Max und Moritz im Knast – Rezension
jw / Feuilleton / 23.3.12
Eine Art Aufbegehren: Das Berliner Knasttheater aufBruch spielt »Max und Moritz« mit modernisierten Franz-Schubert-Liedern
Aber wehe, wehe, wehe! / Wenn ich auf das Ende sehe!« – »Max und Moritz«, die berühmte Wilhelm-Busch-Geschichte von 1865, in der zwei Lausbuben böse Streiche verüben und schließlich in der Mühle eines Müllers enden, wird heute wieder gerne von Pädagogen angeführt, wenn sie von Kindern als wilden Tieren phantasieren, die es zu zähmen gelte. Vergessen scheint die aufklärerische Wissenschaft, die erforscht hat, warum ein Kind Liebe, Ermutigung, positive Verstärkung und Freiheit braucht, um diese Eigenschaften auch selbst entwickeln zu können. Eine strafende, einengende Erziehung führt zum Lügen und Vermeiden und zur Gewalttätigkeit.
Eine zweite Ebene
Aus diesem Widerspruch ist wohl die Idee gewachsen, »Max- und Moritz« im Berliner Jugendknast aufzuführen. Denn die Geschichte hat ja den Charme einer zweiten Ebene: Meister Bäcker, Bauer Mecke, Lehrer Lampe und Meister Mühle werden von Wilhelm Busch als starrsinnige Sadisten gezeichnet, gegen die die Streiche von Max und Moritz durchaus etwas Nachfühlbar-triumphales und Quicklebendig-interessantes haben. Das Gefangenentheater aufBruch kombiniert die Busch-Comic-Story mit Franz Schuberts Liederzyklus »Winterreise« von 1827 in Form von Rap-Songs. Für dieses »Cross-Culture-Projekt« haben sich jugendliche Gefangene jeweils mit einem Lied aus dem Zyklus beschäftigt, angeleitet von professionellen Teams aus Berufsmusikern, Songwritern, Tänzern, Dramaturgen, Theater- und Filmemachern. Auf diese Weise soll alle drei Monate ein neues, mit den Jugendlichen zusammen entwickeltes Kunstprojekt entstehen. »Ziel ist, durch das Mittel der Kunst den von der Öffentlichkeit ausgeschlossenen Ort Gefängnis derselben zugänglich zu machen und den Gefangenen eine Sprache, eine Stimme und ein Gesicht zu verleihen, das die Möglichkeit einer vorurteilsfreien Begegnung zwischen draußen und drinnen schafft« (aus: Konzeption Aufbruch).
Aufbegehren gegen eine feindliche Gesellschaft
Das Stück wird von einem Ensemble aus elf jungen Männern gegeben, die die Hauptpersonen abwechselnd spielen. Dadurch wird deutlich, daß sie die Figuren nicht sind, sondern nur spielen. Bei »Max und Moritz« geht es um das »Aufbegehren inmitten einer feindlichen und heuchlerischen Gesellschaft«, schreibt Gert Ueding im Programmheft. Abwechselnd werden Verse von Max und Moritz skandiert, dann Szenen aus heutigem Jugendalltag: »Verpiß dich, Arschloch! – Halt die Klappe, Mann! – Fick dich!« Hierarchien werden sichtbar, wer hat sie gesetzt, entschieden, ausgehandelt? Danach geht es um Autoklau, Schmierestehen, Erwischtwerden und wieder Max- und Moritz-Verse, die mit listig-fröhlichen Gesichtern, nebeneinander sitzend auf den Blechrollen skandiert werden. Einer spielt Witwe Bolte, großartig seine Karrikatur dieser spießig-behäbigen Frau. Er provoziert die Lacher ausschließlich durch eine sehr treffende und doch eigenwillige Körperhaltung, die etwas Gebücktes, Kriechendes und gleichzeitig Arrogantes enthält. Einziges Requisit: Ein Tuch, das er sich um den Kopf schlingt.
Können Sie sich eine Gesellschaft ohne Straftaten vorstellen?
Dann die Brückenszene: »Wirf ein Stein aufs Dach, wetten, der Fahrer scheißt sich vor Angst in die Hosen? – Feigling!« Anschließend sagt einer: »Meine Mutter fand, ich sähe aus wie ein Gespenst, … ich wußte, daß ich nicht mehr normal sein könnte«. Hier wird ein Rap eingeflochten: »Du denkst an die Brücke, du warst noch nie so alt!« Und Kant wird zitiert – über die Strafmündigkeit. Nun springen die Jugendlichen zwischen die Zuschauerreihen, reichen Mikros herum: »Können Sie sich eine Gesellschaft ohne Straftaten vorstellen? »Wenn es Ihr Kind wäre? … Und wenn es Ihr Vater wäre?«
Dazwischen Millimeter
Es folgt der nächste Rap: »Vom Täter zum Opfer, vom Opfer zum Täter, vom Opfer zum Täter, dazwischen Millimeter!« Die Musik dazu splittert wie Glas. Schuberts Lieder regen die Jugendlichen zu Themen an wie Einsamkeit, Ausgrenzung, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Haß und Hoffnung, etc. Damals wurden böse Buben zerhäckselt, heute werden sie weggeschlossen und/oder mit Medikamenten arbeitsfähig gemacht. Doch das nützt alles nichts, das Aufbegehren bleibt. Ebenso die Frage: »Warum tun wir uns gegenseitig Gewalt an?«, die hier diskutiert wird.