Oder-Bruch – Rezension
jw / Feuilleton / 18.2.12
Das Doku-Stück “Oder-Bruch” , eine Ko-Operation zwischen dem Theater Neue Bühne Senftenberg und dem DT hat die Oderüberschwemmungskatastrophe zum Thema, die im Jahre 2000 über die Menschen dieseits und jenseits Oder heringebrach. Dem Team ist hier mit wenig Mitteln ein unprätentiöses Stück gelungen, was sich unbedingt lohnt anzuschauen.
Auf der Bühne ist zunächst ein Wall, der an einen Deich erinnert, dieser Deichwall ist aber nicht aus Gras, sondern verfremdend mit einer Blümchen-Tapete beklebt, was insofern originell ist, da man die Assoziation eines Hausinneren hat, links im Bild ragt ein Baum-ähnliches Teil, ebenfalls mit Tapete beklebt, über den Wall hinaus. An dieser Stelle ist die Tapete leicht abgeblättert, wodurch der Charakter feuchter Wände mit abblätternder Tapete entsteht,Tapetendeich und Baumidee führen zum Eindruck einer Vermischung von drinnen und draußen und unterstreichen damit, was hier ja tatsächlich stattgefunden hat. Nun ist es im Weiteren so, dass während der einzelnen Szenen, die alle unter dem Wall und auf dem Wall und am Baum oben und unter dem Baum stattfinden, dieser Wall zum variablen Bühnenbild wird, indem aus ihm sich Einzelteile herausklappen lassen, je nachdem es die Spieler gerade benötigen, will man eine Gruppe Menschen zeigen, die hockt oder sitzt, so sitzen sie plötzlich auf ausgeklappten Holzteilen, die nun ihre Tapetenoberseite nach unten geklappt haben und von oben ein Holzbrett mit Stütze bilden, auf dem der Spieler sitzen kann, es klappt sich auf diese Weise auch ein Tisch (man denkt an einen Tapeziertisch) auf, auf dem auch mal was abgestellt wird, am Ende ist der Deich sichtbar “durchlöchert”, wie es ja auch in Wahrheit durch die Wassermassen passierte. Es korrespondiert hier Bild und Text äußerst gut miteinander.
Eine originelle Bühnenbildidee, die eine Atmosphäre von Dichtheit und Geschlossenheit vermittelt, wie sie in der Welt, die sich durch die Katastrophe im Grenzgebiet am Oderbruch 1997 intensiv zusammengerückt fand, auch tatsächlich geherrscht hat. Die Menschen, von Staat und Politik verlassen, unfähigen Beamten ausgesetzt, halfen sich selbst und obwohl sie an vielen Stellen scheiterten, waren die sozialen Erfahrungen unglaublich intensiv: „Es war wie im Warschauer Aufstand“, sagt eine Polin, „der ist auch gescheitert, aber wir taten es für uns, wir schufteten ohne Unterlass, für uns, wir alle zusammen“ „Mein Opa schlief eine Woche lang nicht!“
Särge schwammen durchs Dorf
Das Team um Thomas Rausch sammelte in 100 Interviews mit Betroffenen der Oderbruchflut Originaltexte und machte daraus richtig gute Literatur, die Methode ist bekannt, dokumentarisches Theater, die Umsetzung genial. Dramaturgisch straff, immer neue, ungewohnte Bilder, nicht eine Szene, die voraussehbar gewesen wäre, Witz und Ernst in ständiger Abwechslung einander gegenübergestellt, die Schauspieler spielten ihre Figuren punktgenau, eindringlich und auch selbstironisch. Es gelingt die verschiedensten Typen vorstellbar zu machen, die Helfer des THW, die einmal den Auftrag erhalten 500 Betten zu besorgen und in ein Dorf bringen, wo sich dann herausstellt, dass nur 30 gefordert waren, der Sattelschlepper bleibt dafür im Matsch stecken: “Dann könnt ihr hier buddeln helfen“. Ein Bundeswehranführer muss für 18.000 seiner Leute „Quartier machen“, doch die Hausmeister in jeder Schule, wo er anfragt, haben „keine Anweisungen bekommen“ und weigern sich: „Dann mussten wir die Schule besetzen! Eine Dusche im Keller für alle!“ Wie sich auf jeder Deichkrume eine Gruppe bildet, wie ein Anführer entsteht, wie nach Tagen und Nächten ohne Wechselwäsche Beamten und Politiker im blankgeputzten Auto auftauchen, Reporter im Schlepptau, Befehle geben, sich erkundigen wollen… Wie dann die Menschen sie des Ortes verweisen, „Ihr habt uns hier gar nichts zu sagen!“, einer brüllt: „Was ich nach 7 Jahren Wende und 14 Tagen Oderflut gelernt habe, ist, dass Demokratie und Katastrophen nicht zusammengeht!“
Eine Erzählung aus einem überfluteten Dorf, in dem ein Friedhof, der auf einem Hügel gelegen hatte, unterspült wurde, die Särge wurden herausgespült, schwammen durchs Dorf, prallten gegen Bäume, die Deckel sprangen auf, die Leichen wurden herausgeschleudert, den Dorfbewohnern stockte der Atem. Am Ende ein wüstes Chaos von ineinander verkeilten Särgen eines Dorfes, jeder kannte die Särge, die Toten: Weltuntergangsstimmung.
Man half sich selbst
Die Toten wurden später in einem Massengrab erneut beerdigt. Der Verlust dieser Totenstätte ein seltsames Gefühl von Verlust, da man eventuell schon viele Jahre lang einen Angehörigen auf dem Friedhof besucht hatte, nun war dieser Platz weggespült worden, der ganze Berghang weg, innerhalb einer halben Stunde, dazu die umherschwimmenden Leichen. Das hatte was von Weltuntergang, die wichtigste Erfahrung auch hier wieder: keinerlei Verlass auf die “Volksvertreter”, man half sich selbst und zwar im Kollektiv, und diese bildeten sich sofort, spontan und arbeiteten effektiv. Wann immer in dieses Geschehen Beamte der Verwaltung eingriffen, kam es zu Missgriffen und Fehlern.
Dutzende Erzählungen, wie die Bauern im 18 Meter unter dem Wasserspiegel der Oder gelegenen Land ihre Höfe gegen die Flut verteidigen, wie sie allein gelassen werden, wie sie sich gemeinsam organisieren, wie sie zusammen kämpfen, wie keiner flieht, alle dableiben, selbst die, die regulär dieser Tage wegfahren wollten, wie die Menschen aber trotzdem verlieren. Die Schlamm-Müllmassen nachher, nur 20 Tage später, alles verquollen, verschimmelt, zerfallen, Monate versuchen sie die Haus zu säubern und zu renovieren, doch je mehr sie abreißen und aufreißen, desto größer wird der Schaden sichtbar, häufiges Ergebnis: Abreißen.
Groß, herrlich witzig, mit einmaliger Mimik
Und so zersplittert sich das hier anhört, so geschlossen ist es auf die Bühne gebracht, die Collage ist voll gelungen, herausragend die junge Schauspielerin Barbara Heynen, die unglaublich intensiv die ernst-traurigen Szenen gibt, mit einer Spur Naivität im Gesicht, einmalig gelungen, dann Marco Matthes, der den Bauernführer gibt, rebellisch, wild, das Publikum wird spürbar mitgerissen, dann Bernd Stempel, einmalig, wie der gucken kann, sein Glatzkopf steif halten, marionettenhaft, er gibt den Deichläufer in köstlich karrikierender Form, groß, herrlich witzig, mit einmaliger Mimik und Körperhaltung. Ein guter Einfall ist auch, die Personen, wenn sie aus der Handlung sind, nicht erstarren zu lassen, sondern eine Choreografie machen zu lassen, die zu dem passt, was gerade gespielt wird, und es sozusagen gestisch kommentiert, hier gibt es einige Sequenzen, wo die Leute des THW wie Marionetten, im Hintergrund, verschiedene, jeweils für einige Sekunden erstarrende Kopfhaltungen vollführen, die wie Kommentare dem Vordergrund zugeordnet sind. Ein großes Geschehen wird deutlich, welches die Menschen in nur wenigen Tagen vollständig verändert hat, die Wirkung teilt sich einem atmosphärisch mit. Und gelungen ist auch, dass die Sache nie dem Abstand gesprochen tragen jeweils die Sicht eines unbekannten Augenzeugen, dessen Geschichte hierdurch eine späte Würdigung erfährt. Fazit: Katastrophen brechen über den kleinen Mann herein, da dann plötzlich begreift, dass er seine Steuern einer Clique unfähiger Beamter bezahlt, die keine Hilfe sind und man sich nur selbst helfen kann und das auch nicht immer.
Eine große Kraft sozialen Zusammenhalts
Die Szenen sind dramaturgisch atemberaubend, oft nur kurz, knapp, locken oder eng aneinander geklebt, das variable Bühnenbild aus dem Tapetenwall wird sekundenschnell von den Spielern aufgeklappt, die Atmosphäre von Eile, Notwehr und Selbstfindung, verbunden mit der Erkenntnis der großen Kraft eines plötzlichen sozialen Zusammenhangs, der die Handlungen aus der Notwendigkeit diktiert, lohnt sich sehr! Das was Theater machen soll: Geschichte der Menschen festhalten für ewig, nachdenklich und aufmüpfig machen.