Sag mal, dass wir nicht zuhause sind im Ballhaus Naunynstraße – Rezension
jw / Feuilleton/ 18.12.13
Im Berliner Ballhaus Naunynstraße wurde das Thema der Göth-Enkelin aufgenommen, der Schrecken jedes Faschisten, dass der Feind in die eigene Familie einheiratet.
Im September hatte Jennifer Teege das Buch »Mein Großvater hätte mich erschossen« veröffentlicht. Sie ist die Enkelin des SS-Offiziers Amon Göth, der als Kommandant des KZ Plaszow bei Krakau Häftlinge einfach so erschoß, mit einem Präzisionsgewehr nach dem Aufstehen, teilweise auch mit klassischer Musik untermalt. In Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste« wird der »Schlächter von Plaszow« bedrückend nachgestellt. Göths Tochter Monika bekam 1970 zusammen mit einem Nigerianer eine Tochter, die sie zur Adoption freigab: Jennifer Teege. Sie lebte später in Israel, studierte dort und untersuchte schließlich ihre Familiengeschichte, die sie gemeinsam mit einer Journalistin zu einem Buch ausarbeitete.
Ich bin Teil deiner Familie
In dem Stück »Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind« von Rashid Novaire, das vom 12. bis 14. Dezember im Ballhaus Naunynstraße, aufgeführt wurde, heisst es zum Schluß: »Ich bin Teil deiner Familie. Wenn du eine Endlösung willst, musst du erst deine eigene Familie vergasen«. Das ruft ein Enkel, mit deutsch-kurdischer Herkunft, seinen Nazigroßeltern zu. Hierzu mußte er einen Zeitsprung in die Vergangenheit machen: Man sieht den Großvater in SS-Uniform die Pistole auf seinen Enkel anlegen.
Über Fremdheit und Rassismus
In einer Gemeinschaftsproduktion haben hier der Niederländer Rashid Novaire (Text) und Berivan Kaya, die ostpreußisch-kurdische Wurzeln hat, mit Leuten, die aus Bottrop und Marokko stammen, ein Stück über Fremdheit in der eigenen Familie und den immer noch virulenten Rassismus in der Gesellschaft auf die Kreuzberger Bühne gebracht.
Nicht zu Hause fühlen
Der Titel »Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind«, meint vordergründig eine Situation, in der sich der kurdische Vater vor den bohrenden Fragen seines Sohnes schützen möchte, gleichzeitig benennt er die Tatsache, daß es in Deutschland Menschen gibt, die sich zu Hause nicht zu Hause fühlen. Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind.
Erinnerungsfetzen voller Selbstironie
In dem überaus lebendigen Stück wechseln Andeutungen mit Erinnerungsfetzen, Witz mit Trauer, Ironie mit Selbstironie. Es beginnt damit, daß der junge Schriftsteller Aydin für ein Stipendium das Thema »Herkunft« ausformuliert. Sein Interesse gehört aber den letzten Scherenschleifern auf Grönland und deren Obertonmusik, doch das muß nun warten. Denn er besucht seinen kurdischen Vater mit seiner neuen Frau und auch die Ostpreußen nachtrauernde Großmutter im Altenheim. Dabei stößt er auch auf eigene Gefühle: Warum erwähnt die Großmutter ihren Enkel in ihrer Biographie für die Altenheimzeitung mit keinem Wort, warum durfte der »schwarz-südländisch« aussehende Aydin nie ihre weiße Wäsche berühren, und warum konnte der Vater ihn nie in den Arm nehmen, sondern mußte mit ihm immer nur bolzplatzartig raufen?
Der Versuch einer Familien-Forschung bringt Aydin (sehr gut und ein wenig naiv-jungenhaft gespielt von Izmail Deniz) an die Grenze dessen, was er ertragen kann. Etwa, wenn er erkennt, wie sehr die Liebe seiner Mutter eine Kompensation ihrer eigenen kalten Kindheit war, was ihm wiederum sein Vater neidete, weil er Zuwendung als Kind stets hatte vermissen müssen.
An Konventionen zweifeln
Gesellschaftlich bedingter Horror auf Vaterseite: Vertreibung eines 14jährigen Mädchens unter Wegnahme ihres Kindes aus ihrem Dorf, auf Mutterseite: rassistische Säuberungswahnvorstellungen, Mordprogramme auf Staatsbefehl, Angst vor vergifteten oder unreinen Menschen, bedingen bestimmte familiäre Verwerfungen, die bis heute wirksam bleiben. Wiederholungs-, Abwehr- und Kompensationsmechanismen produzieren Unglücksgefühle, machen bindungsschwach und konfliktscheu, doch lassen sie auch an Konventionen zweifeln und befördern emanzipative Haltungen. »Was ich habe, ist erst ein Anfang«, bekennt Aydin zum Schluß.
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