Denk mal! Stuttgart 21 – Berlinale – Rezension
Mit einem Auftaktkurzfilm, dass Deutschland nicht am Hindukush verteidigt wird, sondern am Kottbusser Tor, wo es gilt, die Multikultur vor dem Deutschtum zu retten, beginnt ein Akt politischer Aufklärung der Jetztzeit, der uns nun wieder zurückbringt in das politische Tagesgeschehen: Denk mal! Stuttgart 21
Eine schneebedeckte Schraube, aus der eine Kindereisenbahn wird, die gemächlich durch eine Spiele-Dorflandschaft fährt, Bahnhof Stuttgart, leitet den Docu-Film ein. Zwei Jungfilmer, noch vor Beginn ihres Studiums haben, mitgerissen durch die Ereignisse praktischen Volksplebiszits und deren Ignorierung durch bestochene Machtpolitiker, etwas hinbekommen, das gleichermaßen Mut und Geschichte macht und uns noch lange Zeit beschäftigen wird.
Nachdem einige Infos gegeben sind
4 Milliarden Kosten für den Abriss eines super eins a renovierten und denkmalgeschützten alten Bahnhofsgebäudes, Abriss aller barrierefrei zugänglichen Gleise und den Umbau zu einem neuzeitlichen Keller-Bahnhof-Kauftempel, wie ein nach unten, übereinander gestülpter Berliner Hauptbahnhof, der, wie man weiß, die ersten Baumängel schon nach drei Wochen zeigte, das Umgraben des Schlossparks mit dem Fällen von Bäumen, die zT 300 Jahre alt sind uvm., werden die Stationen des Protests gezeigt und Menschen des Protestes vorgestellt. Darunter ein ehemaliger „Bankvorstand“, der viel Kluges über Geldgeschäfte und deren Verstrickungen in die Politik zu erzählen weiß, eine ursprünglich kleine Initiativgruppe, die von der Kettenreaktion des Protests überrascht und verblüfft wurde, eine Blindeninitiative von behinderten Menschen, die ausführlich die Nachteile für Behinderte aufzuzeigen in der Lage sind und nachher einen der friedlich protestierenden Rentner, der durch Polizeigewalt sein Augenlicht verlor, in ihre Reihen aufnehmen, eine Frau, die Metallgestalterin ist und sich nicht gefallen lassen will, politisch ignoriert zu werden, und viele andere Menschen, für die der Protest gegen den Bahnhofsschnelligkeitswahn („Wahnhof“: Plakat und T-shirt-Aufschrift) zu einem Fanal für Kritik am gesamten Neoliberalismus geworden ist.
Dann gewinnst Du
Beeindruckend die stetig zunehmenden Menschenmassen auf den Demos, die Phantasie des Protests auf den Plakaten: „Erst ignorieren sie Dich, dann lachen sie Dich aus, dann bekämpfen sie Dich und dann gewinnst du!“, die Durchhaltefähigkeit und Kraft der vielen älteren Bürger, die sich durch kein Wetter und keine Drohung abhalten lassen, ihre Meinung öffentlich kund zu tun – selbst an dem schlimmsten der Protesttage, am 30. September, sieht man eine Frau mit Gehwagen vor den martialisch ausgerüsteten Polizisten, nicht einen Meter weichen.
Beim Umgang mit öffentlichen Geldern muss Sorgfalt walten
Der Bankvorstand: „Beim Umgang mit Öffentlichen Geldern sollte höchste Sorgfalt walten! Der bedenkenlose Umgang mit dem Geld, was all die kleinen Leute, morgens ab 3 Uhr die Bäcker, ab 5 Uhr die Stadtreinigung, die Handwerker, die Pflegekräfte im Schweiße ihres Angesichts verdienen, die das hier alles bezahlen – das ist einer der wesentlichen Gründe, warum ich dagegen bin!“ Der „Stutengarten“, so hieß früher der Stuttgarter Schlosspark, für deren Erhalt die Menschen dort eintreten, der hat ursprünglich Stuttgart sogar seinen Namen gegeben.
Viele tragen Button und gute Laune
Die Atmosphäre in der Stadt habe sich vollständig verändert, Anzugsträger tragen den Button und kommen mit den Autonomen aus dem besetzten Eisenbahnwaggonkulturviertel vom Nordbahnhof ins Gespräch, Leute, die sich früher nicht wahrgenommen haben, lachen sich freundlich zu, in jeder Straßenbahn gibt es neuerdings Gespräche, statt sich hinter ihren Zeitungen zu verstecken, reden die Menschen miteinander. Es ist eine wirkliche Volksbewegung und die kurzfristige Irritierung durch die heuchlerischen Schlichtungsgespräche ist weit davon entfernt, die Kraft der Bewegung geschwächt zu haben.
Zum Schutz der uralten Bäume
Der Höhepunkt des Films ist aber zweifellos die Dokumentation des 30. 9., ein harmlos sonniges Volksfest zum Schutz der uralten Bäume mit vielen Kindern und alten Leuten, wird plötzlich zur „Schlacht am Tegeler Weg“. Berittene Polizei und martialisch vermummte schwarze Uniformationen bohren sich wie Pfeilspitzen in die blockierenden Menschenmassen, dabei sieht man auch, wie sie Finger in Augen, Münder und Nasen der Unbewaffneten bohren, Köpfe hoch- und in den Nacken biegen, wie sie Arme versuchen zu brechen, wie sie Faustschläge wohlgezielt austeilen, man sieht sie aus Sprayflaschen gezielt in Augen sprühen, dazwischen eine Frau mit Gehwagen, ein Bild aus einem Bürgerkrieg und das alles, um einem Bauwagen den Weg zum Transport für Absperrgitter frei zu machen, die nachher aufgestellt werden, die Menge dahinter geklemmt, um dann, tief in der Nacht, begleitet von den Schreien der Menge, die Bäume zu fällen, 19 an der Zahl, die in dieser Nacht, rechtswidrig, wie einer der Protestierer ins Mikro schreit, vor den Augen der schreienden Menge, einer nach dem anderen, mit einem bombastischem Donnern zu Boden stürzen.
Oben bleiben
Für was ist einer blind geworden, sind Zahllose verletzt worden, mussten die Bäume, die von drei Menschen nicht umfasst werden können, zu Boden gebracht werden? Für den 300%-igen Profit einer skrupellosen Räuberkaste, die im Namen einer Parteiendiktatur, für deren Ämter die geringstmögliche Qualifizierung schon ausreicht, unseren Staat beherrscht. Nach dem Film hielten die im Saal anwesenden Stuttgarter Aktivisten Schilder hoch: „Oben bleiben!“
Mit dem Film „Denk mal!“ wollen die Filmemacher keine politischen lehren erteilen, sondern einfach nur historische Zeit festhalten und zum selbstständigen Denken anregen. Gelungen!
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