Einer flog über das Kuckucksnest – Rezension
Der Regisseur Niklas Heinecke arbeitet seit 2004 regelmäßig in der Hamburg-Barmbeker “Zinnschmelze” mit einem Laienensemble. Nach der überaus professionell gemachten Aufführung „Das Fest“ gibt es nun die Buchadaptation des Antipsychiatrieklassikers „Einer flog über das Kuckucksnest“.
Den gleichnamigen Film hatte ich seinerzeit sehr kritisch gesehen, der Hauptdarsteller schien mir zu selbstverliebt, die Mitpatienten schienen mir zu sehr von oben herab gestaltet, als wollte man sich über sie lustig machen, die schwer psychisch Kranken waren für Zuschauer und Regie nur noch Interieur, sie spielten überhaupt keine eigene Rolle mehr, sie hatten die Funktion, das Publikum zu gruseln oder zu amüsieren. Trotzdem hatte der Film in den 70er Jahren wie eine Bombe eingeschlagen, denn für die in ihm vorkommende Psychiatriekritik war die Zeit gekommen. Auf allen psychiatrischen Stationen wurde er diskutiert, allerorten wurde der repressive Stil der psychiatrischen Behandlung angeprangert, die Antipsychiatrie war geboren und die Sozialpsychiatrie versuchte einige Jahre lang, die Hierarchien zwischen den Beschäftigten zumindest abzuflachen.
Mit Kunst die Gesellschaft verändern ?
Eine gute Freundin und ich, die auf einer Krisenstation ärgerte der Film, denn wir fanden, er hatte ein gutes Anliegen, war aber schlecht gemacht. Und ein schlecht gemachtes gutes Anliegen erreicht nicht das, was es erreichen könnte, es führt sogar manchmal zum Gegenteil. So hatten wir mit Grausen erlebt, wie sich das Publikum über die Patienten schenkelklopfend lustig machte, genau wie Regie und Kameraführung, Einstellung und Bildschnitt es suggerierten. Da für mich die Kunst dafür da ist, die Gesellschaft zu verändern, wenigstens etwas voranzutreiben, was die Gesellschaft schließlich verändert, so schien es mir überaus schade, dass hier die Psychiatriekritik nur halbherzig und oberflächlich gestaltet war. Ich ging also in das Barmbeker Theaterstück mit großen Vorbehalten.
Aktueller Zeitbezug
Umso überraschter war ich, dass Niklas Heinecke nur mit Laienspielern etwas hinbekommen hatte, was der damalige Film nicht geschafft hatte: Psychiatriekritik und gutes Spiel, Tiefe der Darstellung ohne Oberflächlichkeit, passend entwickelte Charaktere, die glaubwürdig waren, ohne Lacher über die Patienten hervorzurufen. Dazu noch aktueller Zeitbezug. Die Handlung ist, dass ein zur “Arbeit” abgeurteilter Spieler sich in die Psychiatrie einweisen lässt, weil er sich dort mehr Freiheit erhofft. Das Gegenteil ist der Fall, er findet eingeschüchterte, durch Unterdrückungsmechanismen resignierte gebrochene Menschen vor, die mittels Psychopharmaka ruhig gestellt sind und von einer machtgierigen Stationsschwester kleingehalten werden. Durchaus Probleme, die noch immer oder schon wieder, diesmal aus Sparmaßnahmsgründen, in Pflege, Psychiatrie und Pädagogik Aktualität haben.
Keiner Eitelkeit gehuldigt
Der Weg, wie dieser Outlaw den Mitpatienten andere Wege aufzeigt, wie er ihnen Mut gegen die kleinmachenden Sadismen der Ratchell macht, wie er selbst sich behauptet, obgleich er von der Psychiatrie schließlich psychisch umgebracht wird, der ist ein ganz anderer, als ihn Jack Nickolson eingeschlagen hatte, ernsthafter, differenzierter und manchmal auch witziger. Wie ist das geschehen? Wie wurde das erreicht? Erstens, indem alle Figuren eigene Charaktere bekommen, mit einer Vorgeschichte, mit einem woher und wohin, zum zweiten, dass keiner der Darsteller seiner eigenen Eitelkeit huldigt, keiner als Star herausgestellt wird, und zum Dritten, weil Heinecke es schafft, jedem der Spieler genau die Rolle auf den Leib zu schneidern, die für ihn oder sie zu passen scheint.
So bleibt nach dem Spiel der Eindruck, das Stück sei mehr gewesen als nur das was man sah, es stehe auch heute noch exemplarisch für Gegenwehr Eingeschüchterter gegen unterdrückende Strukturen und das nicht nur in der Psychiatrie.
Auch als endlich die Hirn-OP ins Spiel kommt, die hier zur geistig seelischen Disziplinierungs-Todesstrafe des McMurphy wird, kommt kein Grausen auf, da die Regie den McMurphy ab hier nur noch liegend, von den anderen verdeckt, im Profil nur ganz kurz sichtbar, wie schlafend, aber ohne die leiseste Spur nachahmender „geistiger Stumpfheit“ oder „Blödheit“, wie sie uns im Film vorgemacht wurde und damit genau die Menschen zum Tode verurteilte, die nichts dafür können so oder ähnlich auszusehen. Eine bravouröse Lösung, ein Mut machendes Drama, den Regisseur sollte man sich merken, das Laientheater in der Barmbeker Zinnschmelze auch. Fotos von: Frans Brood
Veröffentlicht: hier, weitere Aufführungen, leider die letzten: Am 20.und 23.10.11. Karten: hier