The Rake´s Progress – Rezension
jw / feuilleton / 10.3.12
Die Entwicklung von Rakewell, dem Wüstling, wie er genannt wird, verläuft von einem weichen, leicht verführbaren, aber zärtlich sein Mädchen liebenden Menschen hin zu einem geld- und sexsüchtigen Egomanen. Er wird ein Medien-Millionär, kann aber seine Liebe nicht mehr leben.
Diese Oper, am Theater Vorpommern inszeniert von Georg Blüml, ist ein modernes faustisches Märchen, dessen Mephisto keinen Pferdefuß mehr braucht, es reicht ihm ein Aktenköfferchen mit verheißungsvollen Papieren. Die Geschichte zeigt das typische Scheitern eines Tellerwäschermillionärs.
Vertonung einer Kupferstichserie
»The Rake’s Progress« ist die einzige abendfüllende Oper von Igor Strawinski (1882–1971), im Prinzip die Vertonung einer Kupferstichserie des englischen Barockkünstlers William Hogarth, die unter dem Titel »A Rake’s Progress« (Werdegang eines Wüstlings) 1735 veröffentlicht wurde. Genau 200 Jahre später machte der schottische Komponist Gavin Gordon daraus ein Ballettstück. 1951 folgte die Oper von Strawinski, das Libretto stammt von den US-Dichtern W.H. Auden und Chester Kallman. Sie gilt als Höhepunkt von Strawinskis neoklassizistischer Periode.
Auf einer sinnlichen Ebene
Allgemein lebt eine Oper durch die Musik, den Text versteht man in der Regel kaum. Die Musik hat dabei die Funktion, dem Publikum den Inhalt auf einer sinnlicheren Ebene als der gesprochenen Sprache anzubieten. Darauf muß man sich erst mal einlassen können. Manche finden es störend, wenn über der Bühne der Text eingeblendet wird. Am besten, man kennt das Libretto und läßt nur die Musik und das Spiel auf sich wirken. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, daß Kinder, ohne auch nur ein Wort zu verstehen, allein durch Musik und Spiel eine Oper oft sehr viel besser verstehen können als ein Theaterstück.
Die Szenenfolge kommt sehr schnell zur Sache
In Stralsund läuft oben die deutsche Übersetzung, gesungen wird unten auf englisch, mit Ausnahme der Hauptdarstellerin Kerstin Brix, die manchmal ein paar Einsprengsel auf deutsch singt. Die Szenenfolge kommt sehr schnell zur Sache, der freundliche Bräutigam wird schon in der zweiten Szene von einem Fremden namens Nick Shadow, der ihm das Erbe eines Onkels anträgt, zum Lotterleben in der Stadt verführt. In der Stralsunder Version findet dies im modernen Showbusineß, auf einer Galaparty statt. Umgesetzt wird dies mittels der genialen Idee, alle Mitwirkenden Spieler mit großen Autos anfahren und über einen roten Teppich ins Theater geleiten zu lassen. Als Claqueure wirken Jugendliche des Theaterclubs, die aus Leibeskräften schreiende Fans geben. Eine perfekte Karrikatur der Berlinale.
Lady Baba: Die Kraft einer Halbweltdame
Doch Rakewell hat das sinnlose Geldausgeben bald satt, ebenso wie das Filmsternchen, das er schließlich geheiratet hat, dem nun aber Strawinski eine große Rolle gibt: »Lady Baba«, die die Kraft einer Halbweltdame symbolisiert, die die Heuchelei der bürgerlichen Welt enlarvt. Rake stülpt ihr aber, weil er die Wahrheit nicht hören mag, nach einem sinnlosen Streit den Kopf eines Koalabärs über und bringt sie so zum Schweigen. Alle Wertsachen, die sich im reichen Haus des Rakewell ansammeln, sind hier zu Plüsch geworden, die bloße Besitzanhäufung wird so als absurd entlarvt.
Als er schließlich in Konkurs geht, fällt Rakewell seine frühere Liebste ein. Über die Begegnung mit ihr wird er verrückt und findet sich im Bett einer Anstalt wieder, wo er umgeben ist von anderen Menschen, die ebenfalls die Realität hinter sich gelassen haben.
Die Stimmen sind großartig und klar
Der Inhalt liest sich einfach, die Musik ist wild und lebt von Gegensätzen, die Stimmen der Protagonisten, besonders die von Nick Shadow (Chul-Ho Jang), der Lady Baba (Kerstin Brix), des Tom Rakewell (Kerem Kurk) sind großartig und klar. Aber auch die anderen, einschließlich des Opernchores des Theaters, sowie das Philharmonische Orchester Vorpommern brauchen sich nicht zu schämen, sie haben eine große Aufführung auf die Bühne gebracht. Auch hier gibt es Entlassungen, Nicht-Verlängerungen genannt, weil der neue Intendant sie nicht gebrauchen kann. Karl Prokopetz, der musikalische Leiter, muß ebenso gehen wie alle oben genannten Sänger. Sehr, sehr schade!