten Klassen. Das eruptive Öffnen der Ventile in heimlichen Ausbrüchen, die verborgen bleiben. Das Zerbrechen der relativen Klassenharmonie, dem Angst, Schmerz, Ausgeliefertsein, Hass, Selbstmord und Tod vorausgehen. Gesichter vergangener Zeiten halten uns den Spiegel vor und erklären uns unsere Geschichte, die uns nun eindeutiger als vorher erscheint, was der ausgesprochene Gewinn des Films ist, den wir mit zusammengekrampftem Gefühl und starren Augen ansehen.
Blickwinkel von unten
Es gelingt ein vollkommener Blickwinkel von unten. Aus der Perspektive der Kinder eines beliebigen deutschen Dorfes stellt sich die Welt als der alltägliche Alptraum dar, in dem die Erwachsenen die Statisten sind, die die Kinder hinter verschlossenen Türen mit Gewalt in die vorgegebenen Rollen pressen. Das gelingt nur halb, denn die Kinder haben gelernt sich zu verbergen, ihre Münder zu verschließen, ihre Wut herunterzuschlucken und einzig in ihre Augen die Kraft einer fragenden Zukunft zu legen, die aus dem Schmerz wächst und an der Wut würgt. Die schon sich formt, aber noch nicht fühlen kann. Zwischen idyllischer Erntearbeit und festlichem Erntedank gelingt es, die Idee dörflicher Idylle gründlich zu zerstören und den Zuschauer zum geistigen Mitgestalten des Films zu veranlassen. Die erhoffte Auflösung aller „Unglücksfälle“ wird nicht gegeben, am Ende gibt es, ähnlich wie in Cache´, mehr Fragen und Rätsel als am Anfang.
Man macht sich seine eigenen Gedanken
Man denkt, lernt, macht sich seine eigenen Gedanken. Die Bilder lösen Assoziationen aus, mit denen jeder sein Inneres vollständig ausfüllt. Durch Weglassen gewinnt die Geschichte. Es gibt keine Farben. Man ergänzt. Im Sterbezimmer sieht man ein halbes Bett, die halbe Tote, den halben Mann und das Schluchzen wird abgeblendet. Der verborgene Teil enthüllt sich in uns.Den alten Erzähler sieht man jung, wie auf Erinnerungsfotos, und hört doch seine alte Stimme, die aus dem Lehnstuhl heraus keine Wahrheit behaupten will, nur Lücken zwischen den Vergesslichkeiten, die vielleicht auch ganz anders gewesen sein könnten, hervorkramt, und anhand aufgeklappter Seiten wie in einem Fotoalbum, mit den Bildern des Films dem Mann hilft, seine Geschichte zusammen zu bekommen. Aber das Unterdrücken geht nicht ohne Schäden ab. Die Sittengeschichte deutscher „Kindergeschichte“ mündet in den Abgrund des ersten Weltkriegs wie in eine Erlösung ein. Michael Haneke will, das betont er immer wieder, dass jeder Mensch seine eigene Deutung findet, will nicht folgsam machen, will, dass man sich selbst entwickelt, wächst, zum Nachdenken kommt – dieser Anspruch – kein anderer als der Brecht´sche des Epischen Theaters, ist ihm hier, wie ich finde, durchaus gelungen, noch dazu mit einer sehr besonderen Machart.
_________________________________________________________
Interview mit Michael Haneke:
Frage: Herr Haneke, gibt es das „weiße Band“ eigentlich wirklich?
Der Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke macht bei der Arbeit keine Kompromisse, und das bekommt der Zuschauer zu spüren. Nicht unterhalten sollen seine vielfach preisgekrönten Filme, sondern irritieren – keine fertigen Antworten liefern, sondern Fragen stellen.
„Notwendige Filme“ nennt die Schauspielerin Juliette Binoche Hanekes Werk, „die man sich von Zeit zu Zeit ansehen sollte. Aber sicher nicht immer.“
„Das weisse Band“, Hanekes jüngstes und mit zwölf Millionen Euro Budget bislang teuerstes Epos, ist am Vorabend des ersten Weltkriegs angesiedelt und erzählt fragmentarisch von den mysteriösen Vorgängen um einen Kinderchor in einem prototypischen Dorf in Norddeutschland. Der Film gewann in Cannes die Goldene Palme und ist Deutschlands nächster Oscar-Beitrag in der Kategorie „bester nicht-englischsprachiger Film“. Wir trafen den 67-jährigen Autorenfilmer im Rahmen des Münchner Filmfestes und sprachen mit ihm über Terrorismus, aufwändiges Kinder-Casting und seinen Hang zur Perfektion.
Spielfilm.de: Herr Haneke, gibt es das „weiße Band“ eigentlich wirklich? Haneke:Ja, das habe ich aus einem Buch. Überhaupt stammen die meisten Geschichten, die in meinem Film vorkommen, aus Büchern. Ich habe bergeweise Literatur über Erziehung und das Leben im 19. Jahrhundert gelesen. In einem der Bücher wurde den Eltern der Erziehungsratschlag gegeben, ihren Kindern ein weißes Band umzubinden, um sie damit nicht nur an deren ungebührliches Verhalten zu erinnern, sondern auch vor den anderen bloßzustellen. Quasi als Alternative zur körperlichen Züchtigung.
Spielfilm.de: Wann haben Sie damit begonnen, sich diese Geschichte zurechtzulegen?
Haneke:Die Grundidee hatte ich sicherlich schon vor 15 oder 20 Jahren: Ein Kinderchor in einem Dorf, der die Ideale der Väter verabsolutiert und sich dadurch zu den Richtern der eigenen Eltern macht, die Wasser predigen und Wein trinken. Immer wenn eine Idee zur Ideologie mutiert, wird sie von jenen ergriffen, denen es schlecht geht. Das ist das Grundmodell von jeder Form von Terrorismus.
Spielfilm.de: Manche Filme stellen Terroristen ja durchaus sympathisch dar. Bei Ihnen ist das anders.
Haneke:Ich glaube, dass Terrorismus immer etwas Unsympathisches ist, weil er auf Kosten von anderen geht. Ich kannte Ulrike Meinhof ja persönlich, sie war damals ein sehr sympathischer, warmherziger, engagierter und sogar humorvoller Mensch – was man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Nur: Ab einem gewissen Punkt war sie das eben alles nicht mehr. Sobald man gegen jemanden Gewalt ausübt, ist es auch mit der Sympathie vorbei. Ich kann vielleicht verstehen und erklären, weshalb jemand soweit gekommen ist, aber deswegen kann ich es noch lange nicht gutheißen.
Spielfilm.de: Sie siedeln Ihren Film kurz vor dem ersten Weltkrieg an. War diese historische Distanz aus Ihrer Sicht notwendig?
Haneke:Sie könnten heute theoretisch in einem islamischen Land einen Film über das gleiche Thema machen. Der würde dann zwar völlig anders aussehen, aber die Grundidee, die ich gerade erklärt habe, wäre dieselbe. Man hätte den Film auch, Stichwort Ulrike Meinhof, über den linken Faschismus machen können. Mich interessiert ja gerade der gemeinsame Nenner bei jeder Form von Terrorismus.
Spielfilm.de: Dass es von der Grundidee bis zur Realisierung des Films geschlagene zwanzig Jahre gedauert hat…
Haneke:…hat einen ganz banalen Grund: Ich konnte das Projekt vorher nicht finanzieren. Ein historischer Film mit Kindern in den Hauptrollen – da haben alle abgewinkt. Jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß natürlich, dass so etwas in Deutschland ein kleines Vermögen kostet. Sie dürfen mit Kindern nur eine bestimmte Stundenanzahl drehen, und Kinder brauchen bekanntlich etwas mehr Zeit, bis sie eine Szene perfekt hinkriegen. Kurzum: Die Dreharbeiten dauern doppelt so lang. Und auch historische Stoffe schrecken einen Produzenten erstmal ab.
Spielfilm.de: Welcher „ahnungslose“ Produzent hat sich schließlich breitschlagen lassen?
Haneke:(lacht) Aufgrund der Erfolge meiner letzten Filme dachten die Leute wohl, dass es sich trotzdem auszahlen könnte. Aber „Das weiße Band“ war zweifellos ein teurer Film – der teuerste, den ich bisher gemacht habe. Zwölf Millionen Euro sind viel Geld.
Spielfilm.de: War die Arbeit mit den Kindern denn so schwierig wie befürchtet?
Haneke:Es war sehr schwierig, sie zu finden. Wir haben 7000 Kinder über ein halbes Jahr lang gecastet. Das ist viel Arbeit, und die habe ich nicht allein gemacht, sondern mit einem Team von zwanzig Leuten. Man muss eben begabte Kinder finden. Trotzdem ist die Arbeit manchmal schwieriger als mit einem ausgebildeten Schauspieler, oft aber auch einfacher. Denn Kinder, gerade kleinere, spielen in ihrem Leben ja andauernd. Wenn die einen Tiger spielen, dann sind sie in dem Moment der Tiger. Wenn Kinder begabt sind und die Situation verstanden haben, sind sie zum Küssen und machen es besser als jeder Schauspieler. Außerdem habe ich mit Kindern viel Erfahrung, in fast allen meinen Filmen spielen welche mit.
Spielfilm.de: Sie zeigen den Film in schwarzweiß, weil – wie Sie sagen – unsere Erinnerung an die Zeit vor dem ersten Weltkrieg von Schwarzweißfotografien geprägt ist. Gedreht wurde allerdings auf Farbmaterial…
Haneke:Dafür gibt es zwei Gründe: Der erste ist ein ganz banaler, nämlich dass der Vertrag des deutschen Produzenten mit dem deutschen Fernsehen beinhaltet, dass der Film dort in Farbe gezeigt werden soll. Wobei ich hoffe, dass man, wenn der Film erfolgreich ist, auch das deutsche Fernsehen dazu bringen kann, davon Abstand zu nehmen. Der eigentliche Grund war jedoch, dass es kein Schwarzweißmaterial gibt, das lichtempfindlich genug ist, um mit Kerzen und Petroleumlampen zu arbeiten. Deshalb haben wir in Farbe gedreht und alles digital bearbeitet. Kopiert wird der Film dann aber auf Schwarzweißfilm.
Spielfilm.de: In vielen Kinos wird er allerdings gleich digital gezeigt. Haneke:Vor zwei Jahren wäre das noch gar nicht möglich gewesen, weil die digitale Projektion damals noch nicht soweit war. In der digitalen Version zeigt der Film Bilder, die von August Sander stammen könnten – mit einer Brillanz, die auf herkömmlichem Schwarzweißfilm nicht annähernd zu erreichen ist. Die digitale Projektion ist ein echter Fortschritt. Wenn Sie sich heute einen Film aus den 50er-Jahren ansehen, so kommt der Ihnen ziemlich unscharf vor. Wir schauen immer genauer hin, das sind wir auch vom Fernsehen gewöhnt: Ein nur zehn Jahre alter Fernsehfilm sieht nach heutigen Maßstäben oft furchtbar aus. Ich bin kein sentimentaler Materialfetischist und war deshalb auch einer der ersten, die von konventionellen auf digitalen Schnitt mit AVID umgestellt haben. In zehn Jahren ist Film sowieso überholt, dann ist alles digital ausgestattet. Es geht doch überhaupt nicht um das Material, sondern darum, was man damit transportiert.
Spielfilm.de: Das, was Sie in Ihren Filmen transportieren, ist für den Zuschauer nicht immer leicht verdaulich. Das gilt auch für „Das weisse Band“. Man wird unwillkürlich an das von Reich-Ranicki popularisierte Brecht-Zitat „Und wieder sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“ erinnert.
Haneke:(lacht) Ein Zitat, das ich immer gerne verwende, denn: Das ist tatsächlich mein Prinzip.
Spielfilm.de: Denken Sie dabei auch daran, dass Sie den Zuschauer überfordern könnten? Gibt es bei Ihnen ein Limit: bis hierher und nicht weiter? Haneke:Es ist ja ein Klischee, dass man den Zuschauer überfordert, weil er daran gewöhnt ist, mit Antworten vollgestopft zu werden. Die Frage ist nur: Ist das der Weisheit letzter Schluss, wenn Film als Kunstform Bestand haben soll? Muss man die Erwartungen erfüllen, die den Zuschauern von der Erzählhaltung des Fernsehens eingetrichtert wurden? Ich glaube nicht. Bei der Musik und in der bildenden Kunst regt sich niemand darüber auf, dass das Werk keine Antworten gibt. Man lässt es auf sich wirken, und es bewegt etwas. Aber kaum kommt die Sprache ins Spiel, wird alles auf einen Begriff gebracht, und in diesem Moment ist es tot, erledigt, vielen Dank. Ich versuche, die Dinge offen zu halten. Ich will von Kunst gefordert werden und nicht immer nur das bestätigt bekommen, was ich sowieso schon weiß. Sonst habe ich zwei Stunden Zeit verloren. Mich haben immer die Filme und Bücher weitergebracht, die ich ein bisschen irritierend fand.
Spielfilm.de: Sie fordern vom Publikum eine Interpretationsleistung. Das beinhaltet auch die Gefahr der Überinterpretation.
Haneke:Gegen Missverständnisse ist kein Kraut gewachsen. Auch wenn Sie es noch so eindeutig sagen, werden Sie immer Leute finden, die es anders interpretieren – weil es beispielsweise nicht in deren Weltbild passt. Und wenn Sie zehn Leute bitten, ein Ereignis zu beschreiben, bekommen Sie Beschreibungen von zehn verschiedenen Ereignissen. Damit muss man leben, es gibt keine todsichere Methode, dass der Rezipient „kapiert“, was der Autor will. Das wäre auch stinklangweilig, denn könnte man die gesamte bildende Kunst eigentlich wegwerfen.
Spielfilm.de: Ihren Filmen wird gerne eine „vernichtende Wirkung“ nachgesagt.
Haneke:Das habe ich schon oft gehört, dabei finde ich meine Filme überhaupt nicht vernichtend. Sie verunsichern ein bisschen. Ich bin sicherlich kein Optimist, das sieht man auch an meinen Filmen. Und ich bin mit zunehmendem Alter immer mehr davon überzeugt, dass die Lernfähigkeit der Menschheit recht begrenzt ist. Aber ich bin auch kein Pessimist. Ich halte mich für einen genauen Beobachter der Wirklichkeit, also einen Realisten. Ich versuche, den Zuschauer in eine bestimmte Richtung zu stoßen, damit er sich dann dagegen wehrt. Ich halte das für produktiv.
Spielfilm.de: Hinterfragen Sie später auch sich selbst und Ihre Werke? Haneke:Überhaupt nicht. Nachdem ich einen Film gemacht habe, vergesse ich ihn und beschäftige mich mit dem nächsten – außer wie jetzt, in Gesprächen mit Journalisten…
Spielfilm.de: …die Sie ja nicht so gerne mögen…
Haneke:Wenn ich es nicht tun müsste, würde ich es nicht machen. Aber nicht, weil ich nicht gern mit Journalisten rede, sondern weil ich es besser finde, wenn das Werk spricht und nicht der Autor.
Spielfilm.de: Sie drehen grundsätzlich ohne Filmmusik, um – wie Sie sagen – mit Musik nicht Ihre eigenen Fehler zu verdecken…
Haneke:…was sehr oft der Fall ist.
Spielfilm.de: Und irgendwie auch arrogant klingt, weil es impliziert, dass andere Regisseure, die mit Filmmusik arbeiten, viele Fehler zu kaschieren haben.
Haneke:Ich kann das durchaus präzisieren: Es gibt Genrefilme, zu denen Musik ursächlich gehört. In realistischen Filmen, die unsere Realität abbilden sollen, halte ich eine Musikuntermalung dagegen für unzulässig. Sie sorgt nämlich nur für eine zusätzliche Emotionalisierung, die mit anderen Mitteln nicht erreicht werden konnte.
Spielfilm.de: „Das weisse Band“ gewann in Cannes die Goldene Palme und ist Deutschlands Beitrag für das Rennen um den nächsten Auslands-Oscar. Haben Sie auf großen Festivals eigentlich Kontakte und einen Meinungsaustausch mit anderen Regisseuren und Stars?
Haneke:Überhaupt nicht. Ich sitze auch dort den ganzen Tag in einem Hotelzimmer und spreche mit Journalisten. Ich war mit meinen Filmen jetzt neun Mal in Cannes vertreten und habe in dieser Zeit ganze vier Filme gesehen. Weil ich einfach keine Zeit habe.
Spielfilm.de: Und außerhalb von Festivals? Gibt es überhaupt Kontakte mit „Mainstream“-Vertretern?
Haneke:Nein. Regisseure sind ja auch meist Einzelgänger. Da gibt es kaum persönliche Kontakte. Wenn man einen Film dreht oder ein Theaterstück inszeniert, glaubt man gern, in den Kollegen, mit denen man sehr intensiv zusammenarbeitet, Freunde fürs Leben gefunden zu haben. Doch nach der Premiere ist alles vorbei. Das gehört zu diesem Job. Natürlich gibt es bestimmte Schauspieler, die ich sehr schätze und deshalb immer wieder verwende. Das erleichtert auch die Arbeit. Und mit einigen, wie Isabelle Huppert oder Juliette Binoche, bin ich auch befreundet. In meinem privaten Bekanntenkreis haben allerdings nur wenige Menschen mit Film zu tun.
Spielfilm.de: Angeblich betrachten Sie die Dreharbeiten als den „lästigsten“ Teil Ihrer Arbeit.
Haneke:Mit Sicherheit der stressigste. Denn die eigentliche kreative Arbeit findet vorher statt. Als Filmautor schreibe ich ja meine Sachen selber. Überhaupt sind die Autoren wichtiger als die Regisseure. Ohne ein gutes Buch kommt man das Regisseur nicht weit. Die produktive Arbeit findet vor dem Drehen statt, da sucht man sich die Sachen aus und macht das Storyboard. Das Drehen ist der Stress – da muss ich das, was ich im Kopf habe, auf die Leinwand bringen. Dabei gibt es einen positiven Aspekt, und das sind die Schauspieler. Denn die steuern noch etwas Zusätzliches bei. Bei allem anderen muss man ständig aufpassen, dass es nicht weniger wird als das, was man sich ausgedacht hat. Gute Mitarbeiter, auf die man sich verlassen kann, mindern den Stress ein bisschen. Ich aber bin ein Kontrollfreak und achte auf Millionen Kleinigkeiten. Das ist stressig.
Spielfilm.de: Ihr Regieassistent hat demnach kein leichtes Leben. Haneke:Niemand hat ein leichtes Spiel mit mir beim Drehen. Ich bin ein relativ autoritärer Regisseur. Auch die Schauspieler haben kein leichtes Spiel, weil ich relativ hartnäckig bin. Andererseits werden sie von mir auf Händen getragen, und das Team wird nicht gequält, sondern auf Vordermann gebracht, damit alles funktioniert. So schlimm kann ich auch nicht sein, sonst würden nicht immer wieder die gleichen Leute mit mir arbeiten wollen. (lacht)
Spielfilm.de: Dreht der hartnäckige Perfektionist Haneke dann auch in Kubrick-Manier zahllose Takes von einer Szene?
Haneke:Viele, ja.Spielfilm.de: Um unterschiedliche Dinge auszuprobieren, oder um präzise auf den Punkt zu kommen?
Haneke:Ich drehe nicht, wie es etwa in Amerika üblich ist, gleichzeitig mit mehreren Kameras aus verschiedenen Perspektiven, sondern immer nur genau das, was gerade in meinem Storyboard steht. Und das solange, bis ich damit einverstanden bin.
Spielfilm.de: Improvisiert wird bei Ihnen am Set also eher nicht. Haneke:Nein. (lacht) Wenn ich mit den Kindern auch noch improvisiert hätte, hätte ich vermutlich noch ein Jahr länger gebraucht. Es ist auch eine große Mär, dass etwa ein John Cassavetes der Schauspielerregisseur der Filmgeschichte sei. Da wurde vor den Dreharbeiten wochenlang geprobt.
Spielfilm.de: Haben Sie vor den Dreharbeiten ebenfalls viel geprobt oder gemeinsam gelesen?
Haneke:Gar nichts. Nur mit dem Liebespaar, für die Szene auf der Kutsche. Auf der war ja nur die Kamera montiert und kein Platz für mich, da konnte ich nicht dabei sein.
Spielfilm.de: Insbesondere die amerikanischen Kritiker sahen in „Das weisse Band“ in Cannes ja einen Film, der das Heranwachsen der Tätergeneration im Dritten Reich beschreibt. Ist das nicht etwas zu kurz gegriffen?
Haneke:Die Amerikaner stürzen sich auf so etwas natürlich, aber ich habe schon in Cannes in allen Interviews gesagt, dass man den Film nicht so verkürzen sollte. „Das weisse Band“ ist kein Film über den Faschismus und kann ihn auch gar nicht erklären. Es ging um die Grundkonstellation: Woraus entstehen Fanatismus oder Terrorismus?
Spielfilm.de: Wissen Sie bereits, welchen Film Sie als nächstes machen wollen?
Haneke:Ich habe zwei Projekte im Auge, aber über ungelegte Eier soll man eigentlich nicht reden.
Spielfilm.de: Eine Komödie dürfen wir von Ihnen aber sicher nicht erwarten.
Haneke:Man soll von einem Schuster nicht erwarten, dass er Hüte macht. Ich bin leider nicht mit der Gabe des Witzes gesegnet. Ich kann das nicht. Ich habe in meiner zwanzigjährigen Theaterlaufbahn eine einzige Komödie gemacht. Es war der einzige Flop meines Lebens. von
Rico Pfirstinger in in München 2009
Ein Gedanke zu “Das weiße Band – Rezension”