Unter Kontrolle – Berlinale – Rezension
Zu Beginn ein schwarzes Bild, weiß durchbrochen, wie ein künstlicher Sternenhimmel, dort werden unregelmäßige Verläufe sichtbar, man sieht weiße längliche Teile, die sich wie Blitze am Himmel oder wie Staphylokokken unterm Mikroskop bewegen, dazu elektronisch regelmäßige Piepgeräusche, lange Einstellung, was ist das? Eine sichtbar gemachte Strahlung. Das as war es immer, was uns gefehlt hat, wir konnten die Gefahr nicht sichtbar machen.
Dann das silberne Modell eines Brennstabs, die Kamera fährt daran entlang wie an einem Kunstwerk, jeder dieser Brennstäbe, haltbar ein Jahr, ästhetisch verpacktes Giftmaterial, die darin enthaltende Strahlung ist, im Falle des Plutoniums mit 12 Kilo in der Lage die Menschheit zu vernichten, dagegen war Ausschwitz eine lächerliche Vorübung, wie Gunter Anders einmal sagte, 15 Millionen Jahre braucht es, um die Gefährdung auf die Hälfte davon abzusenken. Wie werden wir das unseren Nachkommen vermitteln können, höre ich mich vor mich hin murmeln, „da ist keiner mehr da“, sagt mein Nachbar. Auf der Leinwand Wasser, schönes, herab rieselndes kühlendes Wasser, das von oben über gespenstische Stäben fließt, Langeinstellungen, helles, schäumendes Wasser, die Technik im Film glänzt in perfektionistischer Pracht, Kommandozentralen wie aus dem Raumschiff Orion, Farben, Ästhetik, doch minütlich werden die Abschaltungen und kleineren Ausfälle gemeldet, alles wird aufgelistet und dokumentiert, alles hat seine Ordnung, alles unter Kontrolle.
Ingenieure kommen an langen Tischen zusammen
Schnellabschaltungsmechanismen auf jeder Kontrollebene, der Mensch ist fehlerhaft, das ist einkalkuliert, die Geräte haben alles im Griff, sie kontrollieren die Mitarbeiter, sind mehrfach vorhanden, man ist stolz auf die Sicherheit, nichts entgeht den wachsamen Augen der Ingenieure, die täglich an langen Tischen zusammenkommen und die Ministörungen auflisten, endlose Listen, später der Filmblick in das Wasserblau des Reaktors, darin flimmernd die Brennstäbe, großartige Technik, orangener Kran, rote Arbeitsgebäude gegen tiefflimmerndes Blau, Komplementärkontraste. Man sieht auch Menschen, Männer in ebensolchem Blau, Arbeitskittel über nackten Körpern, im Inneren tragen die Männer gelb, Symbol für verstrahlt, bis auf die Unterwäsche ist alles gelb, Helme gelb, Handschuhe gelb, Schuhe, Unterhemd, Unterhose, alles passend, ein jeder muss durch mehrere Schleusen, dann duschen, dann Männer in weißer Unterwäsche, Handtücher, Saunastimmung, Das Essen findet in einer nichtkontaminierten Halle statt, in blauen Bademänteln vor Kunstblumen, wie Männer im Knast. Der Reaktor von außen: Strahlendes Weiß, Wiese, Radfahrweg, Dampf aus den Schornsteinen, dörfliche Weite, Kühe, Wassergras im Wind.
Man sitzt auf einer Bombe
Dieser Film lebt durch seine Bilder, die wie Fotografien die Zukunft kurz vor ihrem Untergang zeigen. Gespräche mit den Betreibern, leitenden Ingenieuren, Mitarbeitern, alles unter Kontrolle, auch das Filmteam wird kontrolliert, kein Wort von den Arbeitern, nur wenig Worte im Film, blinkende Lampen künden Unheil an, ernste Gesichter, hochgefahrenes Adrenalin, man sitzt auf einer Bombe, Frauen ist die Arbeit im Reaktor verboten, Kontamination, Jahresdosis, Tagesdosis, Riskiko minimieren, Arbeitsplätze. Man ist froh, man hat, andere haben nicht, was daraus wird, was nachher kommt, nicht wichtig, man arbeitet gewissenhaft, minimiert das Risiko auf 10 hoch minus zwölf. Die Bilder der Glanztechnik mit Elektronenmusik werden am Ende gekonnt Bildern von stillgelegten Reaktoren entgegengesetzt, kommentarlos. Man sieht Kalkar, in den 80-iger Jahren stillgelegt, „Tschernobyl hat uns den Nacken gebrochen!“
Abgebrochene Wände, verrottete Eisenträger
Man sieht Lublim, wie es abgerissen wird, die Abrissbirne kämpft sich millimeterweise gegen die Betonwände vor. Da man sich inzwischen auskennt, erkennt man an den „alten“ Reaktoren alle Apparaturen wieder, das Becken, die Kräne, die Kommandozentrale, die Kamera nimmt denselben Weg, nur jetzt über Ruinen, abgebrochene Wände, verrostete, verrottete Eisenträger, 20 Jahre Stilllegung: aus, ein Schrotthaufen, wie nach einem Unfall, Rost, zerfressene Eisen, zerbrochenes Beton und ein einsamer Bagger, der sich vorkämpft Millimeter für Millimeter, der Film besitzt keinen Soundtrack, er lebt durch die Geräusche des Hallens von Schritten im Reaktor, dem Türenschlagen der schweren Brandschutztüren, dem allgegenwärtigen Piepen der Kontrollampen, manchmal ist er minutenlang wie eingefroren in einem Bild, flimmerndes Licht des Brennstabs, sichtbar die Strahlung, sichtbar das bisher Unsichtbare, ein blaues Licht des Grauens. Es reichen 20 Jahre um ein Kraftwerk zu einem Steinhaufen verfallen zu lassen, wir müssen es aber 15 Millionen Jahre betreuen und uns bis zur doppelten Zeit davor schützen. In der anschließenden Diskussion wirft man dem Regisseur vor, sein Film enthalte zu wenig Informationen, dem wird gleich heftig widersprochen, er lebe durch die Bilder, er sei ein Kunstwerk, ein Kunstwerk des Grauens im Glanzmantel, den wir alle bezahlen, um davon abzulenken, dass wir unsere Zukunft vernichten. Dem kann ich nur zustimmen, es hat schon Hunderte von Filmen über Atomkraft gegeben, dieser zeigt uns das Innere der Bestie. Sehr sehenswert, einfach wirken lassen! Ein Film frei von jeder Lehrhaftigkeit.
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