Es war ein einmütiges Treffen Ost- und Westlinker aller Zeiten. Begrüßungen, Umarmungen, Zurufe, draußen die RBB-Übertragungswagen, die Veranstaltung in Koop von Melody & Rhythmus, BE und der jungen welt organisiert, war sehr gut besucht, man kam kaum durch.
Konstantin Wecker und Prinz Chaos II führen durch den Abend: „Das sollte eigentlich ein Geburtstagsfest sein, es wurde heimlich in Gang gebracht, dann hat er sich doch gefreut, nun ist er hinter seiner schwarzen Tür und kommt nie wieder“. „Wir hätten ohne ihn das Singen nie angefangen. Eine völlig neue Welt hat sich da aufgetan.“
Viele schöne Würdigungen
Wecker zitiert ein süddeutsches Blatt, das schrieb, dass das Liedermacher-Genre tot sei, diesem möchte er widersprechen, indem nun einige Liedermacher auftreten würden, die durchaus noch lebendig seien. Doch zuerst werden Gäste begrüßt, eine davon Gisela May, eine alte grand dame, sie steht auf in der ersten Reihe und braucht für ihren Beitrag kein Mikrofon. Lieder machen, der Begriff stamme vom alten Brecht, obschon er Angst gehabt hätte, dass es zu einfach erscheinen könne, dieses `machen´, sie sei zwar nicht gefragt worden, ob sie auch etwas singen solle, sie wolle aber schon mal sagen, dass man für derlei nie zu alt sei. Standing ovations für die jung gebliebene alte Dame, und sie singt dann kurz das Lied vom Kopf an, der dem Menschen nicht ausreiche. Konstantin Wecker, sagt sie, habe zuerst Opernsänger werden wollen, das habe sie ihm aber ausreden können.
Die wenigen Frauen waren spitzenmäßig
Ich kann nun hier leider nicht sämtliche Liedermacher in Reihenfolge ihres Auftretens würdigen, auch nicht deren durchweg wunderschöne Interpretationen der Degenhardt-Lieder, jeder sang je ein Lied von Degenhardt und eins von sich selbst, so wurde Degenhardt gewürdigt, auch in Erinnerung gerufen und die neuen Liedermacher mit und durch ihn bekannt gemacht. Eine sehr bunte Mischung durchweg empörter, witziger Liedermacher mit politischem Anspruch und auch sehr schönen eigenen Liedern. Die wenigen Frauen waren spitzenmäßig, insbesondere die mir bisher völlig unbekannte Dota Kehr. Sie sang zunächst von Degenhardt das Lied: Ein schöner Land und glänzte dann mit einem eigenen, das an Witz, politischer Botschaft und Originalität der musikalischen Umsetzung, die der meisten anderen positiv überstrahlte.
Die ganze Bäckerei
Ausgangspunkt sei ein Yorkbrückenzitat gewesen: „Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, sondern um die ganze Bäckerei“, Kern ihrer Aussage: “Die Welt ist was Gemachtes”, die Waren- und Konsumwelt sei nichts als Schein, ein „trommelnder Hase“ „Ich erkläre meine Steuer, sie erklärt sich mir nicht“ – „Geld ist Thyrannei“ , die Musik dazu führt zu standing ovations, äußerst originell. Aber auch andere gute Texte gab es, zB zum Thema der neuesten Objektivität von Bildern in den Medien: „Streubombe oder Lunchpaket, kommt drauf an, wie man die Kamera hält – Wo Geisterhände die Kulissen schieben und dahinter Geschwader fliegen“ ,
Carmen Meyer-Ajoni rezitierte Texte Degenhardt aus den Zeiten der zweiten Kommunistenverfolgung, die im Gedächtnis der 68-iger Westlinken durch die gründliche Verhaftungs- und Verhetzungspolitik der Adenauerzeit zunächst fast versunken waren.
Viele aktuelle Themen bewegen die Musiker, erfreulich wenig Kitsch und Banalitäten, die Weichspülzeit der Liedermacher scheint jedenfalls vorbei zu sein, eine erfreulich kämpferische Frische spricht aus diesem Konzert der doch noch äußerst lebendigen Liedermacherszene. Danke an die Veranstalter und an Väterchen Franz, den viel zu früh gestorbenen Karratsch.