Kampf und Liebe – Maria Farantouri in Berlin
in: junge Welt, 03.07.2007
Maria Farantouri, wer ist das? Fragt mich mein 30jähriger WG-Mitbewohner. Ebenso andere junge Leute, denen ich von dem Konzert in Berlin erzähle. Aber Theodorakis? Den kennt ihr? Ja, schon mal gehört, kommt dann. Wie immer, man kennt den Mann und kennt nicht die Frau. Aber Theodorakis’ Musik wäre nicht denkbar ohne die Interpretin, die er selbst als »seine Priesterin« bezeichnet hat. Niemand schafft es, so zart und auch so stark die Texte von Theodorakis zu singen, daß sie sich einer ganzen Generation eingeprägt haben. Schon einmal habe ich Maria Farantouri in Berlin gehört, es muß 1976 oder 77 gewesen sein, in der Neuen Welt in Berlin-Neukölln. Damals gab es ein Konzert mit vielen linken Musikgruppen, multinational durchmischt, türkischer Arbeiterchor und viele andere, ihnen allen hatten wir brav zugehört, waren nun aber müde, denn es ging auf 23 Uhr zu. Da plötzlich kam sie aufs Podium. Wir merkten es daran, daß diese Stimme größer war als der Saal. In einem rot-wallenden Kleid, hatte sie die Arme erhoben und zu singen begonnen. Und ihre Stimme, die tief und voll tönte, diese Stimme eines einzigen Menschen, aus einer einzigen Kehle, füllte in den leisesten Nuancen bereits den ganzen Raum vollständig aus. Es war ungeheuerlich, was sich da tat.
Mit leisen Worte streicheln
Sie hauchte die Worte zunächst beinahe nur, aber diese leisen Worte streichelten, trösteten, waren wie Hände, die einen berührten. Dann gab sie immer mehr und mehr Tiefe in ihre Stimme hinein, schon bald standen alle auf den Bänken und klatschten und sangen und eine Stimmung größter Freude und Zuversicht verbreitete sich im Raum. Nun stand Maria Farantouri 60jährig am Freitag wieder auf einer Berliner Bühne, im Kammermusiksaal der Philharmonie. Das Publikum ist buntgemischt, viele Grauhaarige, die aussehen, als seien sie jünger, freundliche Gesichter, kaum Anzüge, gar nicht das übliche Philharmoniepublikum. Kein Wunder, Maria Farantouri ist sich treu geblieben, noch immer singt sie für die Revolution und gegen das Unrecht. Noch immer ist sie für die Befreiung der Unterdrückten: »Es war einmal in Anatolien, leer die Geldbeutel, faulig das Wasser, in Mossul, in Basra, und am alten Dattelbaum weinten voll Gram die Kinder«.
Sie schleudert ihren Kopf nach hinten
Nach ihren Musikern, von denen einer mit zwei Gehstützen kommt, betritt sie von links unten die Bühne. Sie stützt sich auf eine junge Frau, kann sich kaum bewegen, hat vielleicht einen Hüftschaden. Dann beginnt sie, die Stimme ist leise und zart, und, da sie trotzdem tief ist, klingt das sehr warm und weich. Nach dem ersten Lied fließt Strophe für Strophe, Lied für Lied mehr Leben in sie, es ist, als habe sich hier eine Frau von ihrem Krankenlager erhoben, um gesund zu werden dadurch, daß sie für andere singt. Sie lacht, strahlt, erhebt ihr Gesicht, schleudert ihren Kopf nach hinten und singt. Sie sieht plötzlich jung aus, genau wie damals – damals, als wir auf den Bänken standen.
Der Typus der stolzen Frau
Sie singt Gedichte von Theodorakis, Chatzidakis und Gatsos, oft handeln sie von den Widrigkeiten der Liebe und des Kampfes, trotzdem dürfen beide nie aufgegeben werden. In ihrem orange schimmernden schlichten Batik-Gewand, tritt sie uns mit ihrer Fülle und in ihrer Größe als eine Frau gegenüber, die den Typus der stolzen Frau verkörpert, die wir aus der Antike kennen. Man denkt, wenn es nur solche wie sie gäbe, niemand wäre je auf die Idee gekommen, Frauen als das »schwache Geschlecht« zu bezeichnen, noch hätte man sie je gedemütigt, gequält und mißbraucht. Sie ergreifen die Initiative, sie entscheiden, was geschieht und was nicht geschieht, sie lenken und gestalten die Welt zum Guten und Gerechten. Die große Sehnsucht, deren Verkörperung sind sie und ihr Gesang. Sie reckt sich mit dem letzten Lied noch einmal mehr, steht nun wie die Nike von Samotrake, wie Jeane d’ Arc auf dem riesigen Revolutionsgemälde. »Way home« heißt die CD, die es in der Pause zu kaufen gibt.
von Anja Röhl