Romeo und Julia in Stralsund – Rezension
jw / Feuilleton / 4.4.13
Unter den Stichworten: Liebe – Macht – Tod hat Thomas Brasch aus dem alten Shakespearedrama der verfeindeten Familien, „Romeo und Julia“ eine moderne Parabel gemacht, an der als Erstes auffällt, wie locker und leicht die Liebesgeschichte gegen die Schwere der Unversöhnlichkeit steht.
Der exemplarische Charakter der Familienfehde wird herausgehoben, es geht um mehr, um Hierarchien allgemein, um Machtgefälle, Diskriminierung, um das Recht des Stärkeren, das immer schlimmere Eskalation braucht, bis es endlich alles zerstört.
Zu Beginn wird Gewalt und Anmaßung von den schon schwächelnden Familienpatriarchen ( Vater Capulet: „Was steht denn noch, mir steht nichts mehr, nur steht mir alles zu!“) jeweils nach unten weiter gegeben und brutalisiert den Clan auf jeder Stufe nach unten stärker. Die letzten, die jugendlichen Machosöhne, haben es am nötigsten, sich zu künstlicher Stärke aufzuplustern und im Namen des ihnen eingeredeten Dünkels jeden anzumachen, der sie nur falsch ansieht. („Mein Fleisch schreit Angst, nur schreit es auch nach Wut”)
Kann nicht lesen
Kleiner Gegenpart ist hier der hilfsbereite Diener, gekleidet wie ein Liftboy, einerseits Briefüberbringer, Geheimnisträger, Befehlsempfänger, anderseits schlau, gewitzt und kühl, spricht er Einleitung und Szenenüberleitungen, als hätte er die ganze Parabel für die Nachwelt aufgehoben. Hier findet sich ein Brecht´scher distanzierter Blick, auch Klassenstandpunkt, denn Lesen kann er nicht, dafür weiß er umso besser Bescheid über alles und wie sich echte Gefühle anfühlen und zeigen.
Grün und rot = bunt
Die Aufführung in Stralsund hat sich außerdem für eine betont jugendliche Aufmachung entschieden. Die feindlichen Familienlager sind mittels des Komplementärfarbkonstrastes „Grün-rot“- Kostümierung erkennbar in zwei Gruppen gespalten, die Sache spielt auf einer schrägen Spiegelfläche, auf der man jederzeit abrutschen kann, umgeben von weiteren Spiegelflächen, in denen sich jederzeit alles genau abbildet, was irgendwo geschieht, Symbol für die gläserne Sichtbarkeit heutigen Privatlebens im Zeitalter exibitionistischer Elektronikplattformen. Ebenso wird auf den latenten und offenen Sexismus angespielt, denn in der zu Beginn und am Ende dargestellten Partystimmung (am Ende friert sie im Standbild ein) tanzen drei Mädchen mit orangenen Perücken in Reizwäsche, die ununterscheidbar und damit völlig reizlos geworden sind.
Das Liebespaar spielt ohne Pathos
Reizvoll dagegen ist die völlig unprätentiöse Darstellung der Liebesbeziehung, sie spielt sich jenseits der verspiegelten rot-grünbunten Partystimmung im Zuschauerraum ab und bildet einen starken Gegensatz. Das Liebespaar, an den Kostümen jeweils Spuren der feindlichen Farbe, spielt ohne Pathos. Der Hauptdarsteller, ein sehr jung und naiv wirkender Romeo ( Felix Meusel) , der als schüchtern verlacht wird, springt über die Bühne in die ersten Reihen und über die Köpfe der Zuschauer und spielt von da das Mädchen auf dem seitlichen Rang an, das mal rechts mal links auftaucht, wie auch er, mal hier mal dahin springt, was dem Ganzen sehr gut die unruhigen Gefühle aufflammenden Begehrens eingibt.
Das Stück lebt von den Gegensätzen
Die ebenfalls jung gegebene Julia ( Frederike Duggen) , die eher trotzig selbstbewusst gestaltet ist, lacht überaus natürlich, während sie die häufig averbal gespielten Szenen der Annäherung an Romeo in Gestik und Mimik perfekt, witzig, selbstironisch und absolut echt ausgestaltet.Das Stück lebt also von seinen Gegensätzen, die Brasch hier bewusst zugespitzt hat. Deutlich wird, dass echte Liebe („von einer Krankheit handelt dieses Stück), sich in einer Atmosphäre von Kommerz, Machogehabe, Hierarchie, nur als etwas Verbotenes, außerhalb entwickeln kann und dass die Strenge und Gewalt bei Tag, zwar oft in ein ausgelassenes Nachtleben flüchtet, aber das dies nicht die erhoffte Befreiung bringt. Die wahre Begegnung der Menschen findet stattdessen ungeschützt statt, wenn sie flüchten, gleichzeitig aber alle Hindernisse überwinden können (Hier symbolisiert durch die Stuhlreihen).
Gut auf die Zielgruppe ausgerichtet
Sehr gut an der Aufführung, vielleicht auch von Brasch schon intendiert, dass am Ende niemand an den Gräbern wimmert, ebensogut, dass die Liebe der beiden leicht und frei und einfach bleibt. Manche mögen die Aufführung etwas zu bunt gefunden haben, das Unechte daran bildet aber einen guten Kontrast zu den Liebenden und deren Gefühlen. Sehr gut auch, dass die Liebesszenen sehr distanziert, ohne jede Buntheit, bei abgedunkelter Bühne im nur punktuell ausgeleuchteten Zuschauerraum stattfinden. Gut inszeniert, sehr auf die Zielgruppe ausgerichtet, die auch Shakespeare sicher im Sinn hatte, die 15 bis 20-Jährigen. Die Braschtexte („Nein bitte nicht zu grell, kein überschwänglich Wort“ / „Die Liebe, grad geboren, wird ein Schmerz“) sind sehr dicht, gut verständlich, sehr modern, man sollte Shakespeare nur noch in Braschübersetzung aufführen, ein großer Gewinn.
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