GrenzgängerInnen in der Theaterkapelle – Rezension

jw / Feuilleton / 31.5.13

Gegen die Hitzegrade: Das Stück »GrenzgängerInnen« erinnert in Berlin an die Defacto-Abschaffung des Asylrechts vor 20 Jahren

Von Anja Röhl
Dieses Transparent mit den Namen aller Todesopfer von rassistisc
Dieses Transparent mit den Namen der gestorbenen Flüchtlinge seit 1993 Foto: ARI-Dokumentation
 
 
Die fabelhafte Welt der Asylpolitik

Am Sonntag, dem 20. Jahrestag der De-facto-Abschaffung des Asylrechts in Deutschlands, hatte in der Berliner Theaterkapelle, ein intensives Stück über die Asylpolitik Premiere: »GrenzgängerInnen«. Und zwar direkt nach einer Demonstration, die an den Bundestagsbeschluss vom 26. Mai 1993 erinnerte und an die fünf Türkinnen, die bei einem Brandanschlag in Solingen drei Tage später starben. Im Untertitel geht es um »Die fabelhafte Welt der Asylpolitik«. Inszeniert und gespielt von den nachnamelosen »Ali, Kalle, Larissa, Mohammad, Nathalie, Rose, Timo und Wahed« beginnt das Stück so: »Es war einmal an einem lauen Sommertag im August des Jahres 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Im romantischen Widerschein der brennenden Unterkunft für Asylsuchende lehnen gemütlich einige Schaulustige an Api’s Würstchenbude und freuen sich…«

Hitzegrade erzeugt

1991 hatte es in Hoyerswerda das erste Pogrom nach Kriegsende gegeben. Ein Mob von 500 Menschen griff das Hochhaus an, in dem vietnamesische und moçambiquanische Vertragsarbeiter lebten. Ein Jahr später geschah dasselbe in Rostock-Lichtenhagen. Im nationalen Taumel nach dem Sieg der BRD im Kalten Krieg und dem Anschluß der DDR wurden Ausländer gejagt und ihre Wohnungen attackiert, während die Medien gegen angeblichen Ayslmissbrauch hetzten. In dieser Stimmung kam es zum sogenannten Asylkompromiss zwischen CDU und SPD, der das Asylrecht verwehrte, wenn der Flüchtling aus einem angeblich »sicheren Drittstaat« nach Deutschland einreiste. Der CDU-Innenminister Manfred Kanther bilanzierte gegenüber der Süddeutschen Zeitung im März 1994: »Jetzt kommen nicht mehr 30000, sondern 10000 Flüchtlinge. Das ist immerhin etwas. Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung – die natürlich Hitzegrade erzeugt hat«.

Nun werft schon

Das Stück »GrenzgängerInnen« beginnt draußen. Die Zuschauer werden in die Theaterkapelle hineingeführt von zwei Schauspielern, die auch die Aufführung durch Kommentare strukturieren, mal als Animateure mit bunten Luftschlangen, mal als Arbeitsamtsbeamte, zwanghaft mit dem Kugelschreiber rumknipsend, oder als Weihrauch schwingende Geistliche. Zu Beginn locken sie die Zuschauer, doch gemeinsam mit ihnen zum »Sonnenblumenhaus« in Rostock-Lichtenhagen zu kommen. Die Polizei hätte sich verspätet, und die Wohnungen würden schon brennen. Dazu sieht man auf einer Leinwand die Täter über die Balkone klettern und unter dem Jubel der Menge die Gardinen in den Wohnungen anzünden. Die Schauspieler zitieren aus Gerichtsprotokollen: »Wir wussten vorher, daß es in Rostock zu Ausschreitungen kommen muß! … Wir trugen Springerstiefel … Alle haben ›Sieg Heil‹ gebrüllt und ›Nun werft schon!‹ … Dann haben wir die Mollis geschmissen … Danach gab es Beifall und Jubel.« Das wird singend und tanzend vorgetragen.

Die Depression breitet sich aus wie eine Infektion

Szenenwechsel, die Kapelle wird dunkel, einige leuchten mit Taschenlampen herum, es werden andere, verängstigte Spieler aus ihren Wohnungen geholt und mit Gewalt durch die Zuschauerreihen, getrieben und in Zellen abgeführt, wo sie sich im weiteren Spiel nur noch auf kleinstem Radius bewegen können. Nun kommen Flüchtlinge zu Wort. Ein junger Mann erzählt vom Alltag im Flüchtlingsheim: »13 Jahre Warten, Nichtstun, die Depression breitet sich wie eine Infektion vom Vater auf die Mutter zu dir aus, wie erklärt man das seinen Kindern, wie hält man das aus?« Die Zellen erinnern plötzlich an Hinrichtungsstätten.

Die Mutter schnitt sich die Pulsadern auf

Dazwischen gibt es Beispiele von Behördenwillkür, persiflierend vorgetragen von Amtsvertretern, Geistlichen, aber auch Bürgerlich-Unbefangenen, gespielt genau an der Grenze zwischen Übertreibung und Karrikatur, ohne in Witz überzugehen. Die Originalzitate sind von den beiden Initiatorinnen, Larissa und Nathalie vom Team »Creactive« gründlich recherchiert worden. Sie haben auch das Schicksal von Wadim auf die Bühne gebracht, eines jungen Deutschen, der das Pech hatte, aus Lettland eingewanderte Eltern zu haben, die offiziell nie über den Duldungsstatus hinausgekommen sind, während sie ein völlig normales Leben in Hamburg führten. Wadim, der sich später in Hamburg vor einen Zug warf, was hier aber nicht vorkommt, erzählt den Moment, in dem der Mob in ihre Wohnung eindrang. Der Vater kam  sofort in Abschiebehaftend, die Mutter schnitt sich noch in der Küche die Pulsadern auf und kam in die Psychiatrie, der kleine Bruder kam ins Heim, und er selbst fand sich gefesselt im Flugzeug nach Lettland wieder, wo seine Eltern als Russen verfolgt worden waren und er kein Wort der Landessprache verstand.

Bis ich Angst vor mir selbst bekam

Das Stück ist über weite Strecken mitreißend und originell gemacht, nur im letzten Teil etwas zu lang geraten. Es fordert zu Protesthandlungen auf. Auf dem zugehörigen Plakat schaukelt ein Kind an Stacheldrahtstricken, darunter das Zitat: »Ich habe nichts verbrochen und wurde behandelt wie ein Monster … bis ich Angst vor mir selbst bekam.«

Nächste Vorstellungen: 31.5., 1.6., 2.6., jeweils 20 Uhr, Theaterkapelle, Boxhagener Straße 99, Berlin

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