Der Klangwandler in Neukölln – Rezension
8.11.10 / Feuilleton junge welt
Geräusche sagen mehr als Worte, “Klangwandler” in der Neuköllner Oper eröffnet Hörwelten!
Die Wirkung ist verblüffend: Ich komme aus dem Theater, muß schnell weg, weil ich früh raus muss. Ich drängele mich am Regisseur vorbei, und schon auf der Treppe höre ich jedes schlurfende Geräusch, das meine Schuhe machen. Draußen liegt Regen in Pfützen, mein Rad rollt platschend hindurch, dazu schlagen Autotüren, weit weg ein Martinshorn, Lachen an fremden Handys – was soll das alles, bin ich mit verschärftem Hörsinn aus diesem Theater gekommen? Die Wirkung hält an, schnell nach Hause ins Bett, mehr denke ich nicht, aber die Wirkung nimmt mich gefangen, nun dröhnt etwas, das wie Licht klingt, ein gleichmäßiges, stabiles Geräusch, wie von elektrischem Strom unter Spannung, ich spinne doch nicht etwa? Also was passiert hier? Man hat mich verändert in diesen 90 Minuten. Erziehung zum Synergismus könnte man das nennen, was »Klangwandler« von Peter Michael von der Nahmer in der Inszenierung von Mario Portmann mit einem macht. Eineinhalb Stunden wurden wir daran gewöhnt, jeder Gefühlsregung, jedem Ding und jeder Situation, jedem Mensch eine Geräuschmixtur zuzuordnen, die von ausgesprochen origineller Klangvielfalt war.
Wo kein Mensch jemals sein wird
Was aber störte? Denn es störte etwas, das war klar: Die kleine Bühne der Neuköllner Oper war bei der Uraufführung vergangene Woche sehr nah ans Publikum gerückt, eine schwarze Wand, auf der ein Mensch auf einer Art Gefängnispritsche lag und mehr in sich hinein als aus sich heraus sang: »In der tiefsten Stelle des Meeres, … wo kein Mensch jemals sein wird…, ein leiser, geheimer Gesang…« Soweit begann es eindrucksvoll, gut und mehrdeutig, ein wenig rätselhaft, doch dann folgten zu schnell Erklärungen, die gar nicht nötig gewesen wären: »Was mein Ohr hört, hören andere nicht… von Kindheit an«, klar war, hier war von einem Synergisten, einem Menschen mit einer besonderen Sinnesgabe, die Rede, dann folgten die Informationen nüchtern, jeder Dialog eine Erläuterung: Ein Abiturient, der Angst vor dem Abi hat und dessen Ziel, sich in einen Klang zu verwandeln, eine andere Formulierung für das Verschwinden war. Dies wurde von der bald darauf auftauchenden Neuköllner Göre (glänzend gespielt und gesungen von Julia Gamez Martin) als »Schiss« erkannt. Sie führt ihn alsbald aus seiner Isolation, fährt in einem gestohlenen Wagen mit ihm an einen See, macht ihm Mut, sich doch noch der Abiturprüfung zu stellen, er schafft das Abi, sie landet im Knast, er will Jura studieren und sie rausholen. Das war die ganze Story. Das kann nicht wahr sein. Dazu diese phantastische Musik, das passte nicht.
Die Musik teilt alles mit
Der Inhalt war zu banal. Abiturprobleme, haben wir keine anderen Sorgen? Die Musik war so viel größer. Die Musik, die der Hauptdarsteller unablässig in sich selbst hörte und produzierte, sollte ihm Würde verleihen und das Abi vergleichsweise unwichtig erscheinen lassen, aber warum mußte er es dann noch bestehen? Auch wurde deutlich, wie einsam und traurig manche Jugendlichen sind, aber diese Probleme, für sich genommen durchaus nicht klein, wirkten hier in Textform läppisch und störend. Wäre doch alles in der wunderbaren vom Grips-Theater unlängst erfundenen Phantasiesprache gesungen worden, wieviel mehr hätten unsere Sinne Platz gehabt für eigene Deutungen. Die Musik teilte einem doch alles mit, man brauchte keine Erklärungen. Dazu die Choreographie, alles wäre auch ohne den Text klar gewesen, ein Gefangener in sich selbst und ein Mädchen, das ihn erlöst, eine umgekehrte Dornröschengeschichte.
Und draußen singt der Wind
Wie viele Instrumente? Ich lese im Programmheft, draußen singt der Wind: Klavier, Keybord, E- und Kontrabaß. Kann doch nicht sein, nur diese vier Instrumente machten das alles? Dabei klang es, als hätte man ein Orchester gehabt und auch Küchengeräte einbezogen. Dieses Stück und ähnliche, die ihm folgen werden, werden noch von sich reden machen, kein Gebärdentheater, sondern ein Klangtheater für Blinde und Sehende. Es war, als habe man einen Sinn unversehens dazu bekommen, den Klangsinn.
»Klangwandler«: 4., 11., 13./14., 18.–21. und 26. November, 1., 8., 15. und 23. Dezember 2010 sowie 9., 13.–16. und 21. Januar 2011, jeweils 20 Uhr, Neuköllner Oper, Berlin-Neukölln
Liebe Anja,
vielen Dank für deine Rezension zum Klangwandler. Du hast mir wirklich die Augen geöffnet (die Ohren waren es schon längst) für Dinge, die ich erst mal nicht wahrnehmen konnte. Ich habe zwei Aufführung angesehen. Und jedesmal war nicht in der Lage, das zu beschreiben, was mit mir passierte. Die Wirkung dieses Klangereignisses war verblüffend. Dann diese banale Geschichte, konnte mit der wundervollen Musik erst mal nur kollidieren. Meine Sinne waren einfach überfordert. Der Text eher störend. Tanz und Musik hätten ausgereicht, damit ich meine eigene Gedanken- und Phantasiewelt erschaffen kann.
Nur noch ergänzend: Es gab nicht vier Instrumente. Neben dem Trio, der das Geschehen auf der Bühne musikalisch begleitete, war an der linken oberen Ecke des Zuschauerraums ein Tontechniker, der alle Klänge und Töne auf der Bühne beförderte. Selbst die Klangorgel, wurde von der Technik gesteuert. Klänge also per Mausklick;-)
Danke für deine tolle Rezension!