Spaß am Selberdenken: Mascha Kaleko und Karl Kraus in Hamburg – Rezension

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Zwei Literaturlesungen in Hamburg verdienen es hervorgehoben zu werden, beide stellten Autoren vor, deren Leben und Wirken sich maßgeblich in den frühen und späten 20-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts abgespielt hat. Beiden griff der Nationalsozialismus an den Hals und beide vergaß man lange Jahre. Beide stammen aus Österreich, beide schreiben mit Humor, scharfzüngig und modern, beide polarisieren in gewisser Weise die Geschlechter und mich hätte nicht gewundert, sie hätten sich gekannt, gestritten und geliebt.

Es handelt sich um Mascha Kaleko und Karl Kraus. Er 33 Jahre älter als sie, verkörpern beide Großstadt-, Krisen-  und Vorkriegsliteratur. Mascha Kaleko als widerständige Lyrikerin, Karl Kraus streitbarer Journalist, Stückschreiber, Essayist. Mascha Kaleko wurde am 15.2. im Ernst-Deutsch-Theater in einem mit Frauen dicht besetzten, völlig ausverkauften Haus (744 Plätze) von Suzanne von Borsody und Rosemarie Fendel, die einen sehr eindrucksvollen Ton fand, gelesen und es war unbegreiflich, warum es weder einen Pressestand noch eine Nachbesprechung, noch eine weitere Aufführung gab. Die Karl-Kraus-Lesung am 16.2. im „Toten Salon“ zog eher Männer als Frauen an, aber auch hier wurde ein Mensch lebendig, der uns durchaus etwas zu sagen hat und von dem man gern noch Weiteres gehört hätte.

Mascha Kaleko hatte wenig, aber treue Freunde, dasselbe konnte auch von ihren Feinden gesagt werden, bei Karl Kraus scheinen es mehr Feinde als Freunde gewesen zu sein. Mascha Kalekos meistgesprochenes Wort sei „Nein“ gewesen und später, als alle sich reihum liebten,  sehnte sie sich „in ein anderes Jahrhundert“ und „fände Treue schön“. In der gleichen Zeit schrieb Karl Kraus gegen die Kriminalisierung von Huren. Und doch: Beide waren voller Moral und Ethik, mit einem großen Gefühl für Gerechtigkeit. Beide hassten die Autoritäten ihrer Zeit und lehnten sich auf, beide waren Kriegsgegner und gegen jede Art von Rassismus. Kaleko: „Die Menschen, sagt mein Vetter Klaus, sehn nur von außen anders aus“, auch feministisch gefärbt: „Was Frauen fehlt, ist eine Frau, die tippt und kocht im Hintergrund“  und gegen Krieg: „Er denkt, was ich in seinem Alter dachte, dass, wenn der Krieg aus ist, Frieden sei“ Und ein Vers könnte Mascha Kaleko direkt über Karl Kraus geschrieben haben: „ Sie warfen nach ihm mit Steinen, er baute aus ihnen sein Haus“.

Karl Kraus´ erboste es, dass die Mörder eines Freudenmädchens freigesprochen wurden, da es ja nur eine „Hure“ gewesen sei, er warf dem heuchlerisch-prüden Staat vor, den Sexualakt selbst am liebsten verbieten zu wollen. Für Karl Kraus, den Herausgeber der gesellschaftskritischen Zeitschrift “Die Fackel”, war Sprache ein Medium des Denkens und man solle sie auch dazu benutzen und nicht um vorgefertigte Meinungen nachzuplappern. Seine Satiren und Polemiken waren stets unbequem und lagen quer zum Mainstream. Auf witzige Art gelang es den Veranstaltern des Toten Salons in Hamburg, mithilfe ihres Ehrengastes Hermann Gremlitza, dem Pazifisten und kritischem Sprachgenie eine Stimme zu geben, bis so herzlich gelacht wurde, dass es schon Beschwerden und böse Blicke gab. Aber auch scharf analysierend konnte Karl Kraus sein, so hat er doch gleich 1933 eine 200-Seiten starke Schrift gegen den Nationalsozialismus verfasst (posthum veröffentlicht als „Dritte Walpurgisnacht“), in der er den Faschismus schonungslos analysierte und dabei vieles vorhersagte, was nachher passiert ist: „…ein historischer Punkt, wo eine seit je prekäre Zivilisation in Barbarei umschlägt“ bis zur zentralen Erkenntnis, dass Hitler Vernichtung bedeutet. Er beging allerdings den Fehler, seine Analyse mit dem rhetorischen Aufschrei zu beginnen: „Zu Hitler fällt mir nichts ein!“, daraus haben Feuilletonisten bis heute die gefährliche Legende gewoben, Kraus hätte im Faschismus den Schwanz eingekniffen. Beispiele: Moritz Lederer in der Deutschen Rundschau: „Zu Hitler fällt mir nichts ein“ – auch das notierte, „da die Erde krachte“, derselbe Karl Kraus, dem zum ersten Weltkrieg das überdimensionale Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ eingefallen war. Otto Beer in der Zeit: „Dass ihm zu Hitler nichts einfiel“ und seine Stimme immer dünner klang, je bedrohlicher sich die Apokalypse des dritten Reiches entwickelte, ist oft erörtert worden. Hermann Kesten: Karl Kraus, dem zu Hitler leider nichts mehr einfiel. Hans Habe: Der zweiundsechszigjährige, dem vierzig Jahre lang zu allem und jedem etwas eingefallen war, stand erstarrt vor dem Phänomen Hitler, zu dem ihm, wie er selbst bekannte, nichts einfiel. Bodo Scheurig im Vorwärts: Als der Mann im Braunhemd und mit der Stirnlocke immer ohrenbetäubender trommelte, da entrang sich dem Meister der Sprache lediglich ein Satz: Mir fällt zu Hitler nichts ein. Fritz Raddatz: „Zu Hitler fällt mir nichts ein (Kraus), ist kein Bonmot, ist eine Bankrotterklärung. Erich Gottgetreu in der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung: „Zu Hitler fällt mir nichts mehr ein“, schrieb Karl Kraus resigniert. Johannes Gross in der FAZ: Der trefflische Karl Kraus, dem zu einem falschplazierten Komma alles einfiel und zu Hitler, der ihn und seinesgleichen vernichten wird, nichts, bezeichnet die selbstgefällige Abdankung der Vernunft.

Es ist der stärkste Teil des ganzen Abends, dass dank Gremlitza,  hier bekannt gemacht wurde, wie das bürgerliche Feuilleton weniger liest als abschreibt. Und macht die so häufige Selbsterhebung von Literaturkritik über Künstler deutlich.

Mascha Kaleko wollte man 1960 den Fontane-Preis der Akademie der Künste in Berlin (West) verleihen; wegen eines ehemaligen SS-Mitgliedes in der Jury, Hans Egon Holthusen, lehnte sie dies jedoch ab. Karl Kraus war ein scharfer Hitlerkritiker, um dem Anschluss Österreichs an Deutschland zu entgehen, empfahl er kurzzeitig Dollfuß zu stützen, das ist ihm schwer vorgeworfen worden. Man sollte einen Menschen immer nach seinem ganzen Werk beurteilen, nie nur nach einem einzigen Satz.  Zwei Literaturlesungen für Menschen, die Spaß am Selberdenken haben.

Kontakt zur Mascha-Kaleko-Reihe: http://suzannevonborsody.de und nächster »Toter Salon« Donnerstag, 11. März, 20 Uhr 30 im Fleetstreet-Theater Hamburg, Gaststar: Nico Semsrott

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