Die Wohlgesinnten – Rezension
jw Feuilleton / 18.10.11
Am Berliner Maxim Gorki Theater hat Armin Petras »Die Wohlgesinnten« von Jonathan Littell als Theaterstück inszeniert. Der 1400-Seiten-Roman über die Erlebnisse eines SS-Offiziers galt bei seinem Erscheinen in Frankreich 2006 als literarische Sensation. Mit seinem Stück ist Petras eine großartige Verdichtung und Intensivierung gelungen.
Er hat das Werk in die klassischen fünf Akte gegliedert: Exposition, drei Akte Haupthandlung, hier in den Nazifarben Schwarz, Weiß, Rot gehalten, und Katastrophe. Der Roman ist ähnlich unterteilt, allerdings musikalisch – in der Abfolge einer barocken Suite.
Die Stationen bei Petras: Schwarz steht für die Zeit des Aufstiegs der Nazis, ihre Stärke der aufgeblasenen Strenge; Rot steht für die Farbe des Blutes, der Morde, der Verwundungen und der Rache, die nun zurück auf die Täter fällt (Weihnachten im Stalingrad-Kessel); Weiß steht für Lazarett, verwundet noch einmal aufwachen, Friede als Illusion, aber weiteres Anhäufen von Schuld. Im blauen Prolog gibt der Erzähler eine Einführung und im allerletzten Akt, für den die Überschrift »farblos« gewählt wurde, wird das Ende in einem Epilog bebildert, die Überlebenden im Kampf mit den Mitwissern und den sie quälenden Erinnerungen (in Anlehnung an die »Erinnyen« aus der Orestie des Aischylos), die sie in schrecklichen Bildern umtanzen, bis sie schließlich von den »Eumeniden« (ebenfalls Orestie), den Wohlgesinnten, einer neuen Zeit wieder aufgenommen werden und dort unbescholten in der Bourgeoisie agieren, als sei nichts gewesen.
Die Bühne: Sie besteht aus einem überdimensionalen schrägen Spiegel, ähnlich wie ihn Katrin Brack für das neue »Draußen vor der Tür« im Thalia in Hamburg konstruierte. Hier sieht sich zunächst nur das Publikum in ihm gespiegelt, der Hauptdarsteller und Ich-Erzähler sitzt angeleuchtet im ersten Rang und spricht seinen Prolog, ein Kurzauszug aus den ersten Seiten des Buches: »Natürlich bleibt immer noch Selbstmord… ich bereue nichts, ich habe meine Arbeit getan, sonst nichts.«
Die Handlung: Auf die Bühne steigen fünf schwarzgekleidete militärisch anmutende Menschen, zwei Männer drei Frauen. Breitbeinig bauen sie sich vor dem Spiegel auf. Sie erzählen im Sprechgesang erst über eine Jagd, dann über 1000 Leichen im Wald, die man fand, als man neue Gruben ausheben wollte. Die Gruppe wirkt zunächst wie ein monolithischer Block und rezitiert zusammenhanglos Gespräche aus dem ersten Teil des Buches, die der Ich-Erzähler (»all das Böse drang in mein Leben und nichts davon kann wiedergutgemacht werden«) während seines ersten Einsatzes hinter der Front in den ukrainischen Dörfern angehört hat. Er spricht auch mit Vorgesetzten über »Die Unverhältnismäßigkeit zwischen der Leichtigkeit, mit der es sich tötet und der unendlichen Schwierigkeit, mit der gestorben wird« und fragt sich: »Wer wird all diese getöteten Juden, all diese jüdischen Kinder beweinen?«
Zeichen seiner Menschlichkeit
Durch die Aufspaltung in einen Erzähler, der weitab sitzt und einer Gruppe von Agierenden vorne vor dem Spiegel, gelingt es, die Distanz sichtbar zu machen zwischen Erzählerperspektive und Erlebnisebene. Der Block löst sich langsam auf, die Personen beginnen pantomimisch ihren Sprechgesang zu begleiten, immer klarer werden die Handlungen, erschließen sich aus den Gesprächsversatzstücken, der Erzähler wird nun mit in die Handlungen hineingezogen. Es geht um Situationen an den Rändern der Gruben, in denen das Wasser knietief steht und man die »Sardinentechnik« anwendet: Die zu Erschießenden müssen sich auf die bereits Erschossenen legen. Alles ist überliefert, nichts davon ist ausgedacht. »Ich lief über die toten Juden, versank bis zu den Knöcheln in Blut und Schlamm«. Dies alles wird kaum gespielt, nur erzählt in knappem militärischem Jargon. Dann hebt sich der Spiegel, gibt eine Grube frei, dorthin stürzen die SS-Menschen wie in einen Abgrund. Die Wut, der Sadismus, die Gewalttätigkeiten, sie sind für den Ich-Erzähler am Ende dieser Szene Ausdruck dessen, daß der Mensch »mit dem Gefühl, seinen Mitmenschen solche Gewalt anzutun, nicht fertig wird, Zeichen seiner Menschlichkeit«.
Willst du deiner Mutter keinen Kuss geben?
Die nächste Szene ist in rotes Licht getaucht, wie Lemuren kriechen verwundete Menschen im Kessel von Stalingrad. Hungernde, Verletzte, Sterbende, Kannibalismus: Das Pendel schlägt zurück, es kann kein Dulden fundamentalen Mordens geben, eines Tages rächt es sich. Im nächsten Bild, dem weißen, wird der Blick auf die Heimat geworfen: Lazarett, Verwundung, Erholungsaufenthalt führen beim Erzähler doch nur zu Mord und Totschlag, diesmal im Privaten, da es nicht mehr drauf ankommt. Seine Mutter fragt ihn solange »Willst du deiner Mutter keinen Kuss geben !?«, bis er sie umbringt. »Die Schule der Verrohung«, von der Julia Voss in ihrer Buchrezension in der FAZ schrieb, lässt den Protagonisten nur noch zwischen seinen Alpträumen rasen. Die Schauspieler gehen kaum noch aufrecht, sie kriechen viel, ducken sich, fallen und wälzen sich. Das wirkt nicht übertrieben, nicht hysterisch. Von oben wird alles wie in einem Kaleidoskop ins Mehrfache gespiegelt, nochmals neigt sich der Spiegel stärker, zieht seine untere Flanke nach hinten und gibt eine sehr niedrige Bühne frei, auf der sich die Spieler hindurchgehend bücken müssen.
Verdrängung und Nivellierung
Sehr gut die Szene, wo der Erzähler imaginär an das Hakenkreuz gefesselt Opfer seiner Alpträume ist, die farblosen Szenen im Schwimmbad inmitten von Trümmern geben die Stimmung der völligen Verdrängung und Nivellierung aller Empfindungen in Deutschland wieder. Alles ist metaphorisch, hier ist nicht einer gemeint, sondern alle. Selten war der Blick auf die Tätergeneration derart von innen heraus erhellend, facettenreich und exemplarisch. Dies umzusetzen in Bilder und Darstellung, in Farben, Formen und Bewegungen, beispielhaft die gespenstische Musikszene mit marionettenhaft Eingefrorenen, oder die, in der der Erzähler von Maskengesichtern verfolgt wird. Das Ganze ist streng gemacht, nie überbordend, immer überraschend. »Seid ihr sicher, daß der Krieg überhaupt aufgehört hat?« (Jonathan Littell, »Die Wohlgesinnten«).
Nächste Vorstellungen: 21.10, 18.45 Uhr; 26.11., 18 Uhr; 15.12., 19.30 Uhr