Dantons Tod im BE – Rezension
9.1.12 / jw Feuilleton
Keineswegs hat Büchner DANTONs Tod gegen die Revolution geschrieben, er wollte nicht verteufeln, sondern Tragik herausarbeiten, nicht heroisieren, sondern zu erklären versuchen.
Büchner nämlich trieb die Frage um, und die ergab sich aus seinen eigenen poltischen Bedingungen im Jahre 1835, aus welchen Gründen revolutionäre Erhebungen scheitern können und er machte sich Gedanken, wie man das zeigen könnte, um daraus zu lernen.
Geschichte studiert
In einem Brief an die Familie vom 28.7.35 schreibt er über sein Drama: „und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was … um sie herum vorgeht“ . Er selbst hat zu diesem Zweck ebenfalls die Geschichte studiert. Ein Großteil der Sätze sind neu zusammengesetzte Zitate aus Büchners eifrigem Quellenstudium. Er wollte daraus zu einem einzigen Zweck lernen, nämlich es beim nächsten Mal besser zu machen, denn er war ein Freund der Revolution, wie auch einer der Gerechtigkeit und des geknechteten Volkes, er war nur ein großer Skeptiker ob des richtigen Zeitpunkts und der richtigen Methode. Dies wird im BE-Programmheft unmissverständlich klar gemacht, denn da findet sich keineswegs nur der Originaltext mit Anstreichungen, dort heißt es auf der erste Seite: „Wenn in diesen Zeiten etwas helfen soll, dann ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unserem Fürsten zu erwarten haben. Alles was sie bewilligen, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade, um dem Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch von Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen…Was nennt ihr gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten…ist ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der Vernunft..“ (6.4.33 an die Familie)
Schärfster Kritiker von Gewalt in revolutionären Prozessen
Und doch machte er sich mit Dantons Tod zum schärfsten Kritiker von Gewalt und sinnlosem Morden in revolutionären Prozessen. Seine Idee war, zu erklären, warum sich die ursprünglich revolutionäre, für das Volk eintretende, antiroyalistische Bewegung am Ende wieder dem Königshaus zuwendet. Er war ein scharfer Analytiker und Beobachter. Demzufolge sind Büchners Figuren keine Karikaturen und Monster, sondern Menschen, die sich unter bestimmten Bedingungen in bestimmte Richtungen entwickelt haben, ebenso wie sich Zeit und Handelnde gegenseitig durchdringen und beeinflussen. Sie sollen auch nicht zeigen, dass der Mensch angeblich „nicht für eine Revolution gemacht“ sei, oder jedes Mal scheitere, wenn er das Gute wolle, sondern, dass es die Bedingungen zu untersuchen gelte, indem man sich anschaut, wie es genau gewesen ist.
Robespierre und Danton nicht Dreh- und Angelpunkt
Ist dies in der neuesten BE-Inszenierung deutlich geworden? Ja und nein. Gut ist, dass zum Thema nicht der Blutrausch, die entfesselte Gewalt, wohl aber deren Hang sich institutionell zu maskieren, wurde. Zwei Gerichtsmänner des Wohlfahrtsausschusses, mit Perücken dem Beamtenstande zugehörig gemacht, werden als die verborgenen Drahtzieher verselbstständigter staatlicher Gewalt durch Kostüm und Verhalten sehr stark hervorgehoben, Die Antinomie von Robesspierres asketischer Tugendhaftigkeit und Dantons morbider „Liederlichkeit“ wird nicht zum Dreh- und Angelpunkt, sondern tritt nur als Symptom auf.
Weiß symbolisiert die eine Seite, schwarz die andere Seite der Degeneration
Die Dantongruppe ist in weiße Kostüme gekleidet, leger, sportlich, das Leichtlebige symbolisierend, im Gegensatz zur eher militaristischen Schwarzkluft der Robesspierre-Fraktion, einschließlich aller Beamten des Wohlfahrtsausschusses. Die erste Gruppe wird uns im Bordell vorgestellt, wo sie Karten spielen, saufen und huren und Danton, der seine Zeit vorausschauend schon gekommen sieht, vom Grab schwafelt, dass er im Körper seiner Geliebten finden will.
Eine windschiefe Guillotine
Der Gegensatz zwischen Pflicht und Genuss, wird mit dem zwischen Hunger und Sattheit und dem zwischen oben und unten verbunden, dies wird durch Farb- und Formgebung, durch Spiel und Ausdruck und auch durch die Bühne sichtbar gemacht, in der eine komplizierte Technik jeweils den Boden anhebt zu einer ins Nichts führenden Straße oben, an deren Ende die Armen wie Gewürm hervorquellen um dann brüllend und wütend die Straßen hinunterzustürzen. Ein anderes Mal steht eine windschiefe Guillotine am Ende der Straße oben. Die Bühnenbildervarianten sind raffinierte, sehr stark perspektivisch erscheinende Bilder in schwarz, wie von einem modernen Künstler hingeworfen, mit feinem lila, weichem rosa und dunklem Violett in klerikal-aristokratischen Farben unterlegt. Durch schmale, hohe Fenster, die die Form der Guillotione nachahmen, fällt jeweils scharfkantiges Licht von hinten auf die Bühne, in deren Umrissen die Protagonisten auf dem jeweils leicht farbigen Grund spielen. Die Ästhetik besticht durch originalität und Tiefe: Hier wird vor allem die Tragik versinnbildlicht.
Das Volk – elend und anfällig für Verführung
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Darstellung des Volkes. Gleich zu Beginn kommt eine starke Szene, in der das Volk arm, elend, wütend und verzweifelt gezeigt wird, wenn auch anfällig für jegliche Verführung, gibt sie ihnen nur genügend Aussicht auf Rache und Brot. Hier hat Ursula Höpfner-Tabori ihre große Stunde, wie sie die proletarisch-abgerissene Frau im Elend gibt, ist unvergleichlich aufwühlend, aber auch witzig, in der Art wie sie plötzlich den prügelnden Ehemann als Trunkenbold der Lächerlichkeit preisgibt. Die weiteren Volksszenen bleiben für meine Begriffe leider etwas plakativ und clownesk, manchmal erstarren die Einzelnen darin zu bloßen Statisten. Angela Winkler hat einen kurzen, aber intensiven Auftritt, gibt die Ambivalenz zwischen Opferstatus und Selbstbehauptung eines Freudenmädchens in einer sehr eigenwilligen Weise, mit einem immer etwas verrückten leisen Lachen, tragisch und witzig, doch sehr besonders. Die anderen Freuden- und Gassenmädchen betonen mit ihrer clownesken Gestaltung Degeneration und Verzweiflung dieser morbiden revolutionären Phase.
Einer wird zum Mordinstrument des anderen
Die Handlung beginnt zu einem Zeitpunkt, wo die Revolution schon über ihren Höhepunkt hinausgekommen ist, sie scheint einerseits erstarrt, andererseits degeneriert, die Protagonisten, einst befreundet, haben sich zu einem Gegensatzpaar auseinanderentwickelt, die Verhältnisse, einst noch überschaubar, haben sich in einem unübersehbaren Strudel verfangen. Einer wird zum Mordinstrument des anderen, nach Danton fällt auch Robesspiere, das weiß sogar er selbst schon. Die Szenen im Wohlfahrstausschuss und im Revolutionstribunal zeigen gut die institutionelle Verfestigung, die nochmal mit einem deutlichen Anwachsen von Brutalität und Gewalt einher geht, das Absingen der Marseillaise gerät zur Karrikatur, die das unschuldige Lied trifft.
Trauerszenen eindringlich
Die Tragik der Gefängnis- , Trauer- und Abschiedsszenen sind dagegen nachvollziehbar und eindringlich gespielt, hier sie sind frei von karikierender Übertreibung und das ist auch gut so, auch Danton als Figur wird im Laufe des Stückes von Ulrich Brandhoff immer echter gegeben und dadurch dem Publikum näher gerückt. Die Sprache Büchners wird hier überzeugender gesprochen, die beiden Frauengestalten, Julie (Katharina Susewind) und Lucile (Antonia Bill) spielen sehr gut in den Trauerszenen, wie mir auch der Darsteller von St. Just ( Georgios Tsivanoglou) in seiner knappen, aber eindeutigen Art sehr gut gefallen hat.
Analysierender Charakter
Ich fand es gelungen, dass die Darsteller von Robespiere und Danton nicht zu Helden stilisiert wurden, auch nicht in ihrem Spiel, es ruhte nicht der ganze Fokus auf ihnen, die Inszenierung schien sie mit Absicht abgeschwächt zu haben. Für mich betonte dies den analysierenden Charakter des Autors, der ergründen und darstellen, aber nicht verteufeln wollte.
Reale heutige Elemente? Aktualität des Stückes?
Man hätte die Kostüme, die Umgebung, die Handlungen mit Versatzstücken heutiger rebellischer und revolutionärer Bewegungen anreichern können, man hätte reale heutige Elemente durch Filmaufnahmen und Stimmen aus dem Off aus diesem oder jenem Land integrieren können, hätte man alles machen können, es war aber nicht angedacht und hat trotzdem nicht gelangweilt. Peymann hat Büchner inszeniert und ist dahinter zurückgetreten, anstatt daraus hervorzukommen. Der Überbedeutung des Stoffs hat das meines Erachtens nicht geschadet. Eine Aktualität erfuhr die Aufführung trotzdem, einmal durch die moderne zeichnerisch-bildhafte Bühne, die ich ausgesprochen originell gestaltet fand, zum Zweiten durch einen Vorfall, der sich zwischen den beiden Teilen abspielte, gleich nach der Pause. Aus den Rängen ertönt die Marsaillaise, eine Protestversammlung schafft sich Gehör. Ihre Forderungen skandierend, lässt sie Flugblätter flattern, die darüber informieren, dass am BE ungerechte Tarife und Entlohnung herrschen. Einen besseren Aktualitätsbezug hätte man sich gar nicht einfallen lassen können. Spiel verschmolz so direkt mit Realität. Nicht einer fernen, an irgendeiner Börse stattfindenden Ungerechtigkeit, sondern einer nahen, unmittelbar in Reichweite der Zuschauer befindlichen. Und so wie der Revolutionär Büchner in seinem Drama der schärfste Kritiker der großen Revolutionäre Robesspiere und Danton war, so sind die Schauspieler hier die schärfsten Kritiker ihres eigenen Schauspielhauses und seiner Arbeitsbedingungen. Ich hätte schwören können, dass dies zum Stück gehörte, es war einmalig passend. Es hat keineswegs den “künstlerischen” Genuss gestört und es ist gut, dass die Besucher etwas über die Arbeitsbedingungen am BE erfahren!
Mit 23 Jahren
Eine uralte, auf Krücken gehende Frau aus dem Publikum, die von einer anderen geführt wird, kommt, vor der Garderobe stehend, zu dem enthusiastischen Ausruf: „Und das hat Büchner mit 23 Jahren geschrieben!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
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