Nora im Deutschen Theater – Rezension
9.12.15 in jw / Feuilleton
Es ist ein Wagnis, Henrik Ibsen umzuschreiben, Armin Petras hat es getan und »Nora« für die Bühne im Deutschen Theater in Berlin »neu eingerichtet«. Unter der Regie von Stefan Pucher ist dafür eine interessante Lösung gefunden worden.
Über der Bühne laufen auf einer Leinwand Theaterszenen in Schwarzweiß, die altmodisch und melodramatisch, wie aus den 1930er Jahren stammend, wirken. Sie werden aber von denselben Schauspielern gespielt, die unten auf der Bühne in einer grellen, lilabunten Lackfarbenwelt in modernen Kleidern Neureiche karikieren. Die Sparche unterscheidet sich auf beiden Ebenen: oben der klassische Ibsen, unten der veränderte Ibsen. Doch der Inhalt bleibt unverändert: Nora ist eine konsumsüchtige Püppchenfrau, die mit ihren Kindern ja in einem »Puppenheim« lebt, wie Ibsen sein Stück ursprünglich betitelt hatte.
Erpresst, weil sie ihm hochgeholfen hat
Nora behandelt ihren Mann Torvald kindlich-liebevoll, während er ihr gegenüber wie ein Vater auftritt, der sie wie ein Kind bevormunden und zurechtweisen kann, ganz nach Belieben, weil es eben zum echten Nachdenken nicht fähig ist. Darüber fühlt er sich groß, während in Wahrheit sie es ist, die ihm hochgeholfen hat, dann aber von einem seiner gerade entlassenen Mitarbeiter erpresst wird, weil sie die Unterschrift auf einem Schuldschein gefälscht hat.
Will er sich ihr nähern, macht er das plump und fordernd
Das festgefügte Rollenmuster, das hier gläsern die Lüge sichtbar macht, hindert die Protagonisten, ihren echten Gefühlen Ausdruck zu verleihen, daher wird auch die Sexualität zwischen den beiden künstlich und undurchführbar. Er: »Ich bin absolut sauber!« / Sie: »Kannst du ja gar nicht sein, sonst wärst du ja nicht Bankdirektor!« / Er: »Liebe! Schon mal gehört?« Will er sich ihr nähern, macht er dies plump und fordernd, sie schreckt vor ihm zurück, weicht ihm aus, wehrt ihn ab. Beide bewegen sich keinen Millimeter aus den vorgegebenen Rollen heraus. Als der Ehemann von dem Erpresserbrief erfährt, dreht er durch und beschimpft seine vorher doch scheinbar so sehr Angebetete in ekelerregender Weise. Das Fehlen der Liebe wird vollständig enthüllt.
Nora hat es plötzlich begriffen: So ein Leben will sie nicht mehr
Freundlich wird er erst wieder, als sich die Sache mit dem Schuldschein erledigt hat. Er bittet um Versöhnung und stellt alles als Scherz hin. Doch da hat es Nora plötzlich begriffen. So ein Leben will sie nicht mehr führen und verlässt ihren Mann. Dies passiert allerdings hier dramaturgisch dermaßen schnell, dass man es im Grunde nicht richtig mitbekommt. Die Püppchenwelt war ihr doch auf den Leib geschnitten, woher nun plötzlich der Zweifel? Es ist so, als wäre Nora jetzt auch von der Regie verlassen.
Heute: Glitzern-gelacktes Bankenmilieu
Armin Petras’ Umschreibung spielt im Bankenmilieu, ebenso glitzernd wie gelackt vor modernistischen Möbeln in kalten Farben. Die Rolle der Nora ist mit Katrin Wichmann gut besetzt. Allerdings kann sie in der lasziv konzipierten Schwarzweißfassung ihren Schlafzimmerblick keine Minute ablegen.
Kinder kommen in Petras’ Variante gar nicht vor, da Nora sie ja nur zu Puppen in einem Puppenheim erzogen hat, interessiert sich auch der Autor nicht mehr für sie. Der Erpresser (Moritz Grove) ist als Charakter etwas eindimensional geraten. Der Ehemann (Bernd Moss, eine Starbesetzung), ist schärfer konturiert.
Sprache dem Volk abgelauscht, das sich auf facebook vernetzt
Die Sprache hat Petras dem Volk abgelauscht, das sich auf Facebook vernetzt. Es ist ein ubiquitär-neoliberaler Jugend-Slang, der menschliche Beziehungen versachlicht, ganz so, als hätte man es mit Apparaten und nicht mit Kommunikation und Interaktion zu tun. Da gibt es klare Antworten, entweder ja oder nein, eins oder zwei, der Mensch ist aber mehr ein Dazwischen. Da wirkt die Sprache manchmal ein ganz klein wenig zu jung für die Protagonisten.