Wallensteins Lager und Winterreise: im Gefängnis – Rezension
In dieser Woche stellt das “aufBruch-Gefängnistheater” gleich zwei neue Stücke vor: Musikalische Assoziationen zum Lied “Die Krähe” aus der Winterreise von Schubert mit Jugendlichen Rappern und ein großes Theaterstück: Wallensteins Lager (Schiller), mit Texten von Heiner Müller, Brecht…
Winterreisen-Projekt – Das Lied: Die Krähe
Dieses ist ein Ausschnitt aus der dreijährigen Projektarbeit mit jugendlichen Strafgefangenen zum Thema “Winterreise” von Schubert (siehe 1. Teil: Besprechung Max und Moritz, 2012) eine musikalische Präsentation von freien, selbstgeschriebenen RAPs , assoziiert zu Schuberts Winterreisengedicht, mit dem Ziel, die selbst entwickelte Jugendkultur von heute mit der von vor 250 Jahren zu verbinden.
Von einer Krähe verfolgt
Es gibt HipHop, Film und Theater im Projektzyklus, heute geht es um das Lied “Die Krähe” von Schubert, zu der die Jugendlichen drei Monate gearbeitet haben. Ein unglücklich Liebender wird in tiefster Verzweiflung von einer Krähe verfolgt oder denkt sich das, jedenfalls symbolisiert sie das aggressive und düstere Moment der Verzweiflung eines Unglücklichen. Gleichzeitig aber auch das Leichte eines Vogels, der Mauern überwindet sowie das Insistierende in der Ruhelosigkeit eines Schlaflosen. Eine Liedstrophe, die viele Assoziationen wecken kann, besonders bei Menschen, die eingesperrt sind.
Texte wie Antworten
Zu Beginn wird das Lied mehrmals von einem professionellen Opernsänger eingesungen, von dort aus beginnen die Assoziationen, es klingt wie Antworten auf den Sänger.Die Jugendlichen haben selber die Texte gechrieben, entsprechend behandeln sie ihre eigene Misere: Drogen, Betrügereien, Verlust der Freundin und der Zukunft, Schuld, Verzweiflung. Es gelingt, mittels der Rhythmik, der Reime und zT sehr schöner Stimmen, während der Darbietungen die Gefühle der jungen Gefangenen dem Publikum bedrückend deutlich zu machen.
Verlorenheit, Abwesenheit, Leere
Immer wieder geht es um die “Verlorenheit der Männer-Jungen, die nur Abwesenheit und Leere geerbt haben”, gelernt haben, von früh an, “dass ihr körperliches und seelisches Überleben von ihrer Fähigkeit, sich nicht zu sorgen und nichts zu fühlen, abhängt,” und gehen also der Frage nach, wo diese Menschen ihre harten Lektionen über das Leben gelernt haben. (Dennis Foon: Krieg, 2009, zitiert nach Programmheft) Die jungen Männer treten in skurilen Halbmasken auf, das symbolisiert künstlerische Distanz, aber auch Kälte, die an Shakespeare erinnert: “Kennst du das? Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach / führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns und all die bösen Jungs / Überall Lügen /Teil meines Lebens / Ich liebe die Versuchung, verspielte meine Zukunft / Ich will alles, immer mehr / früher hatt ich nichts, da war mein Zimmer immer leer / Jetzt geh ich jeden Tag, kauf den ganzen Scheiß…Macht, Macht, Macht macht süchtig, ich zieh in die Schlacht / der Weg nach oben ist weit und die Stufen sind hoch… ” Der Krieg im Inneren jedes Einzelnen und im Alltag auf den Straßen wird thematisiert, ein Krieg, der im besten Frieden stattfindet, Konkurrenzkrieg, Drogenkrieg, Eifersuchtskrieg, Geldkrieg, Konsumkrieg: “Gelogen, ausgeteilt, betrogen…Macht, Macht, was macht sie mit mir? Hätt nie gedacht, dass mich Macht isoliert”
Sich und andere wieder spüren
Beeindruckend ist die Dichte der Texte und die Leidenschaftlichkeit der Darbietung. Dem Besucher wird mulmig, wenn er sich vorstellt, dass in diesem Gebäude 330 Jugendliche zwischen 14 und 21 und mehr Jahren hinter, dreifach gerolltem Nato-Stacheldraht und Riesenmauern leben. Draußen soll es auch mehr solche Angebote geben, sagen die Jugendlichen nachher, das würde vielleicht helfen. Es gibt ihnen etwas, und wenn es nur das ist: Dass sie sich wieder besser spüren können. Eine der Voraussetzungen, auch andere spüren zu können.
Selbsterkenntnis und Selbstironie
Eine Stärke der Aufführung ist neben Selbstausdruck und Selbsterkenntnis auch Selbstironie und die große Offenheit der jugendlichen Texter und Musiker. In den anschließenden Gesprächen, die nach Knastaufführungen immer stattfinden, erzählen die Jugendlichen von ihren persönlichen Träumen und Vorstellungen für “draußen”, wo sie alle noch große Hoffnungen haben.
Wallensteins Lager
In diesem Stück wird ebenfalls Männlichkeit, Gewalt und Krieg thematisiert, diesmal aber innerhalb eines geschlossenen Soldaten- und Lagerlebens auf der Textvorlage eines Klassikers: Schillers Wallenstein, erster Teil.
Das Stück beginnt in den Mauern des alten Moabiter Gefängnisses, in einem stillgelegten Gefängnistrakt, wo Gefangene, hier Soldaten, in je einer der Zellen stehen, sitzen, herumlungern, aus dem Fenster starren, zur Bewegungslosigkeit verdammt und zum Warten: “Das wir durch alles Frühere schon abgestumpft… und alles endet, was an ihm noch menschlich war…, gestern ist einer wahnsinnig geworden” .
Eintritt, Dallidalli
Worauf? Dass der Tag umgeht, das Jahr, die Jahrzehnte. In der Choreografie besticht der Wechsel von Eingefrorenheit zum plötzlichen Hervorspringenmüssen, zum Lärm des Türenschlagens, Heruntergetriebenwerdens. Ironisch intoniert durch einen Gefangenen: “Eintritt rechts, wegtreten, Dallidalli, Marschmarsch”
Lager heißt: Vieles von der gleichen Sorte
Ganz am Anfang wird erklärt: “Lager heißt, dass vieles von der gleichen Sorte zusammen gebracht wird: Möbel, Menschen…früher gab es Lager und es gibt heute Lager: Arbeitslager, Flüchtlingslager…wir werden ihnen heute ein paar Situationen zeigen, die sich so ähnlich ereignet haben, mit diesen Männern, innerhalb dieser Zäune, in diesem Gefängnis (Spieler haut voller Wut gegen die Stangen und die Wände)
Eintönigkeit, Gereiztheit, Langeweile
Für das Hauptstück wird man in einen Hof geführt, dort stehen drei Bäume, liegt eine Wiese im Sand und liegen Blechteile herum. Über 15 Minuten wird die Eintönigkeit, Gereiztheit und Langeweile eines soldatischen Lagerlebens beschrieben, das dem der Gefangenen durchaus nahe kommt. Der dreißigjährige Krieg steht hier als Symbol für das langjährige Eingesperrtsein. Im Stück ist der Krieg im 17. Jahr, es ist 1634. Dabei werden die Spieler vorgestellt, bis einer aus der umherwandernden Menge herausgebeten wird und die Geschichte von Wallensteins Soldaten erzählt, die in einem Lager, weitab der Kampfstätten, geparkt wurden und sich da nun langweilen oder Zukunftssorgen über mögliche Versetzungen hingeben: “Ich bin im Kriege Mann geworden, kann nicht mehr umlernen…später will ich im Walde leben, was soll ich tun? / Still unter mir, regt sich mein Tier” Dann Apelle an die anderen: “Glaubst du, du bist ohne Schuld?”
Wallenstein gibt Brot und Zuversicht
Wallenstein ist für die Eingeschlossenen der Held, der ihnen Brot, Kraft und Zuversicht gibt und auf den sie geschworen haben, als seien sie seine persönliche Leibgarde. Nun hat er sich aber schon lange nicht mehr sehen lassen und Gerüchte laufen, er sei in Ungnade gefallen und liefere sie dem Kaiser und fernen Mächten aus.
Gereizte Männergewalt im Wartezustand
Inhalt des Stückes ist die gereizte Männergewalt im Wartezustand, gepaart mit der Hoffnung auf einen Erlöser, eine Vaterfigur, eine Umwandlung aller Verhältnisse. Die Textcollage, zusammengestellt von Peter Atanassow, (Gründer des aufBruch-Theaters), der auch die Regie geführt hat, ist sensibel der Sitation der Gefangenen und unseren gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst, es wird ein Bogen von den Bauernkriegen bis zum Faschismus gespannt und so auch ein wenig ein Teil von Deutschlands Geschichte bis heute erzählt: “Es wird Krieg geben, wie es noch nie Kriege gegeben hat, ein Reich von Soldaten wollte er errichten”
Warum führen wir Krieg?
Die Energie und die Kraft sind das Auffälligste, was die Spieler transportieren, sie wirkt geballt innerhalb der mit weißen Buchstaben gekennzeichneten Mauern. Warum führen wir Krieg? Antwort:”Wegen des Schlachtens, wegen der Rache!”, der es sagt, bringt es ungeheuerlich aus dem Mund. Er wiederholt es eindringlich: “Wegen des Schlachtens, wegen der Rache!”
Einer der Spieler fliegt gern durch die Luft, wie er später im Gespräch erzählt, extra für ihn wurden einige artistische Prügelszenen-Einlagen untergebracht, in denen sich die Spieler in Wahrheit gegenseitig halten und stützen. Glänzend gespielt, mit vielen Charakterschauspielern, die Peter Atanassow im Gefängnis Tegel im Jahre 2013 gefunden hat. Lohnt sich.
Weitere Aufführungen 21., 26., 28. Juni und 3., 5., 10., 12. Juli 2013 Bedingungen hier