Dr Faustus Lichterloh in der Schlesischen 27 – Rezension
Es regnet, die Leute frieren, Jugendliche in Strandsachen kommen, aalen sich in der Sonne, eine Frau schimpft mit dem Teufel im brennenden Wohnwagen, schnauzt ihre Kinder an, die machen sich nichts draus und spielen Ball.
Viel Wut, viel Gebrüll: »Eu meu, könnt ich sterben!« Dann tritt Dr. Faustus (Rita Sanftenberg) auf: »Ich bin der Teufel!« Später kommen drei Kriegskrüppel mit Stahlhelmen auf Rollwagen auf die Bühne: »Es schneidet der Splitter mich jedes Mal neu!« Zwei neue Frauen, wie Mädchen angezogen, treten hinzu: »Ich könnte weinen um keinen… Wie will ich wissen, wie wild die wilden Wälder sind?«
Sinnflut in der Schlesischen 27
Das Jugend-, Kunst- und Kulturzentrum »Schlesische 27« in Berlin-Kreuzberg hat ein Jubiläum zu feiern. 30 Jahre existiert das Hinterhauszentrum nun schon. Ein großes Banner spannt sich über den verregneten Hof: »Sinnflut« steht darauf. Ein Theaterensemble aus dem über die ganze Stadt verteilten Großprojekt »Junge Pächter« (ein Jugendkulturprojekt, mit dem leere Räume Jugendlichen zur freien Verfügung gestellt werden, in Zusammenarbeit mit der Neuköllner Oper) wurde zur Premiere eingeladen. Sie haben sich an Gertrude Steins sperrigen Stoff »Dr. Faustus lichterloh« herangewagt. Eine dadaistische Ansammlung von unkonventionellen Gegenentwürfen zum klassischen Drama.
Das Kalte des elektrischen Lichts
Das Jugend-, Kunst- und Kulturzentrum »Schlesische 27« ist aus einem besetzten Haus hervorgegangen und der Idee, mit Jugendlichen zu arbeiten. Daraus hat sich u.a. eine einjährige Bauhausklasse nach Johannes Itten entwickelt, die Kunst und Handwerk verbindet, ideal für Jugendliche in der Berufsfindungsphase (12 Monate Vollzeitkurs »Eisenhart«!). Damit in Verbindung steht das Theaterensemble von Arthur Romanowski, einem 20jährigen »jungen Pächter« auf dem Weg zum Regisseur. Die assoziativen Textsplitter zu Überschriften wie: »Die Sonne wird ermordet«, »Faustus erfindet das elektrische Licht« und »Ein Hund sagt dankschön« werden von den Jugendlichen mit viel Ausdruck von Aggression und Erschrecken, Zynismus und Spott gesprochen, geschrien, mit viel Gestik und Mimik gegeben. Der traditionelle Faust scheint schizoid aufgelöst, das häufig zitierte »Licht« wird heruntergedimmt, der zersplitterte Text kommt den Jugendlichen leicht von der Zunge. Die Zivilisationskritik an der Kälte des elektrischen Lichts wird deutlich.
Etwas ist mühsam
Leider aber fehlt es an irgendetwas, Gesellschaftsbezug? Konfliktbezug? Es wird durchgehend gewütet, aber man weiß nicht genau, warum. Die Figuren stehen zu isoliert da. Zwei Mädchen treten im Doppelpack auf und besitzen vier Namen. Die multiple Persönlichkeit spielt eine Schlüsselrolle. Sie wird häufig zitiert, eindringlich gespielt und betont, doch es wird nicht der Schatten eines Bezugs auf irgend etwas deutlich. Etwas ist mühsam, und in der Ballung wird es schnell langweilig.
Redundant hervorgestammelt
Gertrude Steins experimentelle Texte sind immer ein Wagnis, immer wieder inspirieren sie aber junge Künstler durch ihre Unkonventionalität. Alles, was ausgesagt werden soll, wird verborgen und nur redundant hervorgestammelt. Dadurch bleibt viel Interpretationsspielraum. Die Kubisten, Picasso, Virginia Woolf, Thomas Bernhard, später auch Heißenbüttel oder Ernst Jandl fühlten sich durch Steins Sprache angeregt. Dem Publikum dieser Aufführung wird vor allem etwas Verrückt-Zerrissenes deutlich. Claire Goll nennt ihre frühere Dada-Phase: “Der Klub der `Ihr könnt uns mal!´ Sinnentleerung war also beabsichtigt.
Weitere Aufführungen erst am 13. und 14.9. in der Neuköllner Oper, Berlin, sowie am 15./16.9. in der JugendTheaterwerkstatt Berlin-Spandau, jeweils 19.30 Uhr