Nur ein Wimpernschlag – Rezension
jw / Feuilleton / 26.6.13
In der Regie von Kay Langstengel & Enya Hutter ist unter dem Titel: »Nur ein Wimpernschlag« noch bis zum 28. Juni eine Antikenadaptation im Berliner Theater RambaZamba zu sehen. Dabei wurden Motive aus der Ödipus-, der Medea- und der Kassandraerzählung erfolgreich und eigenwillig gemischt.
Ein Herrscher, der »Premier«, sehr gut gegeben von Sven Normann, und seine Frau sind Rollstuhlfahrer. Sie agieren so herrschaftlich kalt, mit drohendem und bevormundenden Tonfall, daß ihre Rollis wie bewegliche Thronsessel wirken. Auch wirkliche Herrscher, Chefs, Regierungspräsidenten, wird einem dadurch bewußt, brauchen vieles nicht selbst zu machen. Oft sitzen sie, während andere um sie herum hin- und herlaufen, um ihnen zu Diensten zu sein.
Getötet, da sie die Wahrheit gepredigt hat
Ein Herrscher also wird entlarvt. Seine Macht ist groß, aber sie schwindet. Die Brautleute kommen nicht auf die Hochzeit, die er sich ausgedacht hat. Während des Wartens zeigt sich, daß es in seinem Staat Gezeichnete gibt, Visionäre, die irgendwann einmal gewagt hatten, etwas anders zu denken, als das für unveränderbar Erklärte und zu widersprechen. Diese Ausgestoßenen werden immer mehr, die Zahl der Anhänger schwindet. Zweifel und Kritik wachsen, da der Herrscher offensichtlich ein Verbrechen vertuscht. Er hat die Seherin Kassandra getötet, da sie die Wahrheit gepredigt hatte. Die Wahrheit darf dem Volk nicht bekannt werden, denn durch sie würde die Legitimität seiner Macht in Frage gestellt.
Ist der Staat bald verloren
Das Spieltempo ist langsam, die Stimmung durchgehend traurig und gedrückt. Das Herrscherpaar reflektiert seinen Untergang durchaus realistisch: »Wir habe geglaubt, wir könnten von vorn anfangen, wir haben den Sturm nicht aufziehen sehen«. Es fallen kluge Sätze: »Wenn die Menschen beginnen, an uns zu zweifeln, ist der Staat bald verloren!«
Traumerscheinungen oder wirklich?
Unklar bleibt, was mit den Gezeichneten geschieht. Werden sie ermordet, gefoltert? Sie verschwinden und dann bewegen sie sich wieder wie Schatten zwischen den anderen oder sagen dem Herrscher die Meinung. Sind sie Traumerscheinungen oder wirklich? Zum Schluß sind noch Gezeichnete übrig und der Herrscher muß einsehen, daß seine Macht beendet ist. Auch er bekommt nun das Zeichen auf die Wange gedrückt. Ob eine neue Zeit beginnt, bleibt offen.
Kein Behindertentheater
Die Texte des Stückes sind assoziativ gesetzt. Daher hat man Mühe einen Zusammenhang zu finden. Viel Ausdruck liegt im Tanz: argentinischer Tango, Rumba und Menuett füllen die Sprechpausen. Es gibt zwei Clowns. Sie stehen außerhalb. In einer von resignativer Stimmung beherrschten Welt, haben sie die Funktion aufzumuntern. Doch es gelingt ihnen nicht. Leider ist das Stück in Teilen zu langatmig inszeniert, die Sprache zu abstrakt. Das die Spieler Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder anderen Besonderheiten sind, nimmt man bald nicht mehr war. Es ist ein modernes Theaterstück für Erwachsene und kein Behindertentheater.
Beherrschte Körpersprache
Sehr besonders ist die Körpersprache von Ajax, einem der Clowns. Schauspieler Christian Behrend hat eine eher rundliche Figur Seine Bewegungen jedoch sind fließend und schön. Seine Körperbeherrschung ist bis in die Zehen- und Fingerspitzen hin perfekt. Jede Bewegung spricht von langjähriger tänzerischer Erfahrung. Dasselbe gilt für Sven Normann, der seine Wirkung vor allem der Starrheit verdankt, die er seinem Gesicht zu geben vermag. Keinen anderen hätte man so perfekt als Herrscher besetzen können.
Weitere Aufführungen des Stücks »Nur ein Wimpernschlag« zeigt das Theater RambaZamba im Hof Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36–39, Berlin: 27.6. und 28.6. um jeweils um 19 Uhr