Die Gerechten von Camus in Oldenburg – Rezension
Oldenburg, fast schon vor Holland, hinter Bremen, ganz weit im Nordwesten, danach kommt nur noch Leer, Oldenburg inmitten einer von der Fleischmafia bestimmten Landwirtschaft, wie Wolfgang Schorlau in einem seiner Krimis beschrieb.
Am Tag vor meiner Reise hörte ich im NDR Kultur einen Beitrag über ein Theaterstück von Albert Camus, was gerade wieder in Oldenburg eine Wiederaufnahme erfahre, nachdem es 1977, kurz nach der Schleyer-Entführung abgesetzt worden war, da es die Frage revolutionärer Gewalt behandele. Das Stück heißt „Die Gerechten“ und spielt unter den russischen Sozialrevolutionären von 1905, die dort als eine kleine isolierte Gruppe von Intellektuellen Attentate auf Staatsrepräsentanten verübten. Nachdem einige Anschläge ausgeübt worden waren, viele der Mitglieder verhaftet und hingerichtet wurden, hat sich 10 Jahre später herausgestellt, dass die Gruppe bis in die höchsten Führungsebenen hinein vom russischen Geheimdienst unterwandert worden war.
So kam ich nach Oldenburg. Ich hatte Glück, ich sah noch zwei weitere Stücke, die sehenswert waren. Ich staunte zum Beispiel nicht schlecht, als ich ahnungslos in ein Museum für Medienkunst (Edith-Russ-Museum) ging und dort einen „Hörgang“ mitmachte, der sich ausschließlich mit Ulrike Meinhof, als in der Stadt Oldenburg geborene und zur Schule gegangene historische Person beschäftigt, ihren Schulweg nachempfindet, aus Originalbriefen zitiert und also wagt, sie als Mensch zu zeigen. Ihre Arbeit als Konkret-Journalistin, als Meinungsmacherin, als Sprachrohr einer ganzen Nachkriegsgeneration, als Initiatorin der Heimkinderbefreiungsbewegung, wird allerdings etwas unterbelichtet, ich halte das für einen Fehler.
Das Theaterstück: „Die Gerechten“ wurde von Camus anlässlich der radikalen Untergrundbewegung in Frankreich gegen die Nazi-Kollaboration verfasst, es lebt im Wesentlichen durch die Diskussion ihrer Mitglieder, die versuchen im Widerstreit ihrer Meinungen und Argumente eine Haltung dazu zu entwickeln, wie genau man im konkreten Fall politische Gewalt ausübt. Kernstück ist das Versagen eines der Attentäter ( Karajew), der seine Bombe am vereinbarten Tag nicht werfen kann, weil Kinder im Wagen des Staatsvertreters saßen. Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob das human sei und was genau human sei, da der Großfürst für das Hungersterben Tausender Kinder verantwortlich sei. In diesem Widerspruch zerreiben sich die Revolutionäre, sie sehen sich zu Mördern werden, was sie nie sein wollten, da sie das Leben lieben und für das Leben eintreten. Der Großfürst wird einige Tage später allein doch durch eine Bombe getroffen, der Attentäter in Einzelhaft genommen. Dort empfängt ihn ein nicht politischer Häftling, ein Mörder, mit heftiger Empörung, da sich gegen den Staat auflehnen Sünde sei, man nur aus Lust oder Not mordet, aber niemals, wenn „man es nicht nötig habe“, so wie der Attentäter, der doch ein „feiner Pinkel“ sei. Die Argumente des Attentäters darauf werden nur schwach ausgeführt. Aber gesagt werden soll, dass die unterdrückte Klasse oft nicht versteht, was die intellektuellen Revolutionäre wollen.
Das Stück ist zweifellos in der 1970er Jahren hochaktuell gewesen, heute weniger, da es bei uns heute keine oder kaum noch linke, stattdessen vor allem rechte Gewaltanschläge gibt. Beides wird in der konservativen Sprache als Terror bezeichnet. Rechte Anschläge richten sich immer ganz bewusst gegen große Menschenansammlungen des „einfachen Volkes“, besonders oft gegen Frauen und Kinder, nie gegen Staatsvertreter. Ihr Ziel ist stets die Einschüchterung, die Unterbindung jeglichen Widerstands, nicht dessen Initiierung. Ihr Ziel ist es, Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, während die revolutionäre Gewalt sich gegen Staatsvertreter richtet.
Die Inszenierung von Peter Hailer bleibt sehr textreu, allein damit beschäftigt auszuloten, wie anstrengend es für emotional nicht abgestumpfte und sozial gerecht denkende und fühlende Sozialrevolutionäre ist, sich auf Mord und Totschlag einzulassen, wie das ihren Ursprungsstrebungen entgegengesetzt ist und wie damit allmählich das ganze Gebäude ihrer Motive von innen zersetzt und zerstört wird. Auch deutlich wird, wie stark staatliche Repression diese Situation befördert. Wie kann man sich mit Worten allein gegen Kanonen wehren? Die uralte Frage. Das Stück ist gut inszeniert, das Bühnenbild ist sehr passend, es spielt im Unterschlupf der Attentäter, in einem abgelegenen Winkel, der unter eine moderne Autobahn-Betonbrücke gelegt ist. Die Inszenierung ist spannungsreich verdichtet, die Rollen sind gut gespielt, interessant, dass alle Beteiligten kurz aus Polizeiakten vorgestellt werden, wobei harmlos ihre Berufe genannt werden: Arzt, Schriftsteller, Rechtsanwalt, Hebamme…, daraus wird jedem klar, dass ihr Engagement aus dem Erleben sozialer Ungerechtigkeit herrührt. Manche Schauspieler haben ihre Figur manchmal zu einseitig hart gespielt, das wirkt dann gewollt, dies war besonders bei einer Frau so (Magdalena Höfner), die spielte einen Stepan, der lange in Einzelhaft gesessen hatte und über sechs Monate schwer gefoltert worden war, er predigte nur noch Hass, dies kam aber unglaubwürdig rüber, sein Charakter wurde nicht genügend widersprüchlich gegeben, so wirkte er in seiner Härte und Kälte nur redundant langweilig. Sehr gut waren die Hauptpersonen Dora Dulebow und Ivan Kaljajew gestaltet. Agnes Kammerer und Johannes Lange gaben wirklich ganz stark sich selbst um die Rollen mit Leben zu füllen.
Zwei andere Stücke in diesem Städtchen haben mir auch sehr gefallen, einmal handelt es sich um die Aufführung: „Der Mann, der niemals weinte“, ein Stück über Alzheimer mit einer lebendgroßen Puppe und „Sein oder Nichtsein“ nach Lubitsch.
Das erste spielt im Theaterlaboratorium, einer historischen Turnhalle von 1869, die mit spannenden Requisiten wie ein Gesamtkunstwerk wirkt, und ein Theaterkollektiv, das dem Kafka´schen Motto dienen will: „Das Theater wirkt am stärksten, wenn es unwirkliche Dinge wirklich macht. Dann wird die Bühne zum Seelenperiskop, das die Wirklichkeit von innen beleuchtet“. Verfremdend wird hier mit lebendgroßen Puppen einer einzigartigen Puppenbildnerin ( Mechthild Nineaber) gearbeitet. Das ist sehr originell und unbedingt sehenswert. Denn auch der Rest ist gut gelungen. Die Charaktere sind sehr breit und differenziert angelegt. Ihre Widersprüche werden gut herausgearbeitet. Von den Alzheimer-Geschichten, die ich in den letzten Jahren auf in Film und Bühne sah, hat mich dieses am meisten beeindruckt, das Innere der Seelen wurde wirklich sichtbar, dies wie nebenbei, ohne viel Aufhebens, in Kleinigkeiten, kleinen Bewegungen, Mimik, Gestik. Die Alzheimer-Problematik in Verbindung mit der historischen Zeitproblematik, ihrem großen Schweigen, ihrer Unterdrückung der Gefühle, das wird durch die Puppe, die doch tot und fremd und „gemacht“ ist, so wahr und echt gespielt, wie ich es selten sah. Der 87-jährige, (das ist die Puppe), der niemals weinen durfte und durch Hitler-Erziehung und Krieg hart geworden ist, ist nun klein, zusammengeschnurrt und auf Hilfe angewiesen. Seine Härte wird durch eine Alzheimer-Erkrankung brüchig und sichtbar werden die Verletzungen, die Zerstörungen, die autoritäre Erziehung und Fremdbestimmung bei ihm angerichtet haben. Das Stück ist ein Drei-Generationenstück, alle drei Generationen werden zeittypisch sehr treffend gestaltet, das Stück enthält viele Wahrheiten und transportiert sie mit wunderbar treffendem Witz.
Ebenso witzig ist auch das Lubitsch-Stück angelegt, die berühmte Parodie des Hitlerismus: Sein oder Nichtsein nach Lubitsch. Im Staatstheater Oldenburg wurde dies auf großer Bühne gegeben. Während man zu Beginn die beiden Turas etwas zu manieriert gespielt fand, sie übertrieben die Eitelkeit ihrer Figuren leider ins Groteske, gewann das Stück im zweiten Teil und ging am Ende doch sehr unter die Haut und blieb damit ihrer Vorlage treu, die die Parodie nie überzog und damit nicht die ernste Basis der Kritik verließ und ins Verharmlosende abglitt.
Alles in allem ein sehr empfehlenswertes Städtchen mit einer breiten Kunst-, Musik- und Kulturszene, die Widersprüche unserer Gesellschaft aufzunehmen bereit ist und sie kritisch zu diskutieren sich nicht scheut.