Burgtheater: Das Begräbnis – Rezension
Im Burgtheater in Wien setzte Thomas Vinterberg im März 2010 sein (Film-)Projekt “DAS FEST” in einem Stück mit Namen “Das Begräbnis” fort. Zehn Jahre nach der sensationellen Aufdeckung des bis dahin sorgfältig gehüteten Familiengeheimnisses treffen die Protagonisten noch einmal im Hause des Vaters zusammen.
Dort spukt der Geist des Vaters durch die Räume und die älter gewordenen Kinder erleben die unterschiedlichsten Aspekte ihrer Identifikationen mit dem Vater wie durch ein Brennglas, dass den Widerholungszwang, in dem solcherart Familien gefangen sind, sichtbar machen soll. Das Rezensieren einer Uraufführung hat die Schwierigkeit, sich sowohl mit dem Stück, als auch mit der Art, wie es aufgeführt wird, auseinandersetzen zu müssen. In diesem Fall muss das neue Stück auch noch schaffen, gegen sein eigenes Vorläufer-Original anzukommen, also nach dem vielfach preisgekröhnten Film, noch wirklich wieder etwas Neues auf die Bühne bringen. Der Autor hat sich dabei nicht nur an ein neues Stück gewagt, sondern es zu einer kompletten Fortsetzung des alten gemacht, mit allen darin vorkommenden Personen. Und ob Vinterberg mit Martin Wuttke, der den Hang hat, manieriert, vermauert und unecht zu spielen ( Arturo Ui im BE) und sich dafür öffentlich feiern zu lassen und hier die Umkehr der sympathieträchtigen Hauptperson in einen Vaterimago-Täter glaubhaft machen soll, wirklich die richtige Umsetzung gewählt hat, das ist leider nicht das Einzige, was fraglich bleibt.
Andauernd weinen sie, schniefen, schluchzen
Aber von vorn: Alles beginnt damit, dass die älter gewordenen Kinder nacheinander ins Haus eintreten und zu häufig in Tränen ausbrechen, lautschallendes Lachen aus dem Publikum zeigt, wie es wirkt. Andauernd weinen sie, schniefen, schluchzen lauthals, dann kotzen sie ohne Vorwarnung in Papierkörbe, beruhigen sich aber viel zu schnell, so dass das Publikum keine andere Wahl hat, als sich darüber wie über einen Slapstick zu amüsieren. Die Gefühle werden also nicht ernst genommen. Welch ein Unterschied zum Film, in dem gerade das Ernstnehmen von Gefühlen, ebenso wie ihre überaus echte Darstellung so punktgenau gelungen war. Wenn Vinterberg selbst, wie es das Programmheft verrät, der den Text schrieb, hier auch Regie geführt hat, kann dies nicht allein der Aufführung zur Last gelegt werden, dann muss er es auch so gemeint haben, es muss also die Unechtheit im Stück selbst intendiert sein. Man will es nicht glauben.
Der Vater wie in Trance Folge leisten
Des Weiteren gibt es im Grunde keine positive Figur mehr, alle wandeln sich zu Schreckgespenstern ihrer ehemaligen Rollen. Als gelungen muss einzig die Figur des aus dem Grabe gestiegenen und in den Wachträumen gebückt herumsteigenden, greisen Vaters betrachtet werden, er triumphiert, er kommandiert, er bestimmt und lenkt und bleibt die verführende Autoritätsperson. Hier gibt es einige wirklich gute Szenen, in denen die Bewegungen der Schauspieler zunächst eingefroren werden, dann aber spiegelbildlich denen des Vaters wie in Trance Folge leisten. Sowohl das Spiel, als auch die Worte des Vaters sind echt und daher wirklich bewegend von Michael König sehr gut dargestellt. Ihre Macht bleibt über seinen Tod hinaus erhalten, das wird deutlich.
Das ehemalige Opfer wird zum Täter
Was passiert weiter? Nachdem sich alle noch kaum versammelt haben, wird deutlich, dass Christians Sexualblockaden sich kaum gebessert haben, keine Heilung also, kein Bilderbuch. Pia, seine Frau, leidet darunter, er selbst wird nicht dazu befragt. Dann geht das Licht aus und Unfassbares geschieht. Christian nähert sich dem aus der Dusche kommenden Sohn Michaels, einem 11-jährigen Henning. Ein Schrei, die Entdeckung, nach der Konfrontation begründet es Martin Wuttke etwas blutleer, er fühle sich durch unschuldige Gesichter erst angezogen, dann getrieben, diese zu zerstören. Ein Monster also? Es ist zu platt. Das ehemalige Opfer wird zum Täter, so einfach geht das? Trotzdem gibt es Erhellendes, die Täterdraufsicht zum Beispiel, so genau sah und hörte man es noch nicht, was denn den Reiz ausmacht für diese. Die Motive enthüllen sich aber in den jenseitigen Geständnissen des Vaters gelungener als in den Worten des falschen Christian.
Kein Grund für Slapstick
Es ist wichtig, dass wir uns mit den Hintergründen, den Gedanken und Motiven pädophiler Menschen beschäftigen, ein direktes Fortführen gleicher Taten ist möglich, aber nicht Gesetz. Angstabwehr funktioniert nicht eins zu eins, es ist zu platt. Und wenn, ist dies kein Grund für Slapstick. Mag sein, es wird schlecht gespielt, mag sein, das Publikum, was lachte, war das Falsche, mag sein Thomas Vinterberg hat die Genialität seines Erstlingswerks verlassen, Tatsache ist und bleibt, beides ist nicht geglückt und kein großer Wurf, weder der Text, in dem zahllose Zitate aus dem Film vorkommen, der also wie ein schwaches Abziehbild seines Vorgängers wirkt, dazu schief, unlogisch, psychologistisch, sondern auch die Aufführung auf der angeblich besten deutschsprachigen Bühne, dem Burgtheater in Wien, scheint fad, unernst, slapstickhaft. Betroffen verlasse ich das vornehme Gebäude, mit den vier Etagen voller Logenplätze im überborden prachtvollen Barockbau, wandere zur Tram, die über ungeölte Gleise den Außenbezirken zu knattert, der Obdachlosenzeitungsverkäufer mit dem `Augustin´ in der Hand, bringt es auf den Punkt, die Reichen werden immer reicher und wollen keine Probleme verstehen, dann müssten sie zuerst sich selbst anschauen, das aber wollen sie genau vermeiden. Sie wollen lachen, vergessen oder einfache Lösungen.
Nivellierung der Tat
Wen genau hat Vinterberg hier begraben? Sich selbst oder den Vater? Der Vater zumindest ist wieder auferstanden, das kann man von der Kunst Vinterbergs in diesem Stück jedenfalls nicht sagen, im Gegenteil, alles war peinlich an diesem Stück, peinlich und wenig originell, bis zum Bühnenbild, das eine naturalistische Inneneinrichtung zeigte, Türen, Treppen, Betten, einen Sarg, aus dem das Bett wurde, aber das war schließlich, bei der Problematik, auch nicht sehr originell. Schade, nicht zu empfehlen. Ich würde so weit gehen und auch das Stück aufzuführen, nicht empfehlen, es ist wenig literarisch, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgängerzwilling. Es macht alles, was das `Fest´ an Aufklärung und Echtheit erreicht hat, zunichte. Und das Schlimmste, es scheint sogar zu nivellieren, die Tat nämlich. Wenn also sogar das ehemalige Opfer nun selbst anschließend zum Täter wird, so wenig reflektiert also trotz Aufklärung und Aufdeckung, mit dieser Sache umgeht, dann entlastet das nachträglich den Täter. Hand aufs Herz, kann das Ganze ja allzu schlimm doch nicht gewesen sein, der Sohn machts nun auch. Es zeigt ein wenig aus dem Inneren der Täter, aber erschöpft sich leider darin ganz.
Nächste Aufführung: 20.11.10, im Burgtheater Wien