Mutter Courage von Johanna Schall – Rezension
Was war Neues an dieser Mutter Courage? Sie war jung, so jung, dass Teenagerkinder gerade noch glaubhaft waren, aber auch noch Flirts, Händel, dass sie sich durchschlug durch Kriege und Zeitalter. Körperliche Anstrengungen waren ihr noch nicht anzusehen, sie ging weder gebeugt, noch wirkte sie je gebrochen, dies wirkte dem Mitleid entgegen. Das Bühnenbild, es bestand einzig aus überdimensionierten Werbetafeln, Coca-Cola, Mac Donald, aber, durchschossen, verblichen, mit Brandspuren, abgeblättert, wie aufgeschlitzt, auf einem steht zu lesen: „Go, before it´s to late“, auf einem anderen sieht man ein Foto mit einem Säugling, der an der Mutterbrust saugt. Die Tafeln bewegten sich langsam, jeweils um die Handelnden herum, bilden die Wände ihrer Zeit, die auch unsere sein könnte, an einem anderen Ort freilich, noch. Was ist weiter neu? Die Art, wie es beginnt. Die Schauspieler betreten die Bühne durch die Seiteneingänge des Parketts und stürzen auf das Publikum zu, rufen ihnen heutige Werbeparolen der Bundeswehr zu klettern in ihren Reihen herum, laut rufen sie dazu, auffordernd lachen sie: „Kommen Sie zu uns – Die Luft von Freiheit und Abenteuer… Bei uns winkt Ihnen eine glänzende Karriere“… dies distanzlos bis zur Aufdringlichkeit, und doch nicht künstlich, das trifft die heutigen Werber in Schulen und Berufsschulzentren punktgenau.
Die einführenden Worte werden als kleine Gruppenperformance mit wedelnden Armen skandiert, die Songs verjazzt: „Erst der Krieg schafft Ordnung in der Welt, …ohne Ordnung keine Schlacht, ohne Ordnung keine Schlacht“, die wedelnden Arme gehen in ein Gackern über, wie wenn man Hühner nachäfft, die dann in Motorengeräusche, ähnlich wie sie Kinder machen, dann Auftritt der Mutter Courage-Familie im Auto. Das Auto militaristisch, alt, geflickt, ein zeitloser Jeep-ähnlicher offener Kastenwagen, ein Warenauto heutiger Kriegsschauplätze.
Die Dialoge des Stückes bekommen so eine neue Aktualität: „Muss ein schlechter Hauptmann sein, dass er Soldaten braucht mit Mut“ Der Song „Das Schießmesser schießt“ verjazzt, wirkt skurril, die Worte der Courage durch die Eva Maria Blumentrath sind absolut großartig gesprochen, das ununterbrochen kämpferische in ihrer Sprache, in ihren Gesten, sie, die die Sache durchschaut, „sie führen den Krieg um Profit“, und doch nichts ändern kann, weil sie durchkommen muss, die Ihren durchbringen muss. Diese Dialektik, die sie letztendlich immer mehr in Schuld verstrickt und Unglück, sie verliert ein Kind nach dem anderen, diese Tragik kann Eva Maria Blumentrath einzigartig transportieren, ohne je melancholisch, künstlich, unecht, manieriert zu wirken.
Dieses Stück ist heute, um Brecht zu zitieren, „kein Stück mehr, das zu spät gekommen ist, nämlich nach einem Krieg“, es droht auch nicht nur erst ein neuer, wir leben bereits in einem und dieser Krieg ist in diese Inszenierung durchaus eingeflossen. Auch daraus erwächst neues Hinhören auf die alten Texte, die nichts an Aktualität verloren, sondern durch die Schall-Inszenierung absolut gewonnen haben.
Es werden viele Aspekte des Krieges deutlich, die heute wieder diskutiert werden: Die Brutalisierung der Liebesbeziehungen hin zu nackten Eroberungs- und Ausbeutungsverhältnissen, „Ich war erst 17 Jahr alt, da kam der Feind ins Land…“
Da Arbeit wegfällt im Krieg, veröden die Felder zu Dornengestrüpp, verwildern die Menschen und es wird der Krieg selbst zur Arbeit, die ohne ihn weg bricht, weshalb keiner ihn mehr enden möchte.
Auch der Satz: „Beim Essen ist ihm der Appetit gekommen, so hat er das ganze Land besetzt“ dann: „ Als sie einmal mit mir fix und fertig waren, hatten sie mich auf den Knieen“, oder: „Viele sah ich schon die Himmel stürmen, doch sie fühlten bald Berg auf Berge türmen“ singt Eva Maria Blumentrath leidenschaftlich, glaubwürdig, echt.
Dann das Verhältnis Krieg und Frieden: „Meinen Sie, dass der Krieg aufhört? Was ist mit dem Frieden? Was wird aus dem Loch, wenn der Käse in der Pfanne schmilzt?“
Oft steht Mutter Courage zwischen Existenzaufgabe und Mutterliebe, eine Lösung lässt sich nicht finden. Das Lied von der großen Kapitulation. Ein Soldat sagt: „Ich vertrage keine Ungerechtigkeiten“, Mutter Courage fragt zurück: „Wie lange?“ „Wie lange vertragen Sie keine Ungerechtigkeiten?“ Immer wieder kehrt sie zum resignierenden Fazit zurück: „Der Krieg findet immer einen Ausweg“
Doch dann wird nach Schweizerkas auch die Stumme zum Opfer. Vorerst eines Überfalls mit Vergewaltigung und Gesichtsverletzung, „Der rieg soll verflucht sein!“ schreit die Mutter, doch kann es nicht durchhalten, es treibt sie zum Überleben weiter in dem ewigen Mühlrad. Bis der Frieden mit Hunger, Leichen und Ratlosigkeit kommt, keine Auftraggeber zum Morden mehr, kein Gewinn, kein Handeln möglich. Der erste Sohn, Eilif, durch Morden im Krieg gut voran gekommen, versagt damit im Frieden, da er weitermordet, wird er erschossen.
Wo der Krieg sich verzieht, bleibt die Armut übrig: „Die Dörfler sollen schon ihre Kinder gefressen haben“. Da winkt Hoffnung, ein neuer Krieg soll wieder angezettelt werden, ein Bataillion zieht auf, will die abwärts liegende Stadt überfallen, die Stumme hat ihre große Stunde. Hier besonders. Johanna Schall hat das Trommeln der stummen Katrin zu einem Fanal des machtlos-machtvollen Widerstands hochstilisiert, der über allem triumphiert. Als alle um sie herum aufgeben, sie können nichts machen, sagen, sie seien so schwach, da erhebt sich die Stumme aus ihrer Lethargie, die sie seit ihres Überfalls gefangen hielt, schaut sich um und beginnt zu trommeln, erst leise, dann lauter, immer wütender, lauter und entschiedener wird ihr Trommeln, bald fällt das Klavier, dass seitlich in der Ecke stand, mit ein, begleitet, verstärkt das immer noch lauter werdende Getrommel zum großen Fortissimo. Ende durch Schuss, aber die Stadt ist gewarnt. Kein Sieg gegen den Krieg, kein Ende des Krieges, im Gegenteil, aber ein Millimeter Menschlichkeit gegen das Unrecht und die Unmoralität eines heimlichen Überfalls. Eine solche Kleinigkeit ist also der Höhepunkt dieses unvergesslichen Anti-Kriegsstücks und doch geht es allen nah, berührt…gebrochen wird’s durch die Unverbesserlichkeit der Courage, die noch im größten Elend den abziehenden Truppen hinterherläuft: „Nehmt mich mit, nehmt mich mit!“ Zum Schluss kann nur noch überleben, wer sich am Morden beteiligt“
Johanna Schall übers epische Theater: „Ich habe eine Menge unglaubwürdiger Dinge und viel Blödsinn über die Theorie des epischen Theaters gehört und gelesen, aber mir scheint das Folgende den Kernpunkt zu beschreiben: Nein, er hat nicht gesagt, dass wir ohne Gefühl spielen sollen, nein, er hat nicht gesagt, dass das Publikum kalt und unbeteiligt bleiben soll. Aber er bestand auf der künstlerischen Energie des kritischen Denkens. …Du, als Spieler oder Zuschauer sollst Fragen stellen…nicht nur vorgegebene Antworten akzeptieren. …Du musst dich wundern dürfen…Dieses Wundern und Staunen soll dich zum Widerstand bringen… gegen stumme Akzeptanz und Verblödung.“ (zitiert nach Programmheft)
Das Stralsunder Theater fühlt sich offenbar Max Frisch verpflichtet, der zeitlebens gegen die „Unverbindlichkeit in der Kunst“ angekämpft hat, einer Unverbindlichkeit, die säuberlich unterscheidet zwischen „Konzert und Straße“, zwischen „drinnen und draußen“, stattdessen wählt es die Parteilichkeit mit den Schwachen. Johanna Schall hat sich für ihre bahnbrechende Neuinszenierung der Mutter Courage nicht ohne Grund das Theater Vorpommern ausgesucht, eine gute Entscheidung!