Lö Bal Almanya – Rezension
Schon lange kann man in der Pädagogik den ebenso gefährlichen wie praktischen Trend beobachten, Verursachung jeglicher Verhaltensweisen neuerdings wieder durch „Vererbung“ zu erklären. So auch Sarrazin: „Man muss davon ausgehen, dass menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich…. ich erinnere an ein Dossier der Zeit dazu. Es berichtet von den zwanzig Tonnen Hammelresten der türkischen Grillfeste, die die Stadtreinigung jeden Montagmorgen aus dem Tiergarten beseitigt.“ (zitiert nach Programmheft)
Aussagen, dass Ausländer möglichst nicht zu viele kommen sollen sind im Westen seit den 50iger Jahren überliefert, bis dahin sprach man von Fremdarbeitern und meinte Menschen, die man eigentlich gar nicht sehen, mit denen man auch nicht reden, sondern die man nur zum Arbeiten, solange wie nützlich, hier haben wollte. Man sperrte sie weg und behandelte sie wie Untermenschen.
All dieser Traditionen wird in lockerer Szenenfolge gedacht, in dem Erfolgsstück „Lö Bal Almanya“, das derzeit Wiederaufnahme im Ballhaus Naunynstraße feiert (von Nurkan Erpulat und Tuncay Kulaoglu).
Karikiert wird sowohl die Anwerbesituation, als auch die Begrüßungs- und Alltagssituation der Anfangsphase der Gastarbeiter-Epoche, untermalt mit deutschen Heimatliedern, die hier glasklar und akzentfrei von jungen Deutschtürken gesungen werden. Die Albernheit und Zumutung des Deutschtests, genauso wie die allmähliche Entwicklung hin zur Isolation wird interessant dadurch versinnbildlicht, dass der ursprünglich urdeutsche Saal, in dem steif die Personen wie Ölgötzen sitzen ohne sich zu rühren, Szene für Szene, umgewandelt wird in ein türkisches Kaffeehaus, in dem es Teppiche gibt, auf dem sich Menschen nach Mekka hin verneigen und in dem alle Szenen aus der jungen Geschichten der Wirtschaftsemigrationsbewegung zwischen der Türkei und Deutschland erhellend gespielt werden.
Eine lockere Szenenfolge, die wenig dramatisch zusammengebunden ist, aber die für viele Assoziationen Raum lässt und großartige Schauspielleistungen zeigt. Im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg, zum Amüsieren wie zum Nachdenken gleichermaßen. Mitreißend, wandlungsfähig und toll wie immer: Sesede Terziyan, (Verrücktes Blut), Herausragend und witzig: Cem Sultan Ungarn (Bist du schwul oder bist du Türke?) Wo lernt man echtes deutsches Liedgut? Im Ballhaus! Hingehen!