Die letzten Zeugen – Burgtheater (Theatertreffen 2014)
Das Burgtheaterstück: „Die letzten Zeugen“ beim diesjährigen Theatertreffen im Berliner Festspielhaus in der Schaperstraße noch heute und morgen, (bis 15.5.) zu sehen, vermag etwas sehr Besonderes, es verfremdet Zeitzeugenberichte von jüdischen Verfolgten des Naziregimes, bringt sie damit auf eine höhere Ebene der Erkenntnis und führt so dazu, dass sich im Zuschauerraum die Leute am Ende gemeinsam erheben, als ob sie sich verbeugen oder auf die Knie fallen wollten. Welche Mittel haben das bewirkt?
Zu Beginn sitzen, hinter einer leicht schwärzlich eintrübenden Leinwand verborgen, sechs „Letzte Zeugen“ der Naziverbrechen. Sie waren Kinder oder Jugendliche während der Übernahme Österreichs durch den NS-Staat. Sie schildern die Veränderungen unmittelbar der darauffolgenden Stunden und Tage. Man erfährt, dass sich die zT ärmlich angezogenen, freundlichen Nachbarn innerhalb einer einzigen Nacht in Uniformträger mit SA-Abzeichen verwandelten und durch die Treppenhäuser tobten. Die beste Freundin schrie: „Du Judensau!“ und spuckte ihrer Freundin ins Gesicht, mit der sie noch gestern friedlich gespielt hatte. Auf dem Weg am nächsten Tag in die Schule: Spießrutenlauf: Schlagende, sie beschimpfende Jungen, nach der Schule Hausfrauen mit Eisenstangen, die die aus der Schule kommenden Kinder hämisch lachend und auf sie einprügelnd empfingen und danach auf dem Markt ihre Einkaufe erledigten.
Sie rühren sich nicht. Sie schauen
Doch wie erzählen sie es? Die Reihe der hinter der Leinwand verborgenen Zeugen schweigt, sie sitzen da, rühren sich nicht. Sie schauen. Vor ihnen Kameras, die ihren Blick einfangen und auf die riesige Leinwand in Großformat übertragen. Vorne vier Schauspieler, die abwechselnd die Texte vortragen. Und nun werden, in Art von Porträtfotos, in starkem Schwarzweiß-Kontrast, während des Textverlesens, die Gesichter des jeweiligen Zeugen eingeblendet, aus dessen Erinnerungen gelesen wird. Da diese sich nur sehr wenig bewegen, gleichsam in einer Pose der Stille verharren, geben die Bilder der Gesichter einen ungeheuren Eindruck wieder: Sie sind wie im geronnenen Schmerz der Erinnerung eingefroren und das überträgt sich aufs Publikum derart, dass es viel stärker in diese eintaucht. Der Authentizitätsgewinn ist unglaublich.
Sie lesen es aus den Blicken
Das Kind steht vor einem, wie es sich unter dem Bett versteckt hat, die Nachbarn und die Freundin und später dann die Fluchtszenen auf einem Friedhof, wo eine Mutter unter Tausenden von zum Tode verurteilten mit Hunden und SA-Männern Getriebenen um ihr Kind kämpft, um auf die Seite der noch ein wenig zum Leben und Arbeiten bestimmten, nach rechts, zu gelangen. Wie die Mutter das Kind festhält, (wie in einem Schraubstock), wie sie es später in einem Sack versteckte, den sie sich auf die Schultern nahm, über den sie sich hinfallend, drüberwarf, wie sie den dauernd auf sie einfallenden Schlägen auswich und schließlich auf die rettende Seite gelangte, das erzählt die starr Dasitzende schweigend. Ihr Gesicht ist schon beinahe zu einer Totenmaske erstarrt. Zwei der Zeitzeugen sind während der Arbeiten an dem Stück verstorben. Man gedenkt ihrer durch einen leeren Stuhl. Aus dem Mund der Schauspielerin hören die Zuschauer, was die Zeugen aufschrieben, Geschichten des überaus zufälligen Überlebens. Vorher aber lesen sie es aus den Blicken und der Mimik der auf die Leinwand projizierten, immer wieder neu eingeblendeten Gesichter.
Wir tun dies für die Toten, aber auch – für euch
Diese blicken stolz, nachdenklich. Eingegraben in ihren Falten liegen die Erinnerungen, man hört dem zu, als sei es gestern gewesen. Eine große Würde geht von ihnen aus. Wir sind die letzten, scheinen ihre Gesichter zu sagen, wir legen hier noch einmal Zeugnis ab. Gebt gut acht darauf, denn bald werden wir nicht mehr sein. Doch wir haben viel Kraft, wir wissen noch alles, nichts haben wir vergessen, nicht die kleinste Kleinigkeit. Wir tun dies für die Toten, aber auch für alle zukünftigen Generationen. Es ist anstrengend für uns, sagt später einer der Zeitzeugen in der jedem Stück nachfolgenden offenen Diskussionsrunde, aber wir tun dies – für euch!
Der Wahrheit nahegebracht durch Entfremdung
Das Stück ist ein Lehrstück über den Einsatz des Mittels der Entfremdung im dokumentarischen Theater. Es hilft Authentizität steigern. Es hilft die Brücke zwischen dem Dort und dem In-mir zu verstärken, es gelingt durch das künstlerische Abrücken ein verstärktes inneres Beschäftigen mit dem Thema, man erlebt seinen tiefen Wahrheitsgehalt um so stärker die Szene der Wirklichkeit entrückt wird und der Wahrheit nahe gebracht in seinen tieferen Schichten. Dokumentarisches wird eingeflochten: Fotos und Dokumente, die sprechende Zeitzeugen als Kinder, deren Eltern, Bilder der Straßen, der Schulen, der SA-Schlägertrupps, aus den Gefangenenlagern, aus den KZs. Eine Frau ist zwischen den hinten sitzenden Zeitzeugen und der Leinwand platziert, sie sitzt an einem Schreibtisch und schreibt. Das Papier liegt vor ihr in einer quer über die ganze Bühne liegenden Bahn, sie schreibt und das Papier wächst Meter um Meter. Sie schreibt mit einem altmodischen Füllfederhalter. Immer, wenn es um die Textstellen geht, die von den schon gestorbenen Zeitzeugen sind, wie zB von Ceija Stojka, die während der Proben verstarb, wird die Hand der Frau am Schreibtisch eingeblendet anstelle des Gesichts der Lebenden.
Nun spricht der Körper
Einmal wird jeder der Personen mit einer Begleitperson nach vorn an den Bühnenrand geführt, man sieht den bisher nur vom Großfoto bekannten Menschen nun in Wirklichkeit. Jeder von ihnen trägt kurz auch einen selbstgewählten Text eigenständig vor. Ein Gedicht, ein Brief, ein Lied, eine Mahnung. Danach werden sie nach links von der Bühne geführt. Auch dieser Abgang von der Bühne ist eine Choreografie der Wahrheit. Nun spricht neben dem Gesicht der Körper, seine Haltung, seine Bewegungen, die die älterer, uralter Menschen sind. Man führt sie nun, hilft ihnen, während man noch im Ohr hat, wie man sie als Kinder bespuckt, geprügelt, ausgehungert und gedemütigt, ihnen Vater und Mutter und Tausende anderer geraubt und ermordet hat.
Es ist ein Schauspiel, das an eine griechische Tragödie erinnert, es sollte nicht nur drei, es sollte Tausende von Tagen spielen, überall auf der Welt.
Die vorlesenden Schauspieler sind hier nie sie selbst, sie sind die Assistenten, die Begleiter, die Helfer, sie spielen vollkommen uneitel und sehr zurückgenommen, sie verschwinden und kommen dadurch wieder ans Licht. Als solche, die es weitertragen. Ihre Gesichter haben manchmal einen ganz fernen Blick voller Schmerz, das drängt sich aber nie vor die Wirkung der Fotogesichter der Haupt-Protagonisten. Doch ihr Verdienst ist groß: Sie bringen es zur Wirkung!
Der Regisseur und seine Mutter
Das Stück nennt sich selbst „Projekt“ und Doran Rabinovici und Matthias Hartmann zeichnen dafür als Hauptverantwortliche. Ersterer hat seine Mutter und also ihre Erinnerungen porträtiert, später geht er mit ihr zusammen in die offene Diskussion, die in drei verschiedenen Foren stattfindet und zum Stück gehört. Er sagt: Ich wurde vollkommen anders erzogen als alle meine Klassenkameraden. Bei uns war dieses Thema immer präsent.
Ihr lebts ja noch
Auch nach 45 kommt zur Sprache. ernüchternde Schilderungen, Beleidigungen und Schmähungen bis heute. Als sie wiederkamen, wurde ihnen gesagt: „Na, da kann man ja sehen, das das gar nicht stimmt mit den Judenvergasungen, ihr lebts ja noch!“
Das darf nie wieder geschehen
Ein Abend, der sich einbrennt ins Gedächtnis, der einen inspiriert und dessen Geschichten einen so schnell nicht loslassen. Nein, man geht nicht mutlos und traurig, man geht wütend weg. Wütend und entschlossen. Das darf nie wieder geschehen, denkt man, wie es Rudolf Gelbhard, einer der Zeitzeugen, als sein Hauptmotiv ausdrückte, und noch 17 weitere, schwere große Verbrechensbereiche der Nazis aufzählte, die neben den Judenverfolgungen stattgefunden haben.
Ich denke an die NSU-Morde und die Ukraine und dass unsere Regierung Faschisten beim Verfassungschutz beschäftigt und nun sogar offen mit Faschistenregierungen zusammenarbeitet und dies in geradezu störrischer Weise beschönigt. Man geht gestärkt nach Hause, gewillt zu widerstehen, mitzuhelfen an dem Werk, dass dies nie mehr vergessen werden darf.
Unbedingt noch hingehen und reinzukommen versuchen! Spielt heute und morgen bis zum 15.5.14 auf dem Berliner Theatertreffen 2014