Prostitution, ein deutscher Skandal – Buchrezension
Alice Schwarzer ist bei Männerbünden verhaßt, bei Linken umstritten. Der von ihr Ende 2013 initiierte und von vielen Prominenten unterzeichnete »Appell gegen Prostitution« hat heftige Kritik ausgelöst. Darin wird unter anderem die »Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier, also der Frauenkäufer« gefordert. Ich habe mir das von Schwarzer herausgegebene Buch »Prostitution – ein deutscher Skandal« angesehen und festgestellt, daß es sich vor allem mit Beweisführung beschäftigt.
Der Versuch, mit dem 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz die Arbeitsbedingungen der in der Branche Tätigen zu verbessern, ist, so die Ausgangsthese, kläglich gescheitert.
Wie es dazu kam, ergründen im Buch zehn Autorinnen und ein Autor in 27 Reportagen. Alle Begründungen werden durch Selbstauskünfte Betroffener belegt. Alle Autorinnen haben mit Prostituierten gesprochen, sich als Arbeitsuchende in Flatratebordells ausgegeben, Interviews mit Freiern geführt, sich in asiatischen Prostitutionsurlaubshotels eingebucht. Sie haben die abseitigsten Stätten besucht, beobachtet, fotografiert, aufgeschrieben. Bei den Frauen im Gewerbe war von Freiwilligkeit nie die Rede, aber viel von Elend und Not. Von Druck durch den Freund, von Geldsorgen, von Ekel, Angst, Perspektivlosigkeit. Erfahrungen von Gewalt gab es immer, sehr oft auch von Demütigung und sexuellem Mißbrauch. Das Gefühl, nun wenigstens Geld dafür bekommen zu wollen.
Männer, die ihnen weh taten
Die von ihnen verlangte Feinfühligkeit im Umgang mit den Freiern empfanden die meisten als besondere Belastung. Lust und Zärtlichkeit vorzutäuschen, während sie sich in Wahrheit ekelten, die Männer ihnen weh taten und im Befehlston mit ihnen umgingen. Die alltägliche Erfahrung von Entfremdung: Sich selbst als künstlich, marionettenhaft zu erleben. Körperliche Folgen: Pilzerkrankungen, schmerzhafte Schleimhautverletzungen durch die Handlungen eines Fremden, der in der Frau einen Gegenstand sieht, den er gemietet hat, Schäden an empfindlichen Stellen, die eigentlich nur liebevoll berührt werden wollen. Das alles sei oft nur mit Alkohol, Drogen, Medikamenten auszuhalten, erzählen die Frauen. »Ich fühle mich am Abend wie ein öffentliches Klo«, sagt eine.
Pro Tag 100 Euro Miete
Bettina Flitner schreibt über ihre Ermittlungen in einem »Wellness-Puff«, wo die jungen Mädchen für ein Zimmer pro Tag über 100 Euro Miete zahlen müssen, während sich die Freier für 80 Euro stundenlang »vergnügen« können. Doch nicht nur die hier Ausgebeuteten, sondern sämtliche Prostituierten, die danach gefragt wurden, wünschten sich nichts sehnlicher als den Ausstieg – selbst Sexarbeiterinnen im Domina-Studio in St. Pauli.
Gesetz als Bumerang
Fazit: Die in Deutschland 2002 eingeführten Rechte für Prostituierte haben sich in der Praxis eigentlich nur für Bordellbesitzer, Zuhälter und Frauenhändler positiv ausgewirkt. Dagegen werden von den Frauen trotz HIV/AIDS vermehrt ungeschützter Verkehr und erniedrigende Praktiken verlangt. Sichtbar wird: Durch die Lockerung der gesetzlichen Regelungen bekamen finanzstarke Bordellbetreiber so viele Möglichkeiten zur Profitmaximierung, daß die Frauenselbstbestimmung, die durch das Gesetz gefördert werden sollte, völlig auf der Strecke geblieben ist.
Das Gesetz wirkt als Bumerang
Die Idee der Freiwilligkeit der Prostitution wurde von Pieke Biermann in den 80er Jahren in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht – mit dem Ziel des Schutzes der Frauen in der Branche vor der gesellschaftlichen Ächtung. Dies wirkt heute eher als Bumerang. Denn natürlich entspricht es eher den Wunschvorstellungen von Freiern, daß die Frauen »es« gern tun.
Immer gegen Entfremdung gewesen
Wir als Linke sollten hier unsere »repressive Toleranz« (Herbert Marcuse, 1968) gegenüber dem Geschäft mit sexuellen Dienstleistungen dringendst überdenken. Denn sind wir nicht sonst auf allen Gebieten dagegen, daß Menschen zum Objekt degradiert werden? Sind wir nicht immer gegen Unterdrückung, selbst, wenn sie von Betroffenen subjektiv als nicht so schlimm erlebt wird? Ob es Ausbeutung der Sklaven durch ihre »Besitzer« oder die des Proletariers durch den Kapitalisten ist: Marxisten sind dem stets entgegengetreten. Zwar sagen einige Prostituierte, sie verkauften ihren Körper freiwillig. Aber welche Art von Freiwilligkeit ist das? Wohl keine viel größere als die der Slumbewohnerin, die ihre Niere einem Organhändler überläßt. Auch Tagelöhner haben ihre Arbeit oft behalten wollen, da sie ihnen Brot und Unterkunft garantierte, die sie als Freie später verloren haben. Die Verdinglichung des Frauenkörpers, der gegen Geld zur Fremdbenutzung auf Zeit freigegeben wird, ist unabhängig davon, ob einige den Akt als freiwillig empfinden, eine menschenunwürdige Tatsache. Der Grünen-Politiker Volker Beck formulierte einmal, es interessiere ihn nicht, wer in unserem Staat was wem verkaufe. Uns als Linke sollte es schon interessieren.
Den Schatten nicht mehr brauchen
Sebastian Haffner hat 1968 in »Emanzipation und Ehe« bereits das »Sterben der Ehe« vorausgesagt und war für eine freiwillige Bindungskultur eingetreten – aber nicht auf Basis von Tauschgeschäften, sondern auf Basis von Gleichwertigkeit und Liebe. Er kritisierte die Doppelmoral lebenslangen Ehezwangs – und sah hier die Wurzel der Prostitution: »Die Ehekultur hat in Tausenden von Jahren ihrer Geschichte immer die Prostitution wie einen Schatten hinter sich hergezogen. Die kommende Liebeskultur wird diesen Schatten vielleicht nicht mehr brauchen, vielleicht nicht mal mehr ertragen.«
Verbot hat in Schweden zur Abmilderung der Zustände geführt
Prostitution zu legalisieren, heißt es am Ende des Buches von Schwarzer und Kolleginnen, habe immer zu ihrer »Enthumanisierung« beigetragen. Beispiele aus skandinavischen Ländern werden angeführt. So habe das Verbot in Schweden zu einer Abmilderung der Zustände geführt und nicht zu einer Verlagerung in die Illegalität, wie von den Gegnern des Verbots vorausgesagt wurde. Einer EU-Studie zufolge hat Schweden heute, 14 Jahre nach Einführung der Freierbestrafung, im Gegensatz zu Deutschland, das den größten habe, auch bezogen auf die Bevölkerungszahl den kleinsten Frauenhandelsmarkt.
Ausbeuter schwächen
Am Ende des Buches formuliert Sabine Constabel, eine Sozialarbeiterin aus einem Prostituiertenhilfsprojekt, an Politik und Gesellschaft gerichtete Forderungen. Constabel betreut seit 22 Jahren Prostituierte im Treff »La Strada« und im Café Strichpunkt in Stuttgart. Sie hat die Demütigungen und die Gewalt, die die Frauen aushalten müssen, die sie mehr als 20 Jahre begleitet hat, aus nächster Nähe erlebt. Die Forderungen richten sich nicht, wie vielfach unterstellt wurde, gegen die Prostituierten, sondern »gegen die Ausbeuter, die Bordellbesitzer und Zuhälter, die Mädchen-und Frauenhändler«. Konkret geht es Constabel – und den anderen Autorinnen – um ein Verbot der Werbung für besonders entwürdigende Praktiken, um eine Anhebung des Einstiegsalters auf 21 Jahre und die Schaffung von Schutzräumen, niederschwellige Ausstiegsangebote und ein Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel. Dies dient der Stärkung von Mädchen und Frauen, die in dieser Branche arbeiten müssen.
Zur Schwächung der Profiteure werden u.a. Erlaubnis- und Anzeigepflichten für Prostitutionsbetriebe, die Verschärfung der Tatbestände des Menschenhandels sowie die Wiedereinführung der Strafbarkeit von Förderung der Prostitution verlangt. Dazu die Festlegung von Mietobergrenzen und nach dem schwedischen Modell Strafen für jene, die »illegale und unmenschliche Prostitutionsformen« in Anspruch nehmen.
Auch Männer lehnen es ab ihre Sexualität in Form von Geschäftsbeziehungen auszuleben
Im Netz kann man übrigens auch Foren finden, in denen Männer nein zur Prostitution sagen. Sie lehnen es ab, ihre Sexualität in Form von Geschäftsbeziehungen auszuleben, sondern wollen dies nur mit Respekt vor dem anderen Menschen, vor seiner und ihrer Freiheit und Lust tun. Soll aber Sexualität eines Tages nur noch freie Begegnung freier Menschen sein, müssen die kriminellen Machenschaften zur Ausbeutung und Demütigung beschränkt und abgeschafft werden. Dafür habe ich im Buch viele Argumente gefunden.
Alice Schwarzer (Hg.): Prostitution, ein deutscher Skandal – Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 336 Seiten, 9,99 Euro
Der Satz in dem Kapitel “Pro Tag 100 EUR Miete” ist irreführend und teilweise falsch. In dem von Flitner besuchten Bordell kostet der Eintritt für Männer und Frauen jeweils 80 EUR – incl. Vollverpflegung und Getränke und Wellnessangebot.
Wer von den Frauen eine Übernachtungsmöglichkeit im Haus braucht zahlt ca. 20 EUR zusätzlich – für ein Bett in einem Mehrbettzimmer, das nicht mal abgeschlossen werden kann. Das sehe ich als Wucher an, Jugendherbergen verlangen ca. 20 EUR für Übernachtung mit Frühstück.
Das “stundenlange Vergnügen” der Freier beschränkt sich auf die Nutzung der Räumlichkeiten, sexuelle Kontakte oder schon Gespräche, die über die Akquise hinausgehen sind von den Männern zu bezahlen.