Rappaport in Steglitz – Rezension
jw-Feuilleton / 18.1.12
Das Stück „Ich bin nicht Rappaport“ von Herb Gardner im Steglitzer Schlossparktheater ist keineswegs ein rassistisches, sondern ein ausgesprochen humanistisches Stück, es wird auch nicht rassistisch interpretiert, sondern ausgesprochen sozialkritisch.
Die Helden sind zwei ältere Männer, von denen der eine eher zaghaft und anpasslerisch, der andere ein Geschichten und Lebensläufe erfindender Alt-68iger Jahre Kämpfer ist. Beide finden sich aufs Abstellgleis geschoben, am Ende ihres Lebens im Centralpark, nahe eines U-Bahnschachts, auf zwei Parkbänken zusammen, und unterhalten sich. Sie rauchen auch zusammen Gras und helfen einander. Das Ganze ist witzig und durchaus lehrreich, was die Akzeptanz älterer Lebensweisen und ihrer selbstwerterhaltenden Verrücktheiten und unseren Umgang mit ihnen angeht. Die Hautfarbe erkennt der eine beim anderen erst nach längerer Zeit, da beide altersbedingt halbblind sind. Das Gespräch beider über ihre grauen und grünen Stare und wie man dann schwarze Tunnel im Auge sieht, ist bemerkenswert stimmig und bringt den Menschen auf witzige Weise nicht nur ein typisches Altersdilemma absolut nicht mitleidsheischend, nahe.
Selbstbestimmung im Alter
Natürlich sind es Typen, die hier dargestellt werden, sie bedienen aber kein Klischee, sie arbeiten dagegen an. Im Detail stimmig, ist die Zauberformel des Epischen Theaters, im Ganzen typisch, genau das ist hier getroffen. Dazu entwickeln sie sich, der Angepasste wird aufmüpfig, der Aufmüpfige gibt nur scheinbar klein bei. Thema ist eine moderne Fassung der Brecht´schen Unwürdigen Greisin, die Selbstbestimmung im Alter.
Mit Humor statt mit Holzhammer
Dietrich Hallervordens eigene Dialektik scheint dem Stück entsprungen, es war wohl ein Bubenstück, das marode Gebäude zu kaufen, darin spießbürgerliches Provinztheater anzubieten, und nun mit eine antikapitalistischen Katze aus dem Sack zu kommen. In der Kunst wird jedenfalls oft schon etwas gemacht, was die politischen Parteien vergeblich probieren, den Massen nah zu kommen und diese von kritischem Gedankengut überzeugen zu wollen. Das Ganze mit Humor, statt mit Holzhammer, ein guter Anfang im biederen Steglitz.
Nicht einen Funken Abwertung
Aus diesem grunde halte ich es auch für falsch,was gegen die Aufführung losgetreten wurde: Wo steht denn geschrieben, dass schwarze Rollen nur von Schwarzen gespielt werden dürfen? Frauen also nur von Frauen, Männer nur von Männern, Kinder nur von Kindern, wo soll das denn enden? Es muss doch im Schauspielfach legitim sein, die Hautfarben zu verändern, ebenso wie ja auch Geschlecht, Alter, Haartracht, Mimik und Gestik immer jeweils der Rolle und nicht zunächst dem Spieler angepasst werden. Es darf nur nicht abwertend und gemein geschehen. Rassismus ist doch, wenn man glaubt, dass dunkle Hautfarbe ein “Rassen”merkmal ist. Es gibt aber gar keine Menschenrassen. Dunklere und hellere Hautfarben sind regional unterschiedlich verteilt auf der Welt, es hat sich an sie allerdings eine soziale Unterdrückungs-Geschichte, ein millionenfaches Morden, Quälen, Erniedrigen geheftet. Und das kann man dem Stück vielleicht vorwerfen, dass der Schwarze der friedliebende Ruheständler, der Weiße der aufmüpfige Revoluzzert ist, und dass das Friedliebende ein uraltes Sklavenmerkmal darstellt, was man lieber nicht noch durch eine solche Rolle bestärken sollte. In dem Fall wäre es dann aber noch schlimmer gewesen, hätte man diese angeblich abfällige Rolle durch einen Schwarzen spielen lassen. Aber ich kann im ganzen Stück nicht einen Funken Abwertung, Zynismus, Kälte, Chauvinismus , Überheblichkeit und Unterdrückungsstereotypien entdecken, weder bei dieser, noch bei jener Figur. Beide sind gleichwertig, gleich sympathisch, gleich witzig, originell und stark im Ausdruck angelegt, keiner dominiert den anderen, der Weiße fühlt sich dem Schwarzen nicht überlegen, an keinem Punkt und das wird auch nicht suggeriert. Beide sind treffend und echt gespielt.
In abgetragenem Sherlock-Holmes Mantel
Inhalt der Geschichte ist die: Der ältere Parkbanknachbar mit Namen Nat, im früheren Leben Kellner, vormals Anti-Vietnamkriegsdemonstrant, Indianer, Detektiv, Rechtsanwalt, Vereinsvorsitzender des Vereins Unmut e.V. hat tausend ausgedachte und mit Leidenschaft angefüllte Leben. Er läuft in abgetragenem Sherlock-Holmes-Mantel, knüpft gern Gespräche an und macht gern Leuten Mut zum Sich-Wehren, zum Beispiel Midge, der sich seiner Meinung nach zu viel gefallen lässt. Aus dem Blickwinkel seiner Tochter ist er nichts als umtriebig, ständig von Unfällen verfolgt, immer in irgendeinen Ärger verwickelt und komplett vertüdelt. Doch er ist ein ausgesprochener Schlaukopf und all seine Spielereien machen Sinn und führen ihren ganz privaten Kampf gegen die überall vorkommenden Ungerechtigkeiten zwischen „denen da oben“ und dem Rest des Volkes: „Einen Großkapitalisten fress ich doch zum Frühstück“. Seine Tochter hat er früher am liebsten auf Barrikaden gesehen, als sie einmal eine Nacht im Knast verbracht hat, holte er sie freudestrahlend morgens dort mit Sekt ab, heute ist sie ihm zu bieder geworden.
Midge, der seine Ruhe haben will
Der andere ist Midge, ein ruhiger, Zeitung lesen wollender, eher in sich gekehrter Hausmeister, der seine Ruhe haben will und nicht zum Zeitung lesen kommt. Später erzählt er Nat, dass er noch im 80. Jahr seinen Hausmeisterjob in einem uralten Heizungskeller, auf den er stolz ist, macht, da nur er sich mit der 60 Jahre alten Heizanlage und den ständig nachgeflickten Rohren auskennt. Ihm droht aber nun Entlassung, und dann wird er sich die angeschlossene Wohnung nicht mehr „leisten“ können. Nat hilft Midge gegen den Jogger, seinen Yuppy-Hausbesitzers-Versammlungsvorsitzenden und beide wehren sich gegen den Schutzgeld kassierenden Jugendlichen, aber der vorsichtige Midge muffelt Nat zu all dem in köstlicher Altherrenweise an, denn er will keinen Ärger, den er dann aber reichlich bekommt, als Nat ihn schließlich noch in eine Schlägerei verwickelt. Doch das angebotene Gras lehnt Midge dann aber doch nicht ab, beide versöhnen sich und träumen von früheren Zeiten, und Midge hat außerdem Kraft bekommen von seinem unverhofften Messerangriff gegen den Dealer im Park.
Drei Alternativen der Altersversorgung
Nat macht auch schon mal Randale in einem Lebensmittelgeschäft wegen der überhöhten Preise und vor seiner Tochter, die ihm drei Alternativen seiner Altersversorgung (Seniorenresidenz, Tagesstätte, Vollversorgung) anbietet, flieht er, wenn möglich, notfalls bis in eine Lügengeschichte über eine aus unbekannten Landen angereiste neue Tochter, da er sich nicht entmündigen lassen möchte. Das Altersproblem ist hier Thema, die Hautfarben spielen eine untergeordnete Rolle.
Punktgenaue Dialoge
Die beiden selbst schon betagten Schauspieler, Didi Hallervorden, den in den letzten Jahren politisch radikalisierten Witzbold, und Joachim Bliese spielen das Stück hochsensibel und als komisches Charakterstück, als sei es von Kästner oder Tucholsky geschrieben. Die Dialoge sind sparsam, scharf, punktgenau und provokant.
Politisches Pflichtprogramm für Bevölkerungsdemografen
Die politische Botschaft ist die nach Selbstbestimmung unserer Alten, die nicht caritativ verstanden werden will, sie ist es, die etwas Besonderes auf dem Berliner Theatermarkt ist und weswegen dsich das Stück anzusehen lohnt. Und sie ist notwendig genug, wo alle Welt vom „demografischen Problem Deutschlands“ faselt. Die Geschichte der beiden Alten sollte meines Erachtens Pflichtprogramm für alle werden, die der eugenischen Überbevölkerungsthese anhängen.
Nächste Vorführungen: 2.-5.2.12 und wieder im April