Philoktet – Gastspiel im BE vom Ramba Zamba Theater gespielt
jw/Feuilleton/ 25.6.14
Philoktet, in der sophokles´schen Bearbeitung im BE, tragisch, würdig, ernst und hochpolitisch gespielt vom RambaZamba-Ensemble, geht einem wie mit Nadeln unter die Haut.
Es reißt sie einem sogar herunter, wenn der Schmerztanz beginnt und sich der Mensch, der hier für alle steht, in Krämpfen stumm sich krümmend schreit. Keinerlei Überspieltheit, keine Manierismen, keinerlei Eitelkeit, nur echter adäquater Ausdruck. Ausdruck großer Gefühle von Ungerechtigkeit, Leid und Hass. Ein großes Drama darüber, was der Krieg mit den Seelen der Menschen macht: Er zerstört sie! Philoktet hat eine neunjährige Einsamkeit ohne menschliche Ansprache hinter sich, er ist kaum noch Mensch, aber doch insofern noch, als dass er sich dem weiteren Kriegsführen zunächst widersetzt. Man muss ihn also überlisten, wie Odysseus es auch listig und scharf befehlend formulierte, der wunderbar skrupellos, nicht ohne Widersprüche, von Sven Normann gegeben wird.
Die langsame Überlistung und Überredung zum Mittun
Dann die langsame Entwicklung des Auferstandenen zurück zu einem solch sozialen Wesen, das abhängig ist von Gegebenheiten, Umständen, Zwängen und Abhängigkeiten. Zuerst ist Philoktet noch ganz eigener Mensch in seinem Leid und der damit verbundenen Erkenntnis über das, was gut und böse ist und wahr. Dann die langsame Überlistung und Überredung dieses Menschen zum Mittun bei erneutem Krieg, das ist der Inhalt des Stückes. Ausschlag gibt ihm am Ende die Gebundenheit an die Menschen, mit denen er aufwuchs. Doch stimmt das auch? Es scheint noch mehr zu sein, alle menschlichen Tugenden, auch die der Eitelkeit und der Ruhmsucht, entstehen erneut in dem Zurückkommenden.
Ein Stück von den Auswirkungen gesellschaftlicher Bedingungen auf den Menschen
Er besitzt die „Wunderwaffe“, hier ein überdimensionierter Pfeil und Bogen, dessen Pfeil als neuzeitlich raketenähnliche Drohne gelten könnte, der Bote des Odysseus, Neoptolemos, (Jonas Sippel) dreht ihn, als er ihn endlich erobert hat, für mehrere Minuten lang still und stumm, einen Halbkreis bildend, wie blind zielend dem Publikum entgegen. Ausdrucksstarke Szene mit aktuellem Bezug. Jonas Sippel gibt die Problematik seiner Figur (Der Mensch als Werkzeug der Mächtigen) sehr gut und in seiner zaudernden Widersprüchlichkeit einmalig passend. Ebenso Sven Normann als Odysseus, seine Körpersprache, die voll bizarren Ausdrucks ist, trifft sehr gut das Kantige, Scharfe und Gnadenlose eines Mächtigen, der ohne Gewissen handelt und doch aber sogar sich selbst Glauben macht, dies für sein Volk zu tun, verantwortlich zu handeln.
Choreografisch ist das ganze Ensemble imens ausdrucksstark, mit einer ganz eigenen Körpersprache, die die Blicke mitzieht und immer Unerwartetes zeigt. Das zu gestalten, dazu gehört Verständnis und Erkenntnis, dh die Menschen mit diesen Behinderungen, die wir von außen als so verschieden von uns wahrnehmen, sie sind uns an Erkenntnis über, wenn sie dieses spielen und ausdrücken.
Das Spiel der Truppe, die erstmalig im BE auftritt und diesmal auch Menschen ohne festgestellte und amtlich nachgewiesene Behinderungen, in großen Rollen hat (zwei Spieler gehören nicht dem RambaZamba an) beweist einmal wieder, dass die Einstellung, dass Menschen, als geistig behindert bezeichnet und in Gradstufen unterteilt werden, die dem Alter von Kindern zugeordnet werden, nicht nur überholt, sondern falsch ist. Falsch, schädlich, diskriminierend, unzulässig.
Wie im Krankenhaus
Warum steht aber das noch in keinem Lehrbuch? Warum haben die Ärzte ihre Testbatterien nicht längst umgestellt? Warum sprechen Menschen, die in Institutionen für Menschen mit geistigen Behinderungen arbeiten, von diesem Theater immer noch als „Ausnahme“ und von „Luxusbehinderten“? Weil viele der Institutionen noch immer, wie im Krankenhaus, ihre Klienten abends um 18 Uhr abfüttern, sie um 20 Uhr zu Bett bringen und sie tagsüber stumpfsinnige Arbeit ausführen lassen, über die sie nicht bestimmen können.
Die nicht heilen wollende Wunde der Ausgrenzung
Da könnte sich Wut und Hass ansammeln, genau wie bei Philoktet, sie könnten sich krümmen vor Schmerzen wie er, wegen dieser ewig nicht heilenden Wunde der Ausgrenzung aus unserer Welt. Die Spieler des RambaZamba spielen immer einen Stoff, den sie zugleich auch interpretieren und kommentieren durch ihr Anderssein. Dass das uns berührt und uns tiefere Erkenntnisse gewährt, dass es unseren Gesichtskreis, unser Bewusstsein verändert, das wird hier immer sinnlich und bildhaft deutlich.
Anderssein als Chance
Bewusst wird uns und damit gleichzeitig kritisch bewusst: Die Spieler sind anders, sie machen ununterbrochen die Erfahrung des Ausgeschlossenseins, wenn sie sich in eine U-Bahn setzen, dann rücken die Menschen von ihnen ab oder starren sie an. Schauen wir ihrem Spiel zu, so begreifen wir: Wir bewundern sie für dieses Spiel, für ihre Art es so zu spielen, wir achten und würdigen ihr Anderssein, mit dem sie große menschliche Themen darstellen können, die sich oft um das Anderssein drehen. Anderssein als Chance? Philoktet entscheidet sich dazu, aus dem Anderssein wieder herauszutreten, bald darauf wieder mitzutun bei den Schandtaten der Welt. Große Fragen werden hier diskutiert.
Bravouröse Theaterarbeit
Das RambaZamba hat sich von Anbeginn zum Ziel gesetzt hat, Erwachsenentheater zu machen. Damit wollten sie gegen die Unart angehen, mit erwachsenen Menschen Hänsel und Gretel-Theater vor reichen Spendern aufzuführen. Mit diesem Stück ist erneut der Beweis angetreten worden, dass eine bravouröse Theaterarbeit, wie die von Gisela Höhne, gelernt bei Bert Brecht, Augusto Boal, Erwin Piskator, aufbauend auf einem tiefen Verständnis von politischem Theater, dass etwas aussagen will, auch mit schwer ausgegrenzten Menschen höchste Kunst darbieten kann. In diesem Fall hat sich in der Regie Jakob Höhne versucht, dies war sein Debüt am RambaZamba-Theater.
Bewegendes Standbild
Das Stück beginnt mit einem sehr verdichteten Vorspiel, in dem die Geschichte von Herakles erzählt war, hier besticht die Rolle der Hydra, die vom ganzen Ensemble choreografiert wird, das gemeinsam ein zischendes und zitterndes, sich vielköpfig und züngelnd bewegendes Standbild schafft, das einem sehr eindringlich in Erinnerung bleibt. Überhaupt werden hierin die Symbol- und Mythenfiguren verknappt, reduziert und darum auf Brecht´sche Weise einfach dargestellt. Jegliche Übertreibung unterbleibt. Die Personen werden immer dialektisch aufgebaut, zB Moritz Höhne, der die Stärke des Helden Herakles gestisch und mimisch schon selbstkarikierend gibt, wird von Nele Winkler als Musikerin und Tochter des Königs schmunzelnd, wie außerhalb des Spiels, dem Publikum mit den Worten vorgestellt: „Der ist bloß dick!“
Wie überzeugt man den Leidenden, den rasend Hassenden von den guten Absichten seines Feindes
Die Musik, davon ein starkes Stück moderner Klassik in der Umbaupause, wirkt wie Wind, der von Felsenriffen zurückgeworfen wird (Leo Solter) und wie Schmerzgestöhne, das auf Knochen geblasen wird. Inhalt des Hauptspiels ist das Ringen um den Kämpfer Philoktet, der einst ausgesetzt, nun zum Kämpfen zurückgeholt werden soll. Wie überzeugt man den rasend Hassenden von den guten Absichten seines Feindes? Hier schafft der inclusiv mit in die Truppe genommene Tobias Rott – Normalo durch die Darstellung einer seelischen Verkümmerung in Art eines Kaspar-Hauser-Syndroms, aus dem er sich im Laufe des Stückes befreit, dann aber wieder Mitmacher im Krieg wird, während er, als er noch krank und seelisch verkrüppelt durch Isolation war, strikter Gegner jeder kriegerischen Handlung.
Juliana Götzes wundervoller Körpertanz
Das langsame In-die-Welt-Zurückommen des fast Verrücktgewordenen, der schon Erscheinungen hat und Stimmen zu hören glaubt, der um die Worte ringt, die ihm nicht über die Zunge gehen wollen, der aber doch geistig sehend und weise geworden ist in seinem Kummer, das ist eine starke Arbeit die sehr gut umgesetzt wurde. Juliana Götze überzeugt wieder sehr: Als Mitglied der Schiffsmannschaft durch ihr intensives und klares Minenspiel, ihre eindrucksvollen Augen, ihren wunderschönen Körpertanz als eine Art Kassandra, ein mahnendes Monster.
Weitere Aufführungen nach der Sommerpause hier