Das Schloss von Nurkan Erpulat – Rezension
jw Feuilleton / 14.10.11
In den Kammerspielen des Deutschen Theater in Berlin wird das Schloss gegeben, eine Kafka-Adaptation des Nurkan Erpulat (Verrücktes Blut).
Gezeigt wird, wie ein Fremder Zuflucht gewinnt bei Menschen, die ihm mit Misstrauen begegnen, wie ein klassenmäßig schwer Einschätzbarer in einem Dorf die untersten Stufen eines unbekannten hierarchischen Systems zu erklimmen versucht und daran scheitert, als sei schon dies der Gipfel des Himalaya, wie dann die unbekannten dörflichen Gefüge, Ergebnis Jahrhundertelanger Feudalstrukturen, zusammengesetzt aus Ehrverletzungen, Demütigungen, Ausstoßungen, Gewalt und heimlichen Grenzübertretungen, am Fuße eines übermächtigen Unbekannten sich kurzzeitig aufzuhellen scheinen, dann aber in sich zusammenbrechen, den Fremden dabei ausspuckend. Und da sich alle darin zusammenfinden, dass sie ihn ausstoßen, sind sie „Das Schloss“, das geschlossene System, dem der Einzelne gegenübersteht, kämpfend, trotzig. Die Übermacht wächst aus der Geschlossenheit dieses Gefüges, dass die Unterdrückten mit ihren Unterdrückern eingehen.
Die Bestrafungen schon erwartend
Das Stück wird gut bebildert mit Anlehnungen an „Das weiße Band“ von Hanecke: Ein Kinderchor tritt auf, in dem die jüngste gerade erst drei Jahre alt ist, sie wirken wie dem Film entsprungen, die gleichen Haarfrisuren, die eingeschüchterten, verschlossenen Gesichter, das gleiche plötzliche Auftauchen der Gruppe im abgedimmten Hintergrund, steif dastehend, die Hände vor dem Körper zusammengeführt, sehr brav, die Bestrafungen gleichsam schon erwartend, heimlich aber lauschend, registrierend, beobachtend. Oft sind sie hier abgetrennt, hinter einer von oben sich herabsenkenden Glaswand, wie hinter Fenstern und Türen, dazu die leisen Gesänge dieses Chores (Doors): „..in a desperate land“ und „…into this world we´re thrown“, jeweils zum Szenenübergang, ein kommentierender Verfremdungseffekt.
Ein Bild von Ohnmacht
Im Kopf fügt sich so das Schloss des Kafka mit dem Dorf aus dem weißen Band zusammen und gibt ein Bild des Abgrundes, aus dem schließlich die Explosion erfolgte, die hier fehlt. K. will „zum Höchsten“ vordringen, zum Schloss, aber er dringt nur immer mehr ein, in die Wirrnisse des Dorfes, das dem vorgeschaltet ist, ein perfektes Bild von Ohnmacht aus dem Blickwinkel desjenigen, der Außerhalb steht, viele Bilder, von Häuslichkeit und Intimität abgetrennt hinter Glaswänden, trügerisch einträgliche Wirtshausgemütlichkeit. Der Gegensatz dazu: abgehetzte Gesprächen zwischen K. und Frieda draußen im Schnee, Flucht in die Umarmung.
ach, ach, ach, aman, aman, aman
Sehr gut ist Sesede Terziyan in der Rolle der Frieda, sie gibt sie auf eine besondere Weise, wie schon in “Verrücktes Blut” und anderen Aufführungen, spielt sie großartig, mit einer wunderschönen Sprechstimme, die sie auch melodisch gut einsetzen kann: Als sie ein altes türkisches Lied über den Fremden anstimmt, aman, aman…,„Kein Plätzchen in der Fremde,…Kein treuer Freund.., Kein Tropfen Wasser, ach, ach, ach, aman, aman, aman…“, ist das Publikum mucksmäuschenstill, starr vor Ehrfurcht und Staunen, hingerissen von dieser musikalischen Ausdrucksfähigkeit.
Frida will nicht mehr
Frida, ist dem K. durch ihre Berührung mit einem Beamten der alleruntersten Stufe der Schlosshierarchie geheimnisumwittert und begehrenswert, obgleich diese „Berührung“ doch nur ein Benutzen war, üblich und als Gnade von den Mädchen des Dorfes als Schicksal akzeptiert, außer Olga, die deshalb in tiefste Armut und Erniedrigung fiel. Aber Frida will nicht mehr, sie will dem entfliehen, umso mehr, als sie nun K. zu lieben begonnen hat, K. braucht es aber doch so nötig, er lechzt danach, Kontakt zu einem der Beamten, um endlich einmal „dort“ vorgelassen zu werden. So gerät auch die Liebe wieder schnell aus den Fugen.
K. bleibt zurück, gehetzt
K. bleibt zurück, gehetzt, allein. Vom Typus hat ihn Erpulat eher unscheinbar gewählt, er ist kein Sieger, kein schöner Mann, er hat ihn jähzornig, unbeherrscht, nervös und abgerissen gestaltet, so wird die Figur sehr glaubwürdig. Den Landvermesser scheint er sich erfunden zu haben, der Schlossherr scheint dies in seiner Botschaft aus reiner Langeweile akzeptiert zu haben, weit ab von jeder Akzeptanz ist das, ein Wegstoßen das ganze Stück.
Was Kafka voraus fühlte und gleichsam schon für unsere Zukunft mitgestaltet hat, das hat Nurkan Erpulat mit seinem Ensemble sehr glaubwürdig auf die Bühne gebracht. Dass der Stoff überholt ist, kann nicht gesagt werden. Ergebnis: Das Schloss versteht sich jetzt besser als vorher, wenn das kein Erfolg ist?
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