Die Ängstlichen und die Brutalen – Rezension
6.5.11 / jw Feuilleton
Angst und Brutalität sind die zwei Seiten einer Medaille, sagt der Volksmund. Der Sozialwissenschaftler nennt es »Autoritätskonflikt«, der Psychologe »Identifikation mit dem Aggressor«: die Abwehr der Angst vor einer übermächtigen Autoritätsperson mit Härte und Kälte.
Die Konservierung eines Teufelskreises, der immer wieder zu neuer Übermacht über Schwächere, zu neuer Autoritätsangst und damit zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung im Sinne autokratischer Strukturen führt.
Im Stück »Die Ängstlichen und die Brutalen«, das von David Bösch im Deutschen Theater in Berlin inszeniert wird, finden zwei Brüder ihren Vater tot in dessen verwahrloster Wohnung. Es öffnet sich eine Wand, und ein Hort des Messitums wird sichtbar, für dessen Abtransport man drei Lastwagen benötigt. In Vermischung von Schuldgefühl und verdrängtem Haß beginnt bei den Kindern ein Zerfleischungsprozeß, in dem sich aggressive Auftritte mit hilflosen Umarmungen abwechseln. Es bleibt unklar, wie viele Tote am Ende des Stückes im Müll liegen werden.
Das Stück von Nils-Momme Stockmann, das Ende 2010 in Frankfurt/Main uraufgeführt wurde, verlangt den Schauspielern beinahe Unspielbares ab. Es ist durchaus möglich, daß sie jeden Abend ein anderes Stück spielen, je nachdem, ob und wie ihnen der Einstieg in die Psyche der Hauptpersonen gelingt. Als Zuschauer nimmt man dies als große Kraftanstrengung wahr. Aber beide Schauspieler, Werner Wölbern als der ältere Bruder und Christoph Franken als der jüngere), agieren sehr überzeugend. Die Brüder wirken in ihrer Gegensätzlichkeit symbiotisch. Für den Autor Stockmann sind sie keine »exotischen Singularitäten«, sondern »soziale Stereotypen, … Paradebeispiele für eine Gesellschaft, die auf dem Anhäufen von Kapital – echtem und symbolischem – beruht: Angst und Rücksichtslosigkeit.
Ein Psychodrama in der Art von Tennessee Williams, von einem Autor, der schon längere Zeit als großes Nachwuchstalent gehandelt wird. Mit klar antikapitalistischem Inhalt, die Tendenzen zurück zu einer rein repressiven Erziehung werden thematisiert. In der Inszenierung von David Bösch fehlen die Zitate aus dem Nachlaß des Vaters, damit wurde alles auf das Angst-Macht-Identifikationsgeflecht reduziert. In Berlin, wo es nicht selten vorkommt, daß Menschen erst nach Tagen und Wochen aus ihren Messihaushalten herausgeholt werden; in Deutschland, wo man schon wieder nach Konsequenz und Strafen in der Erziehung schreit, obgleich man doch gerade erst eine Epoche mit deren fatalen Folgen hinter sich gelassen hat. Ein sehr gut angelegtes Aufklärungsstück.
* Nächste Vorstellungen: 19.5., 6.6.11