Gedenken an Käthe Reichel
Das DT bei der Käthe-Reichel-Gedenkveranstaltung war bis auf den letzten Platz gefüllt, alle waren da. Schauspielkollegen, Regisseure, Intendanten, Weggenossen, Freunde, politische Mitstreiter.
Auf dem Programmheft ein Zitat aus ihrem letzten Buch:“Dämmerstunde“: „Die Auferstehung der Toten findet nicht im Himmel statt. Das ist gewiss. Sie kommen als Lebende aus ihren Gräbern, wenn ihre Nachgeborenen über etwas Liebe und ein Gewissen verfügen, dass ihnen sagt: Du musst sie ausgraben aus der Erde jener Zeit, in der sie ihr Leben hatten, dann bleiben sie jung, wenn du schon alt bist.“
Aus ihrer Berliner Hinterhofkindheit
Ein erster Versuch, sie auszugraben hatte schon zwei Wochen vorher auf der Beerdigung stattgefunden. Nach den Gedenkworten lief ein Band mit ihrer Stimme aus einem der letzten Interviews und wurde hinaus in die Friedhofsluft getragen. Sie erzählt da aus ihrer Berliner Hinterhofkindheit. Viele weinten, weil ihre große, kräftige Stimme da so rührend und brüchig klang. Dann wurde sie neben eine andere Reichel gebettet, ihre Mutter?
Ich habe einen guten Lehrer gehabt
Käthe Reichel war Brechts wahre Nachlassverwalterin. Sie verwaltete wie kein anderer sein geistiges Erbe. Einmal ging ich mit ihr auf einer der ersten Demonstrationen gegen den zweiten Golfkrieg. Den ganzen langen Weg, den sie neben mir herlief, rezitierte sie aus einem Stück von Heiner Müller, was zum Demonstrationsanlass passte. Ich zeigte mein Erstaunen. Wir kamen ins Gespräch, ein Wort gab das andere, sie war wach, klug, kannte sich aus. Dann ging sie ans Mikro, klein, schmächtig, trippelnd. Alsbald ertönte eine Donnerstimme über den Platz: „Das große Kathargo führte drei Kriege, es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten, nicht mehr auffindbar nach dem dritten“ Das war alles, was sie sagte. Die Menge stand starr, dann brachen Zustimmungsrufe aus. Sie kam wieder zu mir runter geklettert von dem Podest, das man ihr gebaut hatte. „Ich habe einen guten Lehrer gehabt“, sagte sie.
In ihrem Häuschen Salat trocken schleudern
Danach lud sie mich zu sich ein. Zu Anfang dachte ich noch daran, da hätte ich mich noch getraut, dann verging die Zeit und ich wäre mir anmaßend vorgekommen, sie einfach so in ihrem Häuschen zu besuchen, ich, nichts als eine Demobekanntschaft, die sie sicher schon längst vergessen hatte. Schließlich besuchte ich sie nie, was hätte ich sagen sollen, wenn ich an ihrer Tür gestanden hätte? Heute auf der Gedenkveranstaltung erfuhr ich es, ich hätte nichts sagen brauchen, entweder hätte sie mir Himmelsschlüsselchen, die sie gerade in ihrem Garten ausgrub, in die Hand gegeben, oder einen Mülleimer, den ich mal eben schnell auskippen sollte, später hätte sie mir Nudeln al dente gekocht, hätte mich den Salat trocken schleudern lassen, dann hätte sie gelacht, gesungen, getanzt und schließlich hätte sie mich gefragt: Soll ich dir etwas von Brecht vorlesen? Und ich hätte ihrer unglaublich besonderen Stimme lauschen können. Damals dachte ich, als ich auf der Demo neben ihr ging, dass ich sie gern zusammen mit meiner Tochter besucht hätte, weil sie eine so wahrhaft weise Frau sei, heute erfuhr ich, wie praktisch, wie einfach und wie humorvoll sie auch sein konnte.
Der Figur fehlte die Dialektik
Viele erzählten etwas von ihr. Am besten gefallen hat mir die Geschichte, wie der Filmemacher und Regisseur Rainer Simon sie in einer Nebenrolle besetzen wollte und sie daraufhin an ihn schrieb, dass das leider noch gar keine Rolle sei, denn es würden der Figur die Emponderabilien fehlen, um mit Brecht zu sprechen, sie habe noch keine Dialektik. Und dann legte sie einen ergänzenden Vorschlag zur Ausgestaltung der Rolle bei, die dem Filmemacher besser als seine eigene Szene gefiel.
Jeden Tag unterhalte ich mich mit Brecht
Daniela Dahn betonte, dass Käthe Reichel immer auch eine scharfe Publizistin gewesen sei, nicht nur eine, die Mut, Kraft und Energie zu zeigen verstand, wie es Gysi in seinem Grußwort betonte, sondern auch eine, die ihre Zeit richtig zu deuten und in sie einzugreifen verstand. Käthe Reichel sagt dazu: „Jeden Tag unterhalte ich mich mit Brecht. Ich frage ihn dies und das. Wenn er mir geantwortet hat, gehe ich raus und handele entsprechend.“ Im Hintergrund wurde sie als junge Frau in Filmausschnitten gezeigt und als Ältere bei Lesungen. Dazwischen wurde beschrieben, wie Brecht einmal vor ihrem Fenster von einem Baum gefallen sein soll. Den Aspekt der Liebeständelei betont Käthe Reichel selten, für sie war es etwas Ernsteres, eine Wahlverwandtschaft, eine Lebensliebe. Keine wusste wie sie, Brecht zu lesen, zu zitieren, in seinem Sinne zu leben. Das empfindet man schon bei der ersten Begegnung mit ihr. „In Wahrheit hat Käthe Reichel ihren Brecht nie verlassen“, sagte dazu Michael Schweighöfer, der von sich und den anderen jungen Männern im BE als „Komplizen“ sprach, in der Verehrung von Käthe Reichel, der man es zu verdanken hätte, dass beim Abfilmen des verbotenen Urfaust etwas zu viel Nahaufnahmen des Gretchens gezeigt wurden.
Offener Brief an Biermann
Ausführlich kam auch ihr Spätengagement der letzten Jahre zur Sprache, ein ganzes Dorf in Vietnam habe sie Haus für Haus zusammengesammelt, auf einem Foto von 1991 trägt sie ein Schild um den Hals: „Mütter versteckt eure Söhne!“ Ein sehr guter, wütender „Offener Brief an Biermann“ von 1994 wird im Programmheft abgedruckt, wo Käthe Reichel den einstigen Freund, für den sie einst mit einer Liste in der Tasche herumrannte und Unterschriften sammelte, nun wegen seinem Verrat und seiner Liebedienerei zum Kapitalismus angeht. Mit sehr klugen, sehr überzeugenden Argumenten, trotz ihrer Wut. Zuletzt hat sie viel für das Magazin Ossietzky geschrieben.
Demokratie, als wenn da kein Parlament mehr gewesen wäre
Sie war eine begnadete politische Rednerin. Mir gefiel am besten ihre Rede anlässlich einer Demonstration gegen Arbeitslosigkeit auf dem Alex 1998, da sprach sie über den Begriff DEMOKRATIE, den sie 1989 noch wie aus dem Wörterbuch interpretiert hatten, als politisches Prinzip, in dem das Volk durch freie Wahlen an der Macht teilhat. Dann hätten sie gesehen, dass die in dieser Demokratie gewählten Volksvertreter ihre Hände tief in den Taschen trugen, als das Land vor ihren geschlossenen Augen verhökert wurde, als wenn da gar kein Parlament mehr gewesen wäre. Dann hätten sie gesehen, dass es eine sich prostituierende Demokratie gewesen sei, die sich jeden Tag ihre Demokratie vom Kapital bis zum letzten Pfennig herunter hat abkaufen lassen, bis sie zu einer Pein für die Menschen geworden sei, und dass diese Demokratie eine der Oligarchie des Managements, einer alles im Land beherrschenden Minderheit sei.
Halten wir sie am Leben
Wie schade, dass ich mir nie getraut habe, sie in ihrem Häuschen zu besuchen. Gern hätte ich sie näher kennengelernt, mit ihr gekocht, gelesen, ihr zugehört, mit ihr diskutiert, von ihren klugen Gedanken gelernt. Das ist der Tod, wenn man das nicht mehr kann. Traurig. Dass sie in ihrer letzten Zeit sehr einsam gewesen war, konnte man durchspüren. Viele erzählen, dass der Kontakt sich in den letzten Jahren verloren hätte. Einige wenige gute Freundinnen aber waren um sie herum und bei ihr, wenn sie es brauchte. Sie habe Demenz gehabt, raunte man sich dazu auf dem Friedhof zu, oft sei sie in der letzten Zeit durch die Buckower Wälder geirrt. Nun liegt sie nur einige wenige Meter von Brecht entfernt selbst im Grabe. Halten wir sie am Leben, in dem wir nun sie und Brecht wach halten in unserer Erinnerung:
Ohne Dich / in Kälte lebend /erwärme ich mich/an deinem Wort/und trage es hinaus / zu den anderen Frierenden / als Flamme / Bist du zufrieden? Käthe Reichel
Dazu auch noch: Das Gleichnis vom Buddha und dem brennenden Haus: http://www.youtube.com/watch?v=pIGjO8yKhOM
Ein liebevoll geschriebener Artikel, der Frau Reichel lebendig macht.
DANKE !!!