Die Weißen kommen – Rezension
von Heike Mai /24.9.10 /jw feuilleton/
Die Berliner Compagnie ist ein Kleinod im Kreuzberger Hinterhofdschungel. Eine zum Theater umfunktionierte WG-Etage. Bei der Premiere von »Die Weißen kommen« sind alle Plätze bis auf den letzten Hocker besetzt. Es ist »Ein Theaterstück über Afrika. Über uns«. Früher sagte man Antiimperialismus, heute gerne Globalisierungskritik. Nach der Premiere laufen vier Vorstellungen, die nächsten gibt es dann erst wieder im Februar.
Es gibt also noch viele Möglichkeiten, sich das Stück anzusehen. Besser noch wäre aber, damit zu arbeiten, denn es ist feines Agit-Prop-Theater ohne jede Hölzernheit. Zu Beginn bewegen sich vier, in Tennisweiß gekleidete, wie Puppen aufgezogene Spieler und preisen neuzeitliche Geldanlage-Produkte an. Die Fachsprache der masterschools of economy wird perfekt beherrscht, wie auch deren Grinsen. Das ist die Strategie und Taktik von Verkaufsgesprächen. Nacheinander werden verschiedene Methoden vorgeführt, wie man sich in seine Klientel »einfühlt«, um zunächst ihre »Sicherheitsbedenken«, dann ihren »Geiz«, nämlich das Bedürfnis, lieber für die Ausbildung der Kinder zu sparen, in den Griff zu bekommen und schließlich ihre moralischen Bedenken zu zerstreuen, daß man etwa auf Kosten der Hungernden in Afrika Profit machen möchte.
So modern das Stück beginnt, so historisch geht es weiter. Äußerst informativ und dicht werden die verschiedenen Kolonialepochen nachgespielt. In die Geschichte wird dabei rückwärts gegangen: Die Sklavenhaltergesellschaft wird beim Tänzchen aus dem Blickwinkel von Schiffskapitänen und -gesellschaftern geschildert, ein Kunstgriff, um gewissermaßen rhetorisch über Leichenberge zu gehen. Die Zahlenverhältnisse gehen ungefähr so: Es sterben 50000 Aufständische, aber nur 48 Kolonialsoldaten. In der Mitte des Stückes verändert sich die Perspektive: Die vier Schauspieler, die erst Banker, Börsianer, Kapitalisten darstellen, dann die westeuropäischen Kolonialherren, jeweils mit einem D, E, F und B (Deutschland, England, Frankreich, Belgien) auf dem Hut gekennzeichnet, und weiter dann Schiffsmakler und Sklavenhalter spielen, wechseln einer nach dem anderen auf die afrikanische Seite. Nun wird die Geschichte des Widerstands in kurzen Szenen und Standbildern gezeigt. Knapp, aber sehr gut recherchiert, mit vielen Informationen, die auch ein unpolitisches Publikum beeindrucken. Dieser Reigen endet mit der Ermordung Patrice Lumumbas, dem ersten Ministerpräsidenten des unabhängigen Kongo.
Ist seitdem die Kolonisierung nur »weitergegangen?« Das Verdienst dieses Stückes ist es, genau diese Frage aufzuwerfen. Die vier Schauspieler agieren exemplarisch, oft in Viererreihen stehend, nur knapp choreografiert, ihre Gesichter karikieren die Masken des Kapitals durch die Jahrhunderte. Zum Ende wird die Nebelmaschine angeworfen, was die Zuschauer irritiert. Soll damit das Kapital gemeint sein? Die Ideologie der Herrschenden? Und wenn zwischendurch von einem »Spiel« gesprochen wird und sich die Spieler wie Marionetten zu einer Stimme aus dem Off bewegen, dann assoziiert man Fremdbestimmtheit und Ohnmacht, gemeint war aber, daß das Ganze ein Computerspiel sein sollte, bei dem man verlieren oder gewinnen, ausscheiden, Seiten wechseln und Punkte machen konnte. Als würden Jugendliche sonst abschalten.
Nach dem Stück glaubt man trotzdem, daß man jetzt Afrika voll begriffen hat. nächste Vorstellungen im Februar 2011