Nur ein Schritt bis zur Grenze – Theater im Bus – Rezension
Ich habe schon Theaterbühnen sich verkleinern sehen bis zur Hinterhof-Wohngemeinschaft, in einem Bus sah ich es noch nie. Der Bus heißt „Utopia“ , wurde vom Hamburger jungen Schauspielhaus umgebaut und soll deutlich machen, dass die Zeit der Utopien, Ideen und Träume nach Gerechtigkeit keineswegs im Meer der Konsumvernebelungen versunken sind.
Ein Bus, mit dem Schüler zu anderen Zeiten auf Klassenreise gefahren sind, ein Bus aber auch, mit dem Menschen durch Wüsten und Gefahren aus ihren zerrütteten Ländern fliehen und zu neuen Ufern aufbrechen. Nun sitzen hier Zuschauer, eng gedrängt auf 28 Plätzen, jung und alt, die Jüngsten erst 11. Ein “Lehrer” begrüßt alle, zeigt auf eine Afrikakarte, deutet auf die Länder Ghana, Algerien, malt einen Fluchtweg, zeigt ein Pflänzchen, dass erraten werden muss, eine Kakaopflanze, die dort wächst, aber von der die dort Lebenden nichts haben. Da klopft einer mit Mütze und will noch rein, er sieht gehetzt aus, presst seine Tasche an sich, „kann ich hier kurz warten?“, fragt er, schaut sich angstvoll um. Der Lehrer (Autor und Dramaturg Michael Müller) sagt nüchtern ja, will weiterdozieren, da reißt Dede, 18-jährig, Flüchtlingsnachkomme, Illegaler aus Hamburg, das Wort an sich, beginnt mit der Leopardengeschichte seiner Mutter, und dass er schwarz sei, was keiner bemerkt hatte, dann man sieht es kaum im Schummerlicht des Busses. „Ist der echt?“ , fragt ein Kind aus dem Publikum, das Spiel beginnt.
Zum Anfassen nah
Es beginnt von Anfang an als eine Art Unterhaltung der zwei Hauptdarsteller Dede (Patrick Abozon) mit seiner deutschen Freundin Melle (Janna Lena Koch) und den direkt neben und vor ihnen sitzenden Kindern, sehr nah ist dieses Theaterspiel, zum Anfassen nah, als wollte der Autor es den Menschen auf den Schoß setzen, das Problem, es ihnen endlich einmal so nah bringen, dass sie es nicht mehr verdrängen können, dass wir mitverantwortlich sind, an dem Elend, dass dort unten in Afrika geschieht und die Menschen in Scharen aus ihren Ländern treibt. Dede erzählt von Toxic City, einer Stadt mit Computerschrott bis zum Horizont, wo die Plastiktüten wie Vögel von Haus zu Haus fliegen und die Kinder in den Müllhalden wühlen. Dorthin müsste er, wenn man ihn findet, dort ist sein offizielles Heimatland, das er nie sah, dorther ist seine Mutter, die man an diesem Morgen verhaftet hat. Aber er muss doch nach seiner kleinen Schwester sehen, sie ist erst neun, sie ist auf einem Schulausflug, wie er herausbekommt, und er ist nun der Einzige, den sie noch hat, was soll er tun? Er hat Angst vor jedem Scheinwerfer, er duckt sich, wenn ein Auto vorbeifährt, er darf nicht erwischt werden beim Schwarzfahren, wie es weitergehen soll, weiß er nicht.
Die Kinder wissen, was das heißt illegal zu sein
Oft ist er unkonzentriert, erzählt unzusammenhängend, Wut und Verzweiflung wechseln: „Die Welt ist weiß und ich bin schwarz, offiziell existiere ich gar nicht, aber ich bin sehr lebendig,…noch!“ Die Mutter wurde, als sie nach sechs Jahren endlich in Berlin ankam, von ihrem einzigen Angehörigen bis als Arbeitssklavin ausgenutzt, die Dreimonatsvisafrist verfiel, ohne dass sie einen Cent ansparen konnte, sie war dann nach Hamburg geflohen, seither lebten sie illegal. Die Kinder wissen, was das heißt, illegal, sie haben von Ärzten gehört, die Illegalen helfen, wenn die krank sind. Dede erzählt auch immer wieder von seiner kleinen Schwester Benedikta, wie sie sich in seinen Arm gekuschelt hat, wie sie anfangs noch lange nach dem Vater rief, bis es dann aufhörte, da der dann nie kam, weil er ertrank, das kommt aber erst am Ende heraus, lauter kleine Konkretheiten, die die Kinder in Atem halten, in die sie sich einmischen „hier, kannst meine haben!“, bietet einer an, als er einmal vor dem Kontrolleur fliehen muss. Die Kinder wissen auch gut Bescheid, wenn Dede sie manchmal was fragt, dann kennen sie sich aus, sie wissen, dass man mit Lastwagen durch Wüsten flüchten muss, in die dann barbarische Räubersoldaten einbrechen, Ausweise und Geld verlangen, mit dem leeren Bus abhauen, die Menschen ohne Wasser zurücklassen. Die Kinder wissen es und antworten, was sie wissen und mischen sich in seine Geschichten ein, sie wollen ihm helfen, sprechen ihm Mut zu.
Die Kinder lernen mehr als unsere Politiker in tausend Gremien diskutieren
Es ist scheints, aufgegangen, die Idee, Theater auf diese Art nah zu bringen, in einem Bus, in dem man sitzt, als sei man eine gemeinsame Reisegesellschaft. Schade nur, dass hier nicht die Politiker sitzen, die darüber entscheiden, wohin unser Computerdreck gekippt wird, oder die, die Einwanderungs- und Abschiebungsentscheidungen fällen. Wie immer lernen die Kinder mehr, als unsere Politiker in tausend Gremien herausdiskutieren. Das Spiel ist düster und traurig, nahezu hoffnungslos, doch nur für Erwachsene. Kinder sehen Rettung in Melle, sie, die mutterlose, die mit ihrem Vater nur per Handy kommuniziert, die einfach zu Besuch zu Dedes Familie geht, obwohl er sich immer schämte, sie, die mit seiner Mutter in der Küche tanzt, sie wird ihn heiraten, fantasieren die Kinder nachher, als das Stück plötzlich abrupt endet, als beide weiterziehen, wohin bleibt unklar. Die Kinder haben was von dem offenen Ende, sie wissen wie es weitergeht, Melle wird Dede heiraten, dann nehmen sie Benedikta zu sich, wohnen tun sie im mutterlosen Zuhause Melles, bisher ein leeres Haus, in dem nur die Schildkröte mit ihren Augenlidern klappert.
Warum lassen wir soetwas zu?
Ein modernes Märchen, dass die Kinder fröhlich, die Erwachsenen wie zerschlagen entlässt. Die Kinder sind noch frei von Schuldgefühlen, dass sie eine Regierung dulden, die derlei weltweit zulässt und mit befördert, die Kinder sehen nur, wo Hilfe Not tut und entwickeln Pläne. Kurzfristige, mag sein und helfen können sie vorerst auch nur Melle und Dede, doch machen sie sich auch schon Gedanken um die Mutter, Melles Vater muss einen Anwalt bezahlen, der holt sie raus, das wird dann die neue Mutter aller dreier Kinder. Welch einen unglaublichen Schatz hat doch jede Zeit durch ihre Kinder und Jugendlichen und deren konkrete Ideen, wie Hilfe möglich sein könnte. Warum verlieren das die Erwachsenen nach einer Weile aus dem Auge? Weil es so unübersehbar wird, weil die Mächtigen zu mächtig erscheinen?
Abseits der Glanzfassade des Hamburger Schauspielhauses, auf dem Schulhof einer Schule, eingeklemmt zwischen Parkplatz und Garagen, steht der Utopia-Bus und wartet auf seine nächsten Vorstellungen. Man kann auch mit ihm fahren, von einer Schule zur nächsten, um noch viele Kinder einzuladen, Ideen zu entwickeln, wie diese Welt zum Guten zu ändern ist. Der Bus kann für jede Gruppe gebucht werden, unter: 040 -24871110, ich wäre dafür, dass er einmal zu den FRONTEX-Soldaten führe, das wäre mal eine Sache.