Die letzte Kommune im Grips – Rezension
Das Altern der 68er-Generation, »Die letzte Kommune«, ist ein großer zeitgenössischer Wurf. Das übergreifende Thema heißt: Wie wollen wir leben? Dramaturgisch, sprachlich und schauspielerisch punktgenau getroffen.
Peter Lund hat hier ein ideales Dreigenerationenstück geschrieben, Franziska Steiof hat es inszeniert. Einfühlsam wird das Altern der 68er-Generation beschrieben. Nicht als Rührstück. Immer noch politisch auf der Höhe, agieren die Altgewordenen (»In jedem alten Sack steckt ein junger Sack, der sich wundert, was mit ihm passiert«) situativ unerwartet, witzig und unkonventionell. Dabei zeigen sich durchaus auch Altersstarrsinn, Altersrührseligkeit und zeitweilige Verwirrtheit. Geblieben ist: Der Kampf um Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit. Diese Alten lassen sich nicht entmündigen oder einfach so »in den Euthanasie-Kindergarten«, ein Synonym für Altenheime, abschieben.Der Witz entsteht durch den Abstand, den ihre Position zur heutigen Enkelgeneration aufweist. Deutlich wird die Absage an Oberflächlichkeit und auch an Autoritäten.
Besitzverhältnisse verändern
Woher sie kommen, wird deutlich. »Und das soll nun alles wegen deinem SS-Vater gewesen sein?«, fragt die Tochter den Vater. Ja, sie wurden nicht so, wie es sich ihre Eltern gewünscht hatten. Und auch ihren Kindern haben sie nichts aufgedrängt. Doch hat dieses Fehlen von Familie im herkömmlichen Sinne auch Nachteile gebracht. »Wir waren immer allein, und ihr habt gefeiert«, sagt die Tochter zum Vater. Die 68er wollten »bürgerliche Besitzverhältnisse durchbrechen« und haben mangels politischer Erfolge bei ihren Kindern damit angefangen. Das hat bei denen nicht selten eine große Unsicherheit hervorgerufen. Der Enkel sagt zum Großvater: »Politisch habt ihr was bewirkt, aber privat seid ihr gescheitert«. Der Großvater wundert sich, er dachte, es wäre andersherum gewesen.
Beste, lebenslange Freunde
Das Stück beginnt mit dem Herstellen eines ellenlangen WG-Tisches, zwei lange Tische werden hierfür noch zusammengeschoben. Die beiden letzten Insassen einer 8er-WG suchen wieder Mitbewohner. Friedrich (Dietrich Lehmann) ist 78 und emeritierter Professor, Hannes (Christian Giese) ist 69 und Kommunist mit Hammer und Sichel an der Gürtelschnalle. Sie sind beste, lebenslange Freunde. Sie debattieren und diskutieren und zeigen eine andere Form lebenslangen Zusammenlebens als die Ehe auf. »Und was liest du so?« werden die WG-Bewerber gefragt. Das Suchen von WG-Mitgliedern ist notwendig geworden, weil Friedrich von seinem Schwiegersohn ins Heim gesteckt werden soll.
Ein typisches Gripsstück mit vielen Liedern (Musik: Thomas Zaufke), die auf Brechtsche Weise kommentierend und bestimmte Gedanken extrapolierend in das Stück eingestreut sind. Es gibt zum Beispiel ein »Geht nich-Gibs nich-Lied«.
Gegen die These: »Der Mensch ist frei denkend!« setzt Friedrich wütend »Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen!« Die 40jährigen von heute können dagegen als Rekonstruktion konservativer Strukturen gelten, mit einer schönen Pointe, wenn sie sich fragen: »Wir sind die tragende Gesellschaftsschicht, warum spüren wir das nicht?«
Die ganze Klasse der Prekarisierten in einer Rolle
Die absolut überragende Szene gibt der junge Schauspieler Kilian Ponert. Er spielt einen Obdachlosen, der eine wütende Gesellschaftsanalyse herausbrüllt und dabei über aufeinandergestellte Tische und Stühle balanciert, als wenn er die ganze Klasse von Prekarisierten und Abgehängten in einer einzigen Rolle exemplarisch vorführen wollte. Das ist künstlerisch so gelungen wie politisch illusionslos und vor allem vollkommen unsentimental gespielt.
Wo sind alle Worte hin?
Auch das Thema Demenz wird berührt, durch eine flüchtige Altenheimbewohnerin, deren Verwirrung ihr selbst am meisten Angst macht, bravourös gespielt von Regina Lemnitz. Als sie und Hannes sich vorsichtig annähern, ertönt das Lied: »Wo sind all die Worte hin!« Irgendwann sitzen die beiden Alten Hannes und Friedrich mit verschränkten Armen auf Fenstersimsen und philosophieren: »Wir dachten, wir sind ewig!« Und nicht ohne Selbstironie: »Am Ende bleibt: Du siehst nichts ohne Brille«.
Nächste Vorstellungen: 5. und 17.10., jeweils 19.30 Uhr