Der Baron, die Juden und die Nazis – Rezension

19.10.13 / gekürzt im ND

In einem ihrer früheren Bücher ging Jutta Ditfurth der Frage nach, „wie so eine links werden konnte“. Ihr neuestes Buch “Der Baron, die Juden und die Nazis” untersucht, wie der Adel nicht nur in die Nazizeit verstrickt, sondern wie er, durch seinen positiven Rassismus („blaues Blut“), seine Machtstellung im Staat, seinen Großgrundbesitz und seine Privilegien, die er seit 1918 schwinden sah, den besonderen rassistischen Antisemitismus der Nazis schon sehr früh propagiert hat.

Jutta Ditfurth kann dazu Einiges sagen, da sie selbst aus der Adelsklasse kommt, dieser vorgestrigen Sektenkaste, die noch heute Mitglieder aus ihrem inzestuösen Familienkalender herausstreicht, die etwa „Bürgerliche“ heiraten.  Ein wenig Recherche in ihrer eigenen Familie brachte sie auf den Weg, dann fand sie Erstaunliches. Herausgekommen ist ein überaus lehrreiches Buch, über 396 Seiten stark, differenzierteste Aufklärung, locker lesbar geschrieben, belegt durch eine Unmenge an Quellen. Das Werk ist einer Doktorarbeit würdig.  Und dabei doch ein lesbares Sachbuch, das je spannender wird, je tiefer man in die Geschichte hinein taucht.

Zum Inhalt:

Gern schmückt sich der Adel mit den „Verschwörern des 20.Juli“, die ihnen vor 45 verdammt rot und verbrecherisch erschienen, gern betonen sie, dass sie das „Pöbelhafte“ der Nazis abstieß und daher jede Nähe zu diesen modernen Durchsetzern rassistischer Wahnideen fern lag. Weniger gern werden aber die Vertreter dieser Kaste darauf gestoßen, wie maßgeblich sie an der Entstehung und Etablierung des Nazisystems als kapitalrettende Weltanschauung beteiligt waren. Das aber macht Jutta Ditfurth. Sie wertet Aktenberge und Briefsammlungen ihrer Verwandten aus und erstaunliche Funde treten zutage. Nach einer geschichtlichen Einführung, widmet sie sich einer exemplarischen Biografie.

Münchhausen propagiert Bluttheorie weit vor Hitler

An der Biografie des Großonkels Börries von Münchhausen rollt sie exemplarisch für den Leser auf, wie er einen gefährlichen, gänzlich abenteuerlichen, rassistischen Antisemitismus schon weit vor Hitlers Aufkommen begründet. Zunächst war er als junger Mann um die Jahrhundertwende kurzzeitig modernen Strömungen erlegen, sah im Jüdisch-künstlerischen kurzzeitig etwas positiv Außergewöhnliches, nur um sich dann aber bald auf seine angestammten Aufgaben eines Großgrundbesitzers zurückzubesinnen und immer hemmungsloser einen extremen Antisemitismus zu pflegen. Dieser hatte erstmalig einen anderen Charakter: Neben die Verteufelungs- und Schuldparole der Christen, der durch Taufe noch eben gerade mal so beizukommen war, trat, und dies wurde durch adlige Vorstellungen begünstigt und weitergetragen, die  „Blut“-theorie, nun mit umgekehrten Vorzeichen, diesmal als eine Vorstellung, bei der es um unreines, irgendwie verseuchtes, schmutziges Blut geht, dass sich vergiftend auf Körper und Seele auswirkt und zudem noch ansteckend sei.Dieses sollte in einem jüdischen Menschen fließen, ganz gleich welchen Alters.

Kleinbürgerliche Schichten greifen diese Ideen,  identifikatorisch mit dem Adel verbunden, auf

Wie stark diese Ideen später die kleinbürgerlich absinkenden Schichten der Faschisten identifikatorisch-idealisierend übernommen haben, ist bekannt. Wie stark es aber vom Adel, einer damals Militär und Staatsmacht tragenden Schicht, entwickelt, propagiert und öffentlich verbreitet wurde, viel weniger.

Wurzeln des Antisemitismus

Das Buch macht diese Zusammenhänge einem breiten Publikum beispielhaft bekannt, und anhand konkret nachvollziehbarer Personen erschließbar. Auch geht es ein wenig zurück und spürt dem Antisemitismus auch großer Geistesgrößen nach: Ernst Moritz Arndt,  (ein „verdorbenes und entartetes Volk“) aber auch bei Goethe und Fichte lassen sich solche Gedanken finden. Eigene Großmächtigkeitsgefühle werden durch Abgrenzung aufgebaut. (Es gab auch Gegenentwürfe, Beispiel Lessing: Er führte gemeinsam mit seinem Freund Moses Mendelssohn, dem er im Nathan ein Denkmal setzte, einen lebenslangen Kampf gegen den Antisemitismus)

Der Zusammenhang zwischen Antisemitismus, Anstoß und Beförderung des Rassismus und Nazismus als Ausfluss aus der deutschen verspätet-rückwärtsgewandten Adelsvorherrschaft wird gut verfolgt und belegt. Ein spannendes  journalistisches Recherchewerk, das sich flott durchliest und zum Ende hin immer spannender wird.      

Beispiele:

„ Beim bloßen Anblick von Juden waren Hohngelächter und Geschrei ein alltägliches Spektakel (Leon Poliakow). Mendelssohn schrieb 1780, dass er ohne Not nicht aus dem Haus gehen würde: „Er lebe so eingeengt, durch wahre Intoleranz so beschränkt, daß ich meinen Kindern zuliebe mich den ganzen Tag in einer Seidenfabrik einsperren muss. Sein Kind frage ihn: „Was ruft uns dieser Bursche dort nach? Warum werfen sie mit Steinen hinter uns her? Was haben wir ihnen getan?“

Antisemitismus in der Emanzipationszeit:

Achim von Arnim, um 1811: „Der Judenschmutz“ sei „schuld an der Rattenplage“, wenn Juden in die Tischgesellschaften hineindrängten, würden „Christenkinder geschlachtet und Brunnen vergiftet“ werden. „Mit ihrer wissenschaftlich leider noch unerforschten Fähigkeit zur Verstellung hätten sie sich den Christen auf heimtückische Weise angepasst.“

Beispiel für Klassenabstand:

Noch im März 1856, also 20 Jahre nach dem Vormärz, zehn Jahre nach der 1848-iger Revolution wurden auf dem Gut der adligen Großmutter zum Beispiel 14 Menschen, die Mundraub betrieben hatten, nämlich das Stehlen von Klee, Runkeln und Kartoffeln,  Holzdiebstahl und „Wilderei“, zu Strafen zwischen sechs Tagen bis 14 Jahren (!) Gefängnis verurteilt. Eine enorme Auswanderungswelle folgte, bei der viele arme Menschen starben.

Anitsemitismus von Adelskindern in einem Kurbad, um 1850:

„Eines Tages wollten „schwarzhaarige“ Kinder mit uns spielen wir hielten sie für Juden und erklärten ihnen: Mit euch spielen wir nicht, denn ihr habt den Herrn Christus gekreuzigt.“  Im Mädchenstift der Urgroßmutter war „Antijudaismus“ Teil des Lehrplans. Diese schreibt 1872 in ihr Tagebuch: „Es war ein Jude dem Badestrande auf  Norderney gefährlich nahe gekommen, da fielen die hünenhaften riesigen Badefrauen über ihn her und bearbeiteten ihn unbarmherzig mit ihren Fäusten.“

Den Adel verehrende geistige Elite: 1882, Theodor Fontane:

„Fatal waren die Juden, ihre frechen, unschönen Gaunergesichter hielten uns von ihnen fern.“

Geschichte des Börries von Münchhausen

Auf  Seite 99 beginnt nun die spannende Geschichte des Freiherrn Börries von Münchhausen, der seit seiner Jugend und in seiner Freizeit überaus grässlich-kitschige Gedichte schrieb, bei denen sich einem die Nackenhaare vor Peinlichkeit aufstellen.  Zu Zeiten des Emile Zola und Gerhard Hauptmann produzierte Münchhausen:  „Geschlechter kommen, Geschlechter gehen, hirschlederne Reithosen bleiben bestehen“ und: „Aller Dinge mächtigstes: Krieg / Aller Güter mächtigstes: Sieg!“). Später machte ihn dies zu einem gefeierten „Literaten“, der zahllose Lesungen abhielt, vor allem in Adelshäusern. Leider litt er ein Leben lang an seiner Untalentiertheit, er selbst begriff nämlich wohl, dass, was er produzierte, keine Kunst war.

Keine Anpassungsleistung, sondern schon Jahre vorher virulent

Das Leben des Münchhausen wird von Jutta Ditfurth von 1896 bis in die 50iger Jahre hinein verfolgt und es ergibt sich ein interessantes Bild eines geschlossenen und immer stärker antisemitisch- konservativ werdenden Weltbildes. Doch sein Antisemitismus zeigt sich nicht als Zeichen einer zeittypischen Anpassungsleistung an die Nazis, sondern hat Jahrzehnte vorher begonnen virulent zu werden und ist damit aktiv am Entstehungsprozess dieser Strömung beteiligt. Jutta Ditfurth hält den Antisemitismus des Adels, wie er sich ihr beispielhaft an ihrem Großonkel zeigt, für entscheidend bei der Entstehung und gesellschaftlichen Durchsetzung des faschistischen Welt- und Menschenbildes.

Ein Beispiel dazu:

1920(!)  hat die DAG (Deutsche Adelsgenossenschaft) höchst freiwillig und als Hitler noch ein eben dem Kriegs-Gas entronnener, von Freikorpsleuten gemieteter Redner auf Bierversammlungen war, eine Statutenänderung durchgezogen, in der begleitenden Diskussion dazu wurde von einem Herrn von  Bodelschwingh gefordert, endlich „einen von allen Skrupeln befreiten „Hass auf die Juden“ zu pflegen.  Die Statutenänderung lautete: „Wer unter seinen Vorfahren im Mannesstamme einen nach dem Jahre 1800 geborenen Nichtarier hat oder zu mehr als einem Viertel anderer als arischer Rasse entstammt, oder mit jemandem verheiratet ist, bei dem das zutrifft, kann nicht Mitglied der DAG werden“  Es herrschte hier lange vor den Nürnberger Rassegesetzen die vollkommene Wahnvorstellung einer „irreversiblen Schädigung nordischen Blutes“ . Selbst durch einen nur einmaligen sexuellen Kontakt mit einem jüdischen Menschen sollte man schon als „verseucht“  gelten.

Vordenker Hitlers

Sicher hat diese Schicht auch die Macht, das Geld und den Einfluss gehabt, die Nazis zu befördern, aber dass sie auch gedanklicher Vorreiter dieses modernen, angeblich „blutverursachten“ Antisemitismus war, sozusagen Vordenker Hitlers, das ist bisher nicht so klar deutlich gemacht worden. Hierfür hat Jutta Ditfurth aber massive Belege gefunden. Die Lebensgeschichte des Münchhausen steht dafür beispielhaft. Daraus folgend stellt sie die These auf, dass es ohne diese Ideologie, die sie tief in der Adelswelt verankert sieht, nicht zur gesellschaftlich so breiten Akzeptanz dieser Gedanken und damit vielleicht auch nicht zum Sieg der Faschisten gekommen wäre und dass hier also dringend Aufarbeitung nötig wäre.

Beispielhaft für die Gefahr ungleichwertiger Menschenauffassungen

Ein Buch nicht nur für Menschen, die Adelsgeschlechtern entstammen. Beispielhaft auch für die Gefahr, die zu Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche in absterbenden gesellschaftlichen Kräften schlummern. Diese verfügen noch über Geld, Macht und Einfluss zu Verbreitung ihrer Ideologien. Beispielhaft auch für die Gefahr ungleichwertiger Menschenauffassungen.

Faschismus beginnt da, wo Menschen sich von Geburt an anderen Menschen überlegen fühlen. 

Leider wird gesellschaftlicher Dünkel und angeblich naturmäßige Überlegenheit auch heute wieder vermehrt gepflegt, ohne dass wir es bemerken. Auch wird sie schon wieder mit Äußerlichkeiten, Herkunft, Geburt, Natur begründet. Es tönt heute schon wieder bei jeder Nachrichtenmeldung durch, wo kriegerische Angriffe auf andere Länder als „notwendige und endlich zu erfolgende `Strafen´ bezeichnet, wenn Menschen anderer Länder als von Natur aus als faul, südländisch, fremd beschrieben werden, und wenn mit Gleichgültigkeit über Tausende Tote der Gegenseite berichtet wird, dies als „Kollerteralschaden“ bezeichnet, (wie in den 2 Irakkriegen mehrfach geschehen) während bei einigen wenigen eigenen Toten schon nach tausendfacher „Vergeltung“ auf der ganzen Welt geschrien wird. 

Das Ungleichwertige ist das entscheidend Gefährliche.

„Der Baron, die Juden und die Nazis” ist mW das erste Sachbuch über die Beziehungen zwischen dem Adel und den Juden von der Romantik bis heute. Außerdem gibt es Aufschluss über den Antisemitismus der Eliten und über die Mentalität der Mehrheit
des Adels.

Am Schluss wird noch ein Zusammenhang von Neonazis im heutigen Sachsen und Thüringen zu Münchhausen aufgedeckt.Sein früheres Gut hat heute der Leiter der ehemaligen Wehrsportgruppe Hoffmann gekauft, dort werden regelmäßig nur wenig getarnte Nazi-Familienveranstaltungen durchgeführt

Das Buch „Der Baron, die Juden und die Nazis“ von Jutta Ditfurth ist zu empfehlen, sowohl als Geschichtsbuch des Adelseinflusses auf den Faschismus, als auch aus wissenschaftlichem Interesse, da viele nie gehörte Zitate zusammengesucht und lesenswert aufbereitet wurden.

Jutta Ditburth: Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte. Hoffmann und Campe. 395 S., geb., 21,99 €.

3 Antworten auf “Der Baron, die Juden und die Nazis – Rezension

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert