Porträt des Georg Paulmichl – Schriftsteller und Maler
Ich hörte das erste Mal von Georg Paulmichl auf einer heilpädagogischen Fachtagung 2003. Dietmar Raffeiner, Betreuer in einer Behindertenwerkstatt im italienischen Prad (Südtirol), berichtete, er habe ihn als unruhigen Vielredner kennengelernt, der allen auf den Wecker fiel. Als Lösung für seinen Rededrang erwies sich eine zufällig herbeigeschaffte Schreibmaschine.
Raffeiner brachte ihm bei, erst Worte, dann Sätze und schließlich Texte zu schreiben. Die Menschen in seiner Umgebung waren verblüfft, als sie geistreiche Aphorismen und Gedichte zu lesen bekamen. Inzwischen hat Georg Paulmichl sechs Bücher veröffentlicht. Bereits sein Debüt »Strammgefegt« (1987) sorgte in der Öffentlichkeit für Aufsehen.
Der Band »Ins Leben gestemmt« (1994) wurde unter anderem auf 3sat, im Deutschlandradio Kultur und im ORF positiv besprochen. Szenische Rezitationen seiner Werke fanden im Deutschen und im Gorki-Theater in Berlin sowie im Bochumer Schauspielhaus statt. 1993 erhielt er den Förderungspreis der Goethe-Stiftung Basel.
Grüßen tut mich in Prad keiner
Heute ist er prominent und Außenseiter zugleich, was Paulmichl in der ihm eigenen Diktion so ausdrückt: »Ein Künstler sein ist feiner als ein Depp. Als Künstler hat man Ruhe, Ruhe und der eigene Name wird hergezeigt. Die Leute kennen mich, bewundern mich und wissen, daß ich in dieser Welt lebe. Grüßen tut mich in Prad keiner.« Bevorzugte Themen des 1981 geborenen und als lernbehindert geltenden Autors sind Krieg, Tod und Religion: »Zum Militärdienst habe ich Abscheu und keine Laune. (…) Zum Heiraten habe ich auch keine Begabung, die Nächstenliebe ist mir zu streng. (…) Nach meinem Leben endet alles in Sumpf und Tod. Erdgewürm überwuchert die Grabgebeine. (…) Im Paradies werde ich jubilieren, mit Freudenschreien. Schade, daß es den lieben Gott nicht gibt. (…) Auf dem Soldatenfriedhof kämpfen sie tapfer gegen den Taubenschiß. Medaillen haben sie auch abbekommen für den Schießbefehl.« Paulmichl illustriert seine Bücher selbst.
Menschen die Möglichkeit zum Selbstausdruck eröffnen
Als bildender Künstler hat er sich der abstrakten Malerei verschrieben. Wäre Paulmichl nicht von seinem Betreuer Dietmar Raffeiner »entdeckt« worden, so hätte man ihm wahrscheinlich zahllose Tabletten gegen seine Redesucht verschrieben, und er würde ruhiggestellt und verzweifelt in irgendeiner Einrichtung leben. Sein Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, Menschen die Möglichkeit zum Selbstausdruck zu eröffnen. Heute hören wir zwar oft von besonderen Fähigkeiten von Menschen, die man wegen ihrer Einschränkungen oder ihrer Verhaltensweisen »geistig behindert« nennt, dies wird öffentlich häufig aber als exotische Ausnahme bestaunt. Warum erwarten wir nicht von allen Menschen vorbehaltlos verborgene Fähigkeiten, die erst geweckt werden müssen? Und warum verstehen wir deren Entwicklung nicht als vordringliche gesellschaftliche Aufgabe?
Inklusion wird verlangt, Gelder werden gestrichen
In der Heilpädagogik ist viel von Förderplänen und Ressourcen die Rede, aber all das hat den Anklang des Gönnerhaften. Wenn dann irgendwo Fortschritte erzielt werden, zieht man sofort Betreuungspersonal ab; Gelder werden gestrichen, und das Ganze entpuppt sich als Schönfärberei und Betrug. Der Staat ergreift keinerlei konstruktive Initiative. Die wenigen künstlerischen Projekte, die es für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt, wie die Zeitschrift Ohrenkuss oder die Berliner Theatergruppe RambaZamba, verdanken sich wesentlich privaten Initiativen.
Mit dem Werk Paulmichels beschäftigen sich heute Literaturwissenschaftler.
Die Universität Zürich hat ein Projekt zur Aufarbeitung der literarisch-künstlerischen Kraft seiner Sprache initiiert. Der österreichische Dramatiker und Schauspieler Felix Mitterer sagte zu ihm: »Nicht, weil du ein Behinderter bist, lese ich dich ständig, sondern weil du große Dichterkunst machst.« Der Bruder des Autors erzählt: »Die Prader Werkstätte war (…) einmalig, hat Geschichte geschrieben (…). Man hat die Verwaltung als Untier gesehen, gehandelt oft bis an der Grenze des nicht mehr ganz Legitimen. Man ist mit den Behinderten ins Dorf, ins Gasthaus, hat Theater gespielt, hat provoziert (…) In dieser Werkstätte sind die Behinderten Menschen.« Leider habe sich das Klima verschlechtert, das Sozialwesen bürokratisiert. Die Verwaltung sei autoritär, brülle »von oben herab«.
Inklusion noch lange nicht gelungen
Inklusion sei trotz aller künstlerischen Erfolge noch lange nicht gelungen, meint die Germanistin Irene Zanol. Keineswegs dürfe das Etikett Dichter eine Alibifunktion haben und nur eine »oberflächliche Aufwertung und Pseudo-Integration des ausgeschlossenen Sprechens im kulturellen Diskurs« bedeuten. Paulmichls Texte müssen als Kunst ernst genommen werden. Für seine Malerei gilt das in gleicher Weise.
Ausgewählte Bücher von Georg Paulmichl:
– In nessun luogo – Nirgendwo. Folio Verlag, Wien 2011– Der Georg. Haymon Verlag, Innsbruck 2008– Vom Augenmass überwältigt. Haymon Verlag, Innsbruck 2001– Ins Leben gestemmt. Haymon Verlag, Innsbruck 1994– Verkürzte Landschaft. Haymon Verlag, Innsbruck 1990