GlückAufFest in Senftenberg
16.9.13 / jw/ Feuilleton
Das vom Senftenberger Theater schon zum 10. Mal ausgerichtete GlückAufFest, ein Theatermarathon von 12 Stunden (angekündigt 9 ½) knüpft an die Arbeiterfeste in der Niederlausitz an, wo bekanntlich nach der Wende die West-Konkurrenz im Eiltempo die Arbeiterstätten abwickelte und im wahrsten Sinne des Wortes platt machte.
Wie das geschah, warum das geschah und welche Möglichkeiten noch in der Geschichte gesteckt hätten, ( „…sie hat mehr in sich, als sich ereignet,…was wir nicht zustande gebracht haben, müssen wir überliefern“, zitiert nach Volker Braun und E. Bloch, in: Die hellen Haufen) das war Thema des Nachmittags ab 15 Uhr, des Abends und der Nacht bis drei. Unter dem Motto: `Wirklichkeit´, gab Sewan Latchinian noch einmal, als Auftakt für seine letzte Spielzeit in Senftenberg, ein Statement gegen den Kapitalismus und seine fatal-menschenfeindlichen Auswirkungen ab.
Danach wird er nach Rostock gehen, um das dortige Theater vor dem Aus zu retten. Man darf gespannt sein. Was Rostock betrifft, kann ich nach den gestrigen Stücken nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Was die Wirklichkeit in der Niederlausitz und anderswo betrifft, habe ich echt dazugelernt.
Überaus ideenreich
Auch ist das GlückAufFest, dass ab jetzt 11 mal, jeweils Samstags, spielt und was man sich nicht entgehen lassen sollte, überaus ideenreich angelegt. Diesmal war das Theater in einen pünktlich(!) fertigen Großflughafen so improvisativ umgebaut worden, dass er bezahlbar blieb. Es gab Abflughalle, Transitraum, Duty Free, Flughafenkantine, einen orientalischen Basar und einen IrishPub, in dem einer der Hauptdarsteller (Alexander Wulke) zwischen den zwei Stücken, in denen er mitspielte, noch einen irischen Liederabend gab. Am späten Abend Liegestühle um ein Lagerfeuer, und die Zuschauer hielten durch, ja, sie wurden im Laufe der Nacht immer fröhlicher und wirkten um 3 Uhr nachts geradezu aufgemuntert.
Unsere schönen neuen Kleider
Das erste Stück des Abends war die Umsetzung einer essayistischen Rede von Ingo Schulze: „Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte“ in ein Theaterstück unter dem Namen: „Unsere schönen neuen Kleider“. Die in der Rede benutzte Märchenallegorie „Des Kaisers neue Kleider“ wurde nun auf der Bühne so umgesetzt, dass der Kaiser sich in einem Nacktkostüm in seiner Garderobe in einem inneren Monolog dem staunenden Publikum wunderbar selbstironisch (köstlich umgesetzt von Bernd Färber) mitteilte und sich dabei langsam aber sicher in Angela Merkel verwandelte. Der Blick des „politischen Romanciers von internationalem Rang“ auf die politischen Erfahrungen Millionen Ostdeutscher und Osteuropäer während und nach dem „Kollaps des realen Sozialismus“ (Programmzettel) war dabei von scharf beißender, aber bestens argumentativ abgesicherter Kritik an den herrschenden Verhältnissen nach 89 bestimmt.
Auf keiner Parole im Herbst 89 hätte der Wunsch nach Privatisierung gestanden, resümiert er, Freiheit und Demokratie hätte man gewollt, das wäre auch ohne Enteignung des Volksvermögens gegangen. Dazu zitiert er aus dem Aahlener Programm der CDU von 1947, wo das private Profitstreben für eine dem Volk schädliche Sache gehalten wird. Selten hat man die Abwicklung der DDR und den Missbrauch des 89-Protestes, ebenso wie die extreme Rekapitalisierung mit den bekannten Folgen und Steigerungen ins Unermessliche so gut auf den Punkt gebracht zusammengefasst gehört. Absolutes Muss.
Weiskerns Nachlass von Christoph Hein
Das nächste Stück war eine Uraufführung von `Weiskerns Nachlass´, eine Christoph Hein- Romanadaptation von Kathie Liers, in dessen Mittelpunkt die marktkonforme Durchdringung der Geisteswissenschaften und der neuzeitlich-bürgerlichen Welt im Konkreten bis Privaten deutlich wurde. Hier spielte der Hauptdarsteller (Alexander Wulke) einen eitlen Mann auf eine sehr wenig eitle Weise, was sehr gut passte und einem modernen Homo Faber-Stoff ähnelte.
Johann Holtrop
Danach gab es eine Lesung des Intendanten himself, den man aber unter einer hellblonden Perücke einige Mühe hatte wiederzuerkennen. Seine „Lesung“ fast des ganzen Buches „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz, war derart gelungen, dass es eher einem Ein-Mann-Stück gleichkam. Inhalt: Aufstieg und Fall eines Managers in der Zeit, wo das Kapital über 300 % Profit macht und es daher kein Verbrechen gibt, dass es dafür nicht zu tun bereit ist. Der Roman spricht aus dem Inneren der Bestie, macht auf großartige Weise Zusammenhänge sichtbar, das Vortrage-Spiel des Latchinian bricht das Bewusstsein auf und bedient das Unbewusste und so werden Aufstieg, Wahn und Absturz spürbar nachvollziehbar, auch durch einen interessanten Kniff der Bühnengestaltung (Der Lesende wird in einem Viereck gezeigt, dass nebenan umgedreht auf eine Leinwand produziert wird, daraus entsteht später der Eindruck eines Psychopathen in einer Gummizelle.)
Die hellen Haufen
Das nächste Stück nahm sich die Kapitalisierung und Enteignung des Tagebaus zum Thema, Uraufführung einer weiteren Romanadaptation. „Die hellen Haufen“ von Volker Braun, in der Regie von Sewan Latchinian. Volker Braun hat die Wirklichkeit hier anders weitererzählt, und ein an den Bauernaufständen angelehntes neuzeitliches Rebellenstück an Stelle der Niederlage, die die Kumpels in Wirklichkeit erlitten haben, erfunden. Dieses Stück wird sicher Weltruhm einfahren, denn es hat einen wirklich echten Brecht´schen Charakter von Überzeitlichkeit. Richtig steht im Programmheft, dass Volker Braun den Männern und Frauen von Bischofferode und ihrem Widerstand mit diesem Stück ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Sewan Latchinian hat es meisterhaft umgesetzt.
Ohne Moos nichts los von Wenzel
Den Abschluss bildete eine dreigroschenoperhafte Rewue in der Regie des politischen Liedermachers und Barden Hans-Eckardt Wenzel. Die „Hautvolee aus verlor´nen Lumpen“ (Wenzel über sein Stück), spielt in dem Millionengrab eines halbfertigen Großflughafens zwischen alten Fässern und einer Bier- und Würstchenbude. Unter dem Motto: „Hierzulande ist nichts zu teuer, ohne Moos ist gar nichts los / Und das Neue wird immer neuer, und das Große riesengroß“ werden hier nochmal die Lehren des Abends von singenden Nachtgestalten widerständig zusammengefasst. Gelungene Choreografie, einfallsreich, ansprechend, überzeugend. Ein guter Ausklang des Abends, das Publikum tanzt und singt am Ende noch lange mit.
Meisterwerk gesellschaftsverändernder Kulturpolitik
Wie war das? Gesellschaftsveränderungen brauchen eine lange und gute Kulturpolitik? Hier ist sie, Latchinian und sein Ensemble haben ein Meisterwerk hingelegt. Immer wieder hilft dabei der viel stärkere antikapitalistische Konsens des Publikums im Osten. Das lässt hoffen.
Also nichts wie hin. Dazu empfiehlt sich das nächtliche Schlafen am Senftenberger See, da kann man, wenn man aus dem Theater kommt, die Sonne sogar im September noch oder schon wieder über dem Wasser aufgehen sehen. Im Sommer im VW-Bus, in kälteren Jahreszeiten im örtlichen Strandhotel.
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