Schatten von Elfriede Jellinek – Burgtheater Wien – Rezension
Das Burgtheater Wien zu Gast bei den Autorentagen im DT.
Schatten: Das sind Frauen. Schatten: Das sind Tote. Aus dem Schatten heraus beginnt Euridike ihren Part der Geschichte zu erzählen, einen, der Orpheus nicht folgt, weil sie es nicht will.
Elfriede Jellinek hat den antiken Stoff der Euridike genommen, in Stücke zerhackt und in unsere heutigen Zeitprobleme eingebaut. Orpheus tritt als Schlagersänger und von Ferne Millionen Frauen durch seine Schmalzlieder verführender Mann am Ende einer Treppe in immer neuen Verkleidungen auf. Eine Bande von Mädchenfans kreischt am rechten Bühnenrand zu ihm auf und werden durch beugen der Köpfe, sehr gekonnt, zu einer Gruppe vollkommen gleichmütig dreinschauender Maskenmädchen, deren heutige Zwangsoptionen aufgezählt werden: Immer schön aussehen, ständig neue Kleider und Schminke, dünn bis zur Magersucht, im Ganzen: Auch heute noch oder wieder mit dem einzig vorgeschriebenem Ziel: Vollkommenes Liebesobjekt des Mannes zu sein oder zu werden. Diese Zwänge höhlen sie innerlich und äußerlich aus und sie werden zu Stereotypen, hinter denen das Ich verschwindet. Modegirls, die dem Kaufrausch erlegen sind, wo sie für ihre “Hüllen” viel Geld ausgeben, da sie sich ohne diese nackt, leer und wie nicht vorhanden fühlen. Am linken Bildrand sitzt ein Puppenspieler und spielt mit einem aus seinem Arm herausragenden zweiten Kopf, der täuschend echt der Autorin nachgebildet ist und in einzigartiger Weise das von ihr selbst geschriebene Stück kommentiert.
Nur etwas Wert durch den Mann?
Die Texte sind poetische Versatzstücke, Satzteile, Assoziationen, die sich im Umfeld vieler zeitgeössischer Probleme bewegen. Zentrales Thema ist dabei der Widerspruch zwischen Männern und Frauen, der köstlich ironisiert wird, und die immer noch vorhandene Zweitstellung der Frau, die sich selbst nur etwas wert ist, durch den Mann und seine Wünsche, wenn sie die aber erfüllt, ihm nichts mehr wert sein kann, da sie dann nicht mehr Ich, nicht mehr eigenständiges statt willfähriges Wesen ist.
Als ob ich nichts zählen würde
Das weitere Stück beschreibt den inneren und äußeren Kampf eines Ichs (präsentiert durch die Autorinnenpuppe, die oftmals lebendiger wirkt als die mit Absicht puppenhaft-stereotyp gezeichneten Spieler.) Nicht Schatten sein wollen zu Lebzeiten, (…”bin das etwa ich? Werde ich mein eigener Schatten sein? Als ob ich nichts zählen würde?”) , oder sich ins Schattenreich flüchten? (“Werde ich jetzt Schatten, oder gebe ich den Schatten her? Wir Schatten müssen für uns bleiben. Oder bleibe ich hinter mir selbst zurück?) Tod als Flucht vor der Realität, als selbstgewählter Traum des Ichs, das nicht Ich sein will und kann, Tod im Schattenreich als Rettung vor dem Tod im Reich der Lebenden.
Geniale Idee: Die lebendige Jellinek-Puppe
Der Mund der Jellinek-Puppe ist seltsam, als ginge ein Schnitt mit dem Messer quer durch ihr Gesicht, doch trifft es verblüffend ihren wirklichen Ausdruck, gehetzt, erstaunt, manchmal ironisch belehrend und immer wie zu sich selbst redend, sich Rechenschaft ablegend, mit Witz und Übertreibung unsere Welt in ihren Worten dichtend nachspiegelnd.
Angst als Markenzeichen
Angst ist für Jellinek in diesem Stück das treibende Motiv der Männer-, Kauf- und Schönaussehsucht der jungen Teenager-Mädchen, die einmal daraufhin erzogen werden, den verführenden Mann zu suchen und ihm gefallen zu wollen, zum Zweiten dahin, sich selbst unter sovielen fremden Hülle zu verbergen, bis nichts mehr von ihnen bleibt als “das Abgeworfene” . Ihre Hysterie als kreischende Fans wird zum Ausdruck ihrer sexuallen Kraft und Sehnsüchte, die aber fremdbestimmt bleiben.
Die Einkaufstüten, die die Mädchen in ihrem Kaufrausch tragen, den das Stück in mehreren Szenen köstlich ironisierend aufs Korn nimmt, tragen, statt der Markennamen die `Angst´ in schicken Labels aufgeprägt. Die Angst, nicht wahr, nicht real, nur Objekt, nur Schatten zu sein, aus dem sich die Mädchen erst außerhalb der Bühne, außerhalb ihrer Rollen und Puppenhaftigkeit, während des Stückes in der Kantine gefilmt, befreien können. Dahinter lauert die Angst vor der Sexualität, die unter diesen Bedingungen immer Macht repräsentiert. Die Angst vor dem Eindringen des Mannes in die Frau, die Angst vor dem Übergriff, die Angst vor dem Objektstatus, die Angst vor dem Schattendasein.
Von der Treppe geholt
Die egomanische Selbstverzückung der lockenden Sängerfigur, die sich mal in Verführung, mal im Sentimentalität und Selbstmitleid suhlt, wird einerseits von der Treppe herunter geholt, andererseits abgewiesen. in der Kantine sitzend, rührt sich bei den Mädchen schließlich Widerstand, warum denn, warum sollten wir mit dir gehen wollen? Das fragen sich die nun eher proletarisch-zupackend gezeichneten Mädchen im Chor. Der Sänger steht nicht mehr auf seiner Treppe, er ist ihnen jammernd hinterhergeeilt, aber sie wollen nicht mit ihm gehen, sie verweigern sich.
Verblutende Schatten
Dass sie es nicht witzig meint, was hier so leicht uns fast amüsant-kraftvoll gespielt wird, das wird aus den Begleitkommentaren deutlich. Jellinek als Puppe begleitet das Stück durch permanentes Kommentieren, es wird so deutlich als etwas Schmerzvolles, es erinnert an verbluten: Es ist “als rinne etwas aus mir heraus, gegen das kann ich nichts machen, das schmerzt,…es bleibt nur die Angst, nicht ich habe die Angst, die Angst hat mich”. Frauen haben viel mehr Angst mit dem Mann mitzugehen, als ihn zu verlieren. Sie schwärmen ihn an, aber von Ferne, wenn er dann nah kommt, sie etwa nun haben und mitnehmen will, dann scheuen sie zurück. Jellineks These: Nicht Orpheus hat durch das Umdrehen das Verschwinden Euridikes hervorgerufen, nein, sie wollte nicht mehr, hat sich zurückgezogen, in den Schatten. Warum? Um nicht zu seinem Schatten zu werden, dann lieber ihr eigener.
Der weiße Wurm
Einführend stellt sie zunächst klar, was, frei nach Freud, der in einer der Mädchenverkleidungen verborgen ist, eigentlich die Mädchen im Gegensatz zu den Jungen ausmacht: Es ist der feine Unterschied und sein Komplex, der in Träumen auch Mädchen heimsucht. In der ersten Szene, die lesend eindringlich später nochmal wiederholt wird, wird das, was den Mädchen fehlt, in Form eines weißen, mit der Kamera auf einen Stuhl projezierten Wurmes symbolisiert, der in die Mädchen schmerzhaft eindringt, vor dem sie sich ekeln, dass sie ersehnen sollen, aber vor dem sie Angst habe. Der Sexualakt als umgedrehte Kastrationsphantasie und schmerzvoll-zerstörender Akt. Jellinek findet für ihre Sexualitätsassoziationen drastische Worte des Hasses, durchsetzt jeweils mit feiner Selbstironie.
Das Fürchten wie das Hoffen
Ihre Sätze und Wortassoziationen lassen viel Spielraum zur Deutung, daher umgreift dies Stück mehr als die Euridike-Tragödie. Ein subjektiver Blickwinkel, aus dem heraus sie Gesellschaft von heute einfängt und uns das Fürchten, wie das Hoffen lehrt. Die Bühne ist verwirrend, wie in einem Traum, voll gepackt mit Kleinig- und Seltsamkeiten, ein schwarzer Raum mit Fäden aufgeteilt, wie mit Drähten, die Räume abgezirkelt, aufgeteilt, zugewiesen, die Gestalten puppenhaft maskiert und choreografiert, in der Mitte der Bühne eine schwarze Gestalt mit einem Affenkopf. Die Worte reine zerfaserte Dichtung, die Verletzungen sichtbar macht, vergangene, heutige, zukünftige. Eine großartige Aufführung. Herausragend ist der Puppenspieler!
`Schatten´, gestern im Deutschen Theater, wo noch am Samstag, (15. 6.) sehr lohnenswert: `Die Schwäne des Kapitalisus´gezeigt werden und die Autorentage mit einem Riesenevent zuende gehen.